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Dienstag, 10. Oktober 2017

Von der zeitlosen Zeit

Wenn es also so ist, daß erst mit dem Anwesen des Seins überhaupt Zeit entsteht, als Folge des Seins, dann ist die Transzendierung auf das Sein hin, auf den Sachverhalt, wie Heidegger es einmal ausdrückt, das Tor, durch das Zeit in die Schöpfung kommt. Damit wird die Zeit an den Menschen, an die Schöpfung gehängt, damit wird sie relativ zum Kreuz, zur Selbsttranszendenz, ja zur Wahrheit.

Es erklärt auch, warum man im Alter die Zeit als immer rascher vergehend erlebt. Heidegger hat Recht wenn er sagt, daß es ein Fehler ist, Zeit an das rein "psychische Erfahren von Dauer" zu verweisen. Der wahre Grund der Relativität der Zeit liegt tiefer, und es waren vor allem die Uhren (die ja auch nur ein Vergleichsmodus sind), die diese falscher Vorstellung einer linearen, gleichförmig voranschreitenden Zeit brachten, was sich zur Illusion verdichtete, daß "Zeit" etwas gleichförmig Voranschreitendes sei, ja DAS gleichförmig Voranschreitende sei.

Daß heute alle älter werden, wie es die Statistik sagt, ist dann der Barmherzigkeit Gottes geschuldet, der jedem Zeit läßt, mehr Zeit, doch noch zum Leben zu kommen. Nein, präziser: Es ist die Tatsache, daß es uns tatsächlich an Zeit mangelt, weil wir bestenfalls der "hereinbrechenden" (anwesenden) Zeit nicht-menschlicher oder gar unter-menschlicher (vegetativer) Vorgänge ausgeliefert sind.

Jeder von uns hat doch schon erlebt, wie in Augenblicken höchster geistiger Präsenz (wie bei Unfälle, in Todesgefahr etc.) die Zeit "langsam" zu werden scheint. Das scheint nicht nur so, das ist auch so. Es ist dann überhaupt erst Zeit, als gewissermaßen zeitlich-weltliche Zeit, die über die absolute Zeit im Transzendenten zur Zeit selbst wird. Denn alles ist in dem Maß anwesend, als es am Ewigen teilhat. Zeit ist damit (auch das sagt Heidegger, der in diesem Punkt mit seinem Denken sehr weit kam) eine Folge (sic!) des Anwesend-seins (als Gegenwart, die immer Vergangenes und Zukünftiges zusammenklammert, nur der unendlich kleine Teil ist, als Fenster, durch das Sein einströmt, um Seiendes zu zeitigen, also anwesend zu machen.)

Den Menschen, die Schöpfung umgibt also eine absolute, weltlich gesehen: zeitlose Zeit, die absolute Zeit,. die keine Vergangenheit und keine Zukunft kennt.

Das bedeutet, daß auch das Leben des Lebendigen, das nur aus dem absoluten Leben kommen kann, erst in der jeweiligen Transzendierung auf den Sachverhalt hin (auf den logos, wie der VdZ es hier immer nannte, der somit immer eine Beziehungsdynamik ist, auch darüber wurde hier schon viel geschrieben) in das strömt, was im Ganzen (als Großnetz der Beziehung, gewissermaßen) als Welt bezeichnet wird.

Das erklärt, warum im Zustand des Paradieses gar keine weltliche Zeit mehr existiert, weil es keinen menschlichen Tod mehr gibt, alles nur Leben ist. Zeit wie wir sie heute erfahren, als Vorüberstreichen von rein äußerlichen Vergleichsvorgängen, ist damit eine Folge der Ursünde, des Auseinanderbrechens von Leben und Geist im Menschen, dem es seither nur gelingt, "zeitweise" diesen Geist wieder anwesend zu machen - im besonderen im sakramentalen Kult, der diese Ewigkeit selbst bereits anwesend sein läßt und so alles ins Zeitlose, ins Ewige hebt - im Kreuz, in der Selbsttranszendenz, der einzigen Art, wie diese Dichotomie wieder geheilt werden kann. Daß die Anwesung Nährende ist immer das Ewige, Zeitlose (bzw. absolute Zeit seiende). Im Paradies ist alles ewig anwesend, gegenwärtig, gibt es kein vorher und nachher mehr.

Umgekehrt muß die Verfallenheit in (und an - auch wenn diese Begriffe hier versagen) die Welt (nennen wir ruhig einmal: Lasterhaftigkeit, Getriebenheit von Begierden, usw.) zu einer immer rascher verstreichenden (weil buchstäblich flüchtigen) Zeit führen. Denn dem Dargestellten, dem Anwesenden mangelt es an jener Zeit, die weltliche Zeit überhaupt erst konstatiert, läßt den Ort der Beziehung - den logos, den Sachverhalt (Heidegger) - immer weniger betreten, damit wirklich (anwesend; "gelichtet") sein. Sexuelle Begierde ist ja letztlich gar keine "Beziehung", sie ist ein Zurückfallen auf sich selbst, eine Reduktion auf Beziehungslosigkeit, und damit eine Nichtung. Der Mensch (als Vernunftwesen) fällt auf immer kleinere Lebensvorgänge zurück, die sich aneinander immer mehr beschleunigen*.

Das Gesagte verweist übrigens auch auf Jakob v. Uexküll, der vor 70, 80 Jahren eher abgelehnt wurde, als er das Konzept einer je subjektiven Zeit der Lebewesen vorstellte. Je nach Lebenswelt (die immer "rund" ist, also in seinen Vorgängen vollkommen auf jeweilige Teilwelten der Lebewesen abgeschlossen) hat damit alles Lebendige "seine" Zeit. Das rundet sich aber erst, wenn es mit der Verwiesenheit der Schöpfung auf den Menschen zusammengeschoben wird, wenn also diese Teilwelten der Lebewesen als offen auf den Menschen hingesehen werden. Der sie dann in "seine Zeit" (der zeitlosen, ablauflosen Zeit, gewissermaßen) hebt.



*Der Mensch des Lasters stirbt also früher; die Krankheit ist ein Symptom dafür. Wir haben an dieser Stelle bereits ausgeführt, wie Syphilis als "Ausfall der Führung" gesehen werden kann. Von Aids könnte man dasselbe behaupten. Umgekehrt muß ein Leben der Tugend mehr und mehr zu einer "rascher verstreichenden Zeit" führen. Aber nicht, weil diese tatsächlich rascher verstreicht, sondern weil sie immer mehr in die zeitlose Zeit drängt bzw. diese anwesend macht, und damit in Relation zur umgebenden Welt immer "kürzer" wird. Das trifft sich mit den seit jeher bekannten Vorstellungen von Heiligen und/als Helden, die um der geistigen Tat wegen sogar ihr Leben einsetzen. Hier hat "Dichte", was in der Verfallenheit, also Seinslosigkeit oder -trennung, im Auseinanderfallen "lange" wird, weil von vielen Ewigkeiten in umgebenden Lebensvorgängen "überholt" wird.





*021017*