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Montag, 30. Oktober 2017

Im Netz der Traumdichte

In dem Maß, in dem die Menschen ihr Denken auslagern, zur Technik (und damit zur Maschine) machen, also in schriftlichen Texten das eigene Denken ersetzen, versinken sie in den Zustand des Traumes. Als selbst bewegenden Ablauf, in dem niemand sagen kann, was und wer Handelnder ist, und was einfach zustößt, geschieht.

Schrift kann aber nie mehr sein als Verweis, als Stütze der Erinnerung, die den eigentlichen Denkprozeß, der ein Nachgehen nach dem Sein ist, also ein schöpferischer Akt. 

Weil er dieses Sein in das Kleid, in die (immer einzigartige) Aufführung des Lebens in der man steckt, auf die Bühne des eigenen Lebens also holt und damit (und erst damit) geschichtlich wird, wie ein Regisseur, wie ein Kostümbildner. Erst hier wacht der Mensch auf, erst hier ist er nicht mehr schlafender Mensch, der sein Leben träumt.

Das ist es erst, was man auch Philosophie nennen kann. Das ist es, warum nur dieser je individuelle Akt überhaupt Philosophie ist. Sie ist nicht das Aufgreifen einer vorhandenen Philosophie, die man mit allen möglichen Versatzstücken gebrauchsfertig und zwecktauglich macht. Hier wäre auch alles Lesen umsonst gewesen. 

So, wie es im Internet praktisch immer passiert, daß die meisten durchsuchen und konsumieren um das Netz des Traumes dicht zu halten, auf daß es nicht die frische Luft des Seins durchläßt. Denken ist keine zweckhafte Instrumentalisierung der Sprache, der Theorien. Es ist das Erfassen des numinosen Seins, das in seiner Realität in der Welt aufzuspüren, in seiner Dynamik zur Welt hin, nur von jedem selbst und eigen geleistet werden kann. Wie es heute genutzt wird, ist das Internet nur ein nächstes Instrument - das nach dem Eigentlichen greift, dem Denken - um im Traum zu verharren. 

Um mit den Fundstücken, den funktionierenden Denkpunkten und -weichen, wie ein Dieb davonzulaufen. Denn es verdrängt das, was das Aufwachen provoziert, die persönliche Begegnung, das Gespräch. Der Funktionalität des Internet aber zu entkommen ist fast unmöglich, es liegt ja schon in der Technik des Mediums begründet, und man nimmt diese Funktionalität in jedem Fall zumindest "unabsichtlich" auf. 

Nur in diesem Sinne kann man also, hier muß man aber sogar davon sprechen, daß das Internet selbst die Menschen verändert. Es macht sie zu Träumenden. (Eine Gefahr, der schon das gedruckte Buch oft nicht entkommen ist.) Als Medium der Wahrheit kann es deshalb - dosiert, gemessen eingesetzt - bestenfalls Hilfsdienste leisten. Heilige Texte aber werden davon überhaupt beschädigt und degradiert, ja sogar der Blasphemie ausgesetzt.

Denn in einer realen, haptischen, fleischlichen Beziehung erst wird jedes vorgefertigte (technische) Denkgebäude dem eigenen Leben angeschmeidigt, das erst Leben ist, wo und soweit es in eine Beziehung realisierend eintritt. Was wiederum heißt: Diese Beziehung (denn man steht immer in einem Netz von Beziehungsfeldern) ins Fleisch (und damit zur Welt) bringt. Denn nur dort ist das, was Denken wirklich der Wahrheit anpaßt, vorhanden: Das Staunen, das Überwältigtwerden, der Gestus, das Verhalten dazu. Wo man gezwungen ist, als Mensch ganz zu reagieren und zu agieren, und nicht in der Technik des nominal genommenen Wortes, der zum funktionierenden Konstrukt vertrockneten Sprache zu verharren, ohne daß man aufwachen muß. Denn jedes Denken ist nur ein solches, wenn es im Fleisch eines Menschen real wird.




Anmerkung: Der Begriff Internet schließt in der hier zu findenden Verwendung sämtliche digitalen Medien der Gegenwart ein, also auch das, was man "social media" nennt.






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