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Montag, 16. Oktober 2017

Einmal hat er Recht, einmal Unrecht

Wenn der türkische Ministerpräsident Reczip Erdogan unlängst meinte, daß die Türkei nicht mehr an einer EU-Mitgliedschaft interessiert sei, es allerdings für Europa eine kulturelle Weiterentwicklung bedeuten würde, die Türken darin aufzunehmen, so hat er einmal Unrecht, und einmal Recht.

Unrecht hat er, wenn er meint, daß eine muslimisch geprägte Gesellschaft gleichbedeutend mit Kultur wäre. Das ist naturrechtlich gesehen falsch, und man kann von Kultur dabei nur im abstrakten, zuständlichen Sinn sprechen: als Kultur in diesem und jenem Zustand. Das ist auch historisch eindeutig zu erkennen. Nirgendwo hat der Islam eine regionale, individualistische Kultur hervorgebracht. Er hat stattdessen vorhandene Regionalkulturen zentralistisch normiert, und regionales Gepräge gab und gibt es nur dort, wo er noch zu wenig stark ist. Von Marokko bis Pakistan. Der Islam ist sogar anti-kulturistisch. 

Es gibt also keine islamische Kultur, es gibt nur Kulturen, die überleben, obwohl sie islamisch geprägt sind. Auch in Cordoba, dieser einzigen wirklichen Blütezeit eines sogenannten islamischen Staates, war es nicht anders. Sie war von nordwestafrikanischen Kulturen geprägt, die prinzipiell arianisch, aber formell "islamisch" waren. Die Spanier hatten sie selbst geholt, als Einigungsmittel in ihrer Uneinigkeit. (Wie man heute wieder einmal sieht: Ohne jeden Erfolg, aber das ist ein anderes Kapitel.) In dem Moment, wo dieses Staatsgebilde wirklich "islamisch" wurde (12. und 13. Jahrhundert), und das war unausbleiblich, denn der dortige Islam galt der großen Koran-Gelehrtengemeinde (samt dem Sultan) in Kairo, Damaskus und Bagdad als Häresie und ungehorsame Gemeinde, war es schon zu Ende mit dieser Kultur.

Die die Kalifen und Sultane der Jahrhunderte zuvor noch "leben" hattten lassen. Sie waren tief hellenistisch geprägt, und deshalb von griechischer Philosophie durchdrungen. Was den Völkern im Orient eine bedeutende kulturelle Dynamik verlieh, weil im Grunde schon die Allianz aus Plato und Aristoteles die Grundlage unserer heute (wie damals) bekannten Wissenschaft bedeutet. Aus einer Haltung heraus, in der eben die Welt vom logos und seiner notwendigen Widerspruchsfreiheit getragen ist. Doch es gab nicht nur gute Politiker, und vor allem die schwächeren griffen zur Religion als politischer Waffe, ihre Reiche zusammenzuhalten. Wofür sich der Islam prächtigst eignete. Das führte aber unweigerlich dazu, daß man sich das Prinzip der Widerspruchslosigkeit vom Halse schaffen mußte. Und heute steht das Abendland vor dieser selben Schwelle. Es hat aber nicht die zentralistischen Strukturen der (historisch mittleren) islamischen Welt, und deshalb würde es zerfallen, setzt sich dieses Widerspruchsprinzip (eines kann ebenso wahr sein wie das andere) durch.*

Erdogan hat deshalb zweifellos Recht, wenn er auf die Schwäche der abendländischen Kultur hinweist. Ihr gegenüber zeigen sich sogar Stärken beim türkischen Volk die tauglich sind - und wir erleben das auch wieder und wieder - Europa zu überschwemmen und umzuformen. Insbesonders die Stärke der Familie und der Großfamilie, des Clans, der solidarische Zusammenhalt deshalb ist als Voraussetzung für Staat und sogar Volk von enormer Bedeutung. Gerade in diesem Punkten ist Europa kurz vor der völligen Auflösung, oder eigentlich schon mitten im unaufhaltsamen Absturz.

Wenn, dann könnte es sich nur erholen, wenn es sich re-katholisierte. Nicht einmal "re-christianisierte" wenn man damit meint, daß der Protestantismus ebenfalls ausreichen würde oder gar in seiner Kulturwirkung "dasselbe" sei. Davon, und nur davon wird die Zukunft Europas abhängen. Alles andere ist wertloses, substanzloses Geschwätz. Denn im Positivismus, Subjektivismus und Moralismus des Protestantismus läßt sich niemals eine Kultur aufrichten, ja nicht einmal langfristig halten. Der Islam, der in dieser Art genau dasselbe Rezept verfolgt, zeigt es vor. (Von "Bewahrung der christlichen Kultur" zu sprechen ist ohnehin ein bemerkenswert inhaltsleeres Gerede, das sich wohl nur auf die Gebäude beziehen kann.) Q. e. d.

Möglicherweise ist also Erdogan knochenharter Realist und viel intelligenter, als mancher meinen könnte. Und dafür spricht ohnehin viel, wofür sich der VdZ sogar ehrliche Bewunderung für den ehemaligen Iman abringen kann: Er ist ein Staatsmann, wenn auch typisch orientalisch und einem Attila ähnlicher als einem Putin. Wo gibt es aber sogar das im christlichen Europa?

Stell Dir nämlich vor, die Türken liegen mit einem Millionenheer wieder vor Wien, versprechen in Flugblättern Freibier und Würstel, die sie verteilen, während sie ihre Tschinellen malträitieren, und die Wiener öffnen daraufhin die Tore und gehen Blumenpflücken oder holen sich einen Gutschein für ihre Eitrige siaß mit Buckel und Pfefferoni (Käsekrainer mit süßem Senf, Brotanschnitt und mildem Pepperone - für unsere deutschen Fremdsprachigen; es sind blöderweise aber grad keine Würstel da, sie kommen aber morgen, ganz sicher), und gehen anschließend nach Grinzing zum Heurigen ...




*Man kann also die Totalisierungsbestrebungen der Gegenwart, die versuchen, ein neues religiöses (resp. moralisches) Zwangs-Einigungsprinzip ("Klimakatastrophe", usw. usf.) zu etablieren, und die eigentlich sämtliche kulturellen Einrichtungen erfaßt hat, bis hinein in die Familien, die Pädagogik, die Schulen, als durchaus begreifbare (aber um nichts weniger falsche) Gegenbewegung ansehen, die aus pragmatischen Gründen ebenfalls (wie die islamische Welt) zum Totalitären greift, um nicht zu zerfallen. Aufgrund der Schwäche der Katholischen Kirche aber hat die westliche Welt nicht die Kraft, eine Kulturquelle wieder auszugraben oder gar zu etablieren. Wer sich die linken wie die rechten Bewegungen ansieht wird feststellen, daß es sich in deren scheinbarer Unvereinbarkeit im Grunde um einen "Quellenstreit" handelt. Der nie zu jener substantiellen Einigung führen wird, nie, den nur die Wahrheit, die Kirche, darstellen könnte, weil er sonst immer auf der ideologischen Ebene bleiben wird.




*041017*