Katalonien
ist erst seit dem 15. Jahrhundert durch Heirat (Isabella von Spanien) zu
"Spanien" gekommen, wie wir es heute kennen. Es hat eine eigene Sprache
(die sich aus einer lateinisch-römischen Umgangssprache entwickelt hat),
und eine eigene, hochentwickelte, gegenüber dem Restspanien aus
verschiedenen historischen Gründen überlegen empfundene Kultur. Es hat
ein eigenes Parlament, und eine eigene Polizei. Die
Separationsbestrebungen sind deshalb nie ganz zum Erliegen gekommen, und
waren sogar einer der (zumindest der offiziellen) Anlässe für den
spanischen Bürgerkrieg 1936-1939, der freilich von ideologischen
Konflikten überlagert wurde.
Die
kommunistisch-revolutionären Bestrebungen zur Weltrevolution, die
prinzipiell zwar auf Zentralismus setzten, aber sich wie hier regionale
Unabhängigkeitsbestrebungen (so wie jede Bewegung, die auf Zerstörung
des status quo der Macht abzielt) zunutze machten, welche Furcht vor
Revolution damals in ganz Europa umging, weckten eine
faschisto-konservative Gegenbewegung (an deren Spitze sich bald der
General Franco setzte) auf. Gestützt von einem dezidierten Krieg gegen
die Katholische Kirche durch die Kommunisten. Das führte zu einer
unseligen Allianz der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen mit
kommunistischen Bewegungen, die sich unter Franco unselig auswirkten.
Neuerlich wurde Katalonien von Madrid "unterworfen", konnte sich nur
einige Sonderrechte bewahren. Aber sogar die Sprache war damals
verboten, wenngleich dieses Verbot vielfach unterlaufen wurde.
Der
Sieg Madrids, eines Gesamt-Spaniens also, wird vielfach von Katalanen
bis heute als "Besetzung" gewertet.* Und aus linken Kreisen wird Madrid
sogar als "faschistische Herrschaft" bezeichnet, sodaß der derzeitige
Aufruhr sogar das Mäntelchen der "Antifa" hat. Immerhin wäre es eben
nicht das erste mal, daß Madrid Truppen entsendet, um die 12.000 km²
große Provinz an die Kandarre zu nehmen. Mehrmals in der 530jährigen
Geschichte Spaniens wurde Barcelona belagert und eingenommen.
Historisch
dabei interessant: Die Katalanen (Teil des Königreichs Aragon) waren
stets für einen Verbleib unter der Habsburger Krone, also der des
Heiligen Römischen Reichs. Endgültig wachte eine Separationsbewegung
auf, als Napoleon versuchte, die spanische Krone zu besetzen. So, wie er
es in halb Europa gemacht hatte. Denn die Katalanen (als Teil des
Königreichs Aragon) sehen ihren Moment der Volksgründung in der
Legitimität der Karolinger begründet, die in Karl d. Großen ja das Hl.
Römische Reich erneuerten, DAS Einigungs-, aber auch DAS Föderalprinzip
Europas. Die Einsetzung von französischen Bourbonen als Folge des von
Habsburg verlorenen Erbfolgekriegs seit 1702 hat die Legitimität eines
Madrider Königs von "Ganzspanien" in ihren Augen zerstört.
Dazu kommen aber andere Strömungen,
deren Relevanz wohl nicht unterschätzt werden darf. Es ist eine
Tatsache, daß das Weltimperium Spaniens wirtschaftlich in weit
überproportionalem Anteil von Katalanien getragen wurde. Das auch davon
am meisten profitiert hat. Denn dort wurden die Exportgüter hergestellt,
die die Absatzmärkte in den Kolonien brauchten, umgekehrt haben
katalanische Familien eben dort die Rohstoffe importiert. Sodaß sie mit
Spaniens Niedergang (der sich im Krieg mit den USA 1898 vollendete, wo
Spanien nach den Philippinen auch noch Kuba verlor) als Imperialmacht
hohe wirtschaftliche Einbußen zu tragen hatten. Eine Wurzel großer
Unzufriedenheit. Auf Kuba spielten reiche katalanische Familien noch
lange eine große Rolle, und standen sogar in Konflikten mit der übrigen
spanischen Bevölkerung.
Katalanien wird in den Augen
vieler als von ca. 300 reichen Familien - Oligarchen - beherrscht
gesehen. Das führt auch in Katalanien selbst zu widersprüchlichen
Stimmungen. Einerseits will das Volk Freiheit und Unabhängigkeit,
anderseits lehnen viele die oligarchische Struktur des Landes ab. Denn
diese Familien haben enormen Einfluß auf die Regionalpolitik, und es ist
deshalb keine Frage, wer die derzeitige Unabhängigkeitsbewegung massiv
unterstützt, ja vielleicht sogar die treibende Kraft dahinter ist. Mit
diesen Familien sind auch Gesetzesstrukturen verbunden, die vielen
Katalanen ein Dorn im Auge sind weil sie meinen, daß diese konservativen
Kräfte eine Standeszementierung möchten - anders als v. a. die
städtische Bevölkerung Katalaniens, die sich von der Aufklärung nicht
trennen will. Barcelona ist regelrecht multikulturell, also links oder
linksliberal. So bevorzugen die Erbgesetze den ersten Sohn. Eine
Regelung, die klar den Interessen der konservativen Strukturen
entspricht.
Morgen Teil 2) Madrid war zu schwach
- Das Kurzvideo
*201017*