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Sonntag, 30. September 2012

1 Billion Dollar weniger ...

aus 2007) Die Immobilienkrise der letzten Monate dürfte sich in ihrer gesamten Auswirkung auf den Geldmarkt weltweit auf etwa 1 Billion Dollar - eine unvorstellbare Summe - belaufen. 1 Billion Dollar. Etwa 750 Mrd. Euro. Etwa 10 Billionen Schilling.

Es gibt Stimmen die behaupten, daß diese Geld ja nicht verloren sei, das sei Unsinn, sondern Geld wechsele nur den Besitzer. Das stimmt einerseits, anderseits (und in der Taxierung der Auswirkungen) aber nicht. Warum nicht? Sind nicht einfach die Reichen halt reicher, ein paar Reiche (jetzt: Arme) um diesen Betrag ärmer geworden?

Richtig ist, daß die Gesamtmenge von "Geld an sich" - als gegenwartsbezogener Faktor - weitgehend gleich bleibt. Denn Geld ist ein Leistungsversprechen, das sich Menschen geben. Geld ist somit eine Vereinbarung, an die alle glauben, glauben müssen, sonst ist Geld nichts mehr wert, sonst haben wir Tauschwirtschaft. Darum ankert Geld immer in menschlicher Leistung. Es gibt kein "Geld an sich" das Wert besäße. Weit mehr als Gold hat materialloses Geld einen reinen Wert "für" die Menschen.

Doch ist eine Tatsache, daß Wert relativ ist, eine zeitbeogene Seite hat: in der Zukunftsperspektive (was wird ein Grundstück wert sein, wenn es verkauft wird?) und in der gegenwärtigen Bewertung. (Wie viel wird sich eine bestimmte menschliche Leistung noch steigern können, wie hoch ist also ihr momentaner relativer Bezug einzuschätzen?) In diesem Ermessensspielraum hinein stößt das Kreditwesen: Im Kredit drückt sich zukünftiges Geld aus, das in gewisser Wirksamkeit ins Heute gezogen wird. Die zukünftige ZUSÄTZLICHE Leistung FÜR ANDERE - der Wert - wird somit (weitgehend, ein Restrisiko bleibt) ins Heute verlagert. Damit wird tatsächlich HEUTE Geld VERMEHRT.

Dieses Geld wiederum wird nur wirksam, wenn es ausgegeben wird. Ein Kredit, dessen ausbezahlter Betrag im selben Maß unter dem Kopfkissen gehortet wird, ist geldmengenmäßig weitgehend sinnlos. Aber eben nur weitgehend - denn dier Geldgeber hat ... einen Vermögenszuwachs. Die Perspektive, diesen gegebenen Kredit wieder zu erhalten, wirkt sich auf sein Vermögen in gewissem Ausmaß (da sich in den Zinsen birgt) sogar steigernd aus. Der Kreditgeber kann den Betrag somit nicth nur EINMAL vergeben, sondern - besichert durch den einmal vergebenen, "guten" Kredit (credo ... ich glaube) - noch einmal, und dann noch einmal ... Der Geldumlauf wird vermehrt.

Nun fällt ein Schuldner also aus. Und der nächste ... Was passiert nun mt dem Geld? Dieses Geld ist tatsächlich ja ausgegeben worden, auch wen es noch nicht erwirtschaftet, durch Leistung also wirklich gedeckt war. Es war nur durch Leistungsversprechen gedeckt. Richtig ist, daß diesen usgegebenen Betrag nunmerh jemand besitzt. Der, dem der Kreditnehmer das Geld gab, damit der jene Leistung erbringe, für die der Schuldner den Kredit aufnahm. Hier IST das Geld also wirksam geworden.

Dennoch vermindert der abzuschreibende Kredit nunmehr die Gesamt-Wirtschaftsleistung, wie unschwer zu sehen ist: Und zwar um den zu erwartenden Leistungsbetrag! Der sich im verlorenen Kredit ausdrückt. dieses Geld muß der Kreditgeber irgendwo wieder auftreiben, und sei es über Zinserhöhungen uf die übrigen Schuldner umlegen.

Krachen alle Kredite, so bleibt - wie derzeit - nur der Staat, die Summe aller Steuerzahler also, um die Bank als Knotenpunkt von Geldmenge und menschlicher Leistung nicht einstürzen zu lassen. Krachen nämlich alle Banken ein, reduziert sich die gesamte Geldmenge einer Volkswirtschaft mehr und mehr um alle zeitbezogenen Leistungsfaktoren, vermidnern sich die relativen Werte ... reduziert sich die Geldmenge auf die "Grundgeldmenge" - wo sich momentane und vergangene Leistung und Leistung quasi 1:1 gegenüberstehen.

So paradox es also ist: In seiner monetären Dynamik wirkt sich eine Schuldenreduktion (eine Rückzahlung hat dieselben Auswirkungen wie ein Kredit, der nicht rückgezahlt werden KANN) KONJUNKTURDÄMPFEND aus. In ihr wird nämlich die Zeitperspektive verkürzt.

Tatsache ist also: Bei einer Kreditkrise wie der derzeitigen bleibt zwar das "physische" Geld als IDENTITÄR genau diese und diese bezeichenbare Menge tatsächlich in derselben identitären Menge, aus der Zeit herausgeschnitten (stellen Sie sich das vor wie einen Waggon innerhalb einer langen Kette von Waggons, von gestern ins morgen) erhalten - was ausgegeben wurde besitzt jemand - und doch ist die Zukunfts-(Zeit-)Perspektive beschnitten, sodaß die Geldmenge in der Wirkung und damit tatsächlich (durch Kreditreduktion) geringer wurde - und damit ist die Last eines Waggons der Zukunft in die Gegenwart geholt, denn Waggons können nur hier und jetzt eingefügt werden - es hat sich also nur verschoben, WER weniger hat - in dem Fall immer: zukünftige Generationen.

Eine solche volkswirtschaftlich voll wirksame Geldmengenverringerung (wie derzeit) ist im wesentlichen nur über eine WEITERE (und damit noch weiter in die Zukunft greifende) Geldmengenausweitung (Inflationsgefahr!) abzufangen. Sonst wäre sie sofort konjunkturwirksam. Diese 1 Billion Dollar also müssen irgendwann erarbeitet werden. Das sollten sie auch - solange der zug (s.o.) eine Lokomotive hat, also alle an die Bewegung ad infinitum glauben, glauben daß diese Lokomotive den Zug immer zu ziehen imstande ist.



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Vom Weltweib

Als "das Andere" wird die Welt dem Subjekt zum Weib, schreibt Emanuel Levinas in "Vom Sein zum Seienden". Im Eros angewegt, setzt das Seiende ("Ich") sich (in der Hypostase) aus dem (gewissermaßen) anonymen Sein (zum "Selbst"), auf das es sich im Schlaf, in der Müdigkeit als Bewegung, ausruhend, aber nicht auflösend (es bleibt also hypostatisch tätig), setzt - dem Unbewußten, das die Ausgangssituation des Menschen bildet.

Zur Anteilhabe des Seienden am Sein, als Akt - und darin im Seienden bleibend - zu denken, als Bezogenheit auf, als Beziehung zu, als erlebtes Leben bewußt werdend, als Denken Bewußtsein konstituierend. Im Selbstvollzug des sich selbst darstellenden Lebens, als Anstrengung, als Mühe - darf man den Konnex zu Michel Henry ziehen. Und in der Selbsttranszendenz auf die Welt hin, die sich so aneinander in einem riesigen Miteinander im Seienden hält, und damit in der Individuation als transzendenten, sich überschreitenden Vollzug der Bezüge das Sein der Gestalten der Welt hält. Nicht aber - noch einmal - überhaupt das Seiendsein des Subjekts selbst, das sich im Objektiveren von der Welt lösen und damit zur Welt verhalten kann.

Gibt die Welt ihre Individuation auf, ihr Seiend-Sein, ihr fleischliches Bezogensein, fällt auch ihre Umgebung auf sich zurück, löst sich Welt auf. Sodaß das Selbst nun um sein Überleben kämpft, im Versuch der Selbsthaltung (sichtbar z. B. in der ein Selbst behauptenden Haltung). Die Welt fällt also nicht ins Nichts, das wäre zu weit gedacht, sondern in die Formlosigkeit, und in ihr verweigert diese "Neutralität" (als bloßes "es gibt etwas" - das "Unbewußte") den übrigen Figuren ihre Gestalt, sie bleiben in den Grundkonstellationen stecken, die aber nicht zur Welt finden.

So, wie Arme ins Nichts greifen, greift also das Selbst der Subjekte auf glatte Oberflächen, kann keinen Halt gewinnen, um adäquate Gestalt zu werden. Denn Menschsein heißt immer, in einem sozialen Raum sein. Hieraus wird die Bedeutung von Jesus Christus - als fleischgewordener Gott - erkennbar, in dem, aus dem alle Welt Sein und Bestand hat. Und über den alle Welt in einem Punkt zusammenläuft: als Gestalt "gegenüber", als "anderer", in dem und aus dem ich aber erst bin. Denn das Heil des Subjekts kann damit auch nicht aus sich selbst kommen - nur die Heilsergreifung bleibt als subjektiver Akt.

Menschsein heißt damit auch, einander wie Mann und Frau zu sein. Die Ehe ist somit Urbild der Welt überhaupt, damit auch Kultur an sich. Wer keine Ehe mit dem Außen (in ihrer alles haltenden Spitze: Jesus Christus) schließt, verliert die Welt, deren Gestalt Kultur IST - aus dem Kult hervorgehend, in dem das dialogische konkrete Gegenüber sich zur Weltwerdung vollzieht. Und zwar ... aus den Grundformen der Liturgie heraus, die der Weltgeburt ihren Rhythmus gibt.*






*(Diesen Punkt noch ausführend, wird also eine Kultur so, wie ihre Kirchen sind. Als Diözesanreferent hat der Verfasser dieser Zeilen seinerzeit, als er viele Pfarren besuchte, wohl nicht zufällig eindeutige Relationen zwischen den Kirchenbauten und der darin ablaufenden Liturgie, aber letzteres fast noch weniger bzw. sekundärer, und den Menschen, die er antraf, festgestellt.)


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Unvereinbarkeiten

Nur in der actualitas der Wirklichkeitsbegegnung vermag der Mensch überhaupt Geschichte hervorzubringen. Und in diesem Hervorbringen wird, in affektiver Praxis des Individuums, die Materialität der Geschichte entstehen - als kulturelle Bestimmung der Welt in Arbeit und Ästhetik.

Bei der Untersuchung der Genealogie der Individuen in ihrem transzendentalen Werden erweist sich dies als Aufdeckung jener Substitute, welche als ökonomische oder politische "Objektivität" den Realprozess lebendiger Geschichtlichkeit für sich vereinnahmen und die abstrakten Äquivalente eines vergessenen Lebens der Schau als Pseudo-Gehalt der Wirklichkeit darbieten.

[...] Daraus ergeben sich Stellungnahmen zu "ontologischen Subversionen" massivster Art, welche als Wissenschaft, Technik, Industrie, Kapitalismus, Sozialismus und Faschismus heute in der "Globalisierung" unsere Geschichte vor eine bisher nie dagewesene Veränderung stellen - vor eine rein automatische Weiterentwicklung ohne der Individuen noch zu bedürfen.


Aus Rolf Kühn, "Subjektive Praxis und Geschichte - Phänomenologie politischer Aktualität"



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Samstag, 29. September 2012

Der Wind

Zweifellos, die Sache hat nicht nur Humor. Sie zeigt im Grunde, wie "Berührung" geschieht! Sie ist eine Gegenbewegung, die eine ganz andere Ebene sucht, als die Wahrheit, sondern ihr genügen "Wahrheiten". Als für sich stehende Erkenntnisse aus für sich stehenden Fragmenten. 

Auf dieser Ebene zu betrachten, ist jede Diskussion über Windkraft an sich, die den Film in eine umfassendere Wahrheit stellen möchte, lächerlich. Nicht einmal der utilitaristische Schluß macht da schaudern.

Es enthält aber eine fundamentale Aussage über die Empirie an sich! Denn nur über Bewegtheiten ist ALLES möglich. Auch Unwahrheit. Bewegtheit an sich ist keine Wahrheit.

Übrigens: Der Film ist "fake", er wurde nie im Auftrag eines Windkraftunternehmens angefertigt, und gewann trotzdem einen Preis in Cannes. Erst war da die Idee, die Umsetzung, und die hat dann ein Unternehmen gekauft.




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Drei Beobachtungen

1) Als in Österreich die Diskussion um den Beitritt zur EU stattfand, also besonders intensiv 1993, war er in seiner damaligen Tätigkeit bei der Kirche quasi am Puls der "Meinungsbildung". Und mit Entsetzen sah er vor allem die Entwicklungen, die auf die kleinstrukturierte Landwirtschaft in Niederösterreich zukommen würde. Es kam ganau so, aber darum soll es jetzt nicht gehen.

Vielmehr um das, was man den Bauern als Zukunftsperspektive vorstellte: Ja, es würde zu einem Kahlschlag (den man natürlich anders nannte) unter den vielen Kleinbetrieben kommen. Aber man müsse eben das Bild des Landwirts der Zeit anpassen - denn er würde gebraucht, aber als "Landschaftspfleger". Die Wiesen müßten weiterhin gemäht werden, schon des Fremdenverkehrs wegen, die Wälder gehegt, die Felder in Form gehalten, um das wilde Aussehen von Brachen zu vermeiden. Und das, das sei natürlich zuerst Aufgabe der Politik ...

Ungefähr so, als würde man den Schriftstellern sagen, sie sollten zukünftig Versicherungsberichte eintippen - auch die werden nicht gebraucht, und dort könnten sie den ganzen Tag schreiben. So nebenbei dürften sie noch die Rechtschreibung korrigieren.

Tatsächlich bezahlt nun die EU sogenannte "Brachgelder" (man möge den Begriff im weitesten Sinn fassen). Bauern schneiden tatsächlich das Gras, aber sie lassen es dann verrotten.

Erst diesen Sonntag stand in mehreren Artikeln zu lesen, daß speziell Biobauern einen gar nicht unbeträchtlichen Anteil an der weltweiten Verknappung der Nahrungsmittel, die derzeit in aller Munde ist, zu tragen hätten. Denn nicht  nur wird weit mehr Getreide in der Fleischproduktion verfüttert, sondern gerade Bio-Fleisch benötige besonders viel an Futtermitteln. Und die müßten als Getreide zugekauft werden.

Fraßen früher Rinder nicht vor allem ... Gras und Heu? So nebenbei: Futterpflanzen sind in der Regel nicht dieselben wie solche für Lebensmittel, ja für diese gar nicht verwendbar.

2) Große Aufregung gab es in diesem Frühjahr im Ybbstal in Niederösterreich. Satellitenvermessungen hatten ergeben, daß die örtlichen Bauern mehr Flächen bewirtschafteten, als in den EU-Anträgen um Förderungen angegeben waren! Damit würden sie aber die beabsichtigten Limitierungen (um die Preise zu stützen) unterlaufen. Der Fall war virulent geworden, als zahlreiche Bauern nun mit für ihre Verhältnisse hohen Rück- und sogar Strafzahlungsforderungen konfrontiert waren, und sich an die Medien und die Landwirtschaftskammern gewendet hatten, um diesen Zahlungen auszuweichen. Wie es aussieht - mit Erfolg. Aber nicht, weil die Zusatzmengen akzeptiert wurden, sondern weil die meisten der inkriminierten Flächen von Hand nachgemessen und die Flächenbestimmungen um die wirkliche jeweilige Situation korrigiert wurde. Denn da gab es mitten in den Feldern Gräben oder Hänge oder Steinschluchten, die nun wirklich nicht zur an den Außenmaßen gemessenen Nutzfläche gezählt werden konnten. Sie zählten zum vorgeschriebenen Brachland.

Etwa 7 % der an sich landwirtschaftlich genutzten Fläche in der EU sind per Verordnung stillgelegt. Die Bauern werden dafür entschädigt. Trotzdem hat die EU 2012 einen Getreideüberschuß von rd. 20 Mio Tonnen produziert.

3) Siegfried Giedeon schreibt in seiner Geschichte der Alltagskultur, daß der entscheidende Bruch in der Fleischproduktion nicht mit der menge zu tun hat, sondern mit dem Umstand, daß sich von den USA ausgehend ein völlig neues Verhältnis zum Vieh eingestellt hatte. Das noch im 19. Jhd. in deutlich erkennbarem Widerspruch zur europäischen Haltung stand. Denn vor allem in den USA machte sich ein anderes Bauerntum bemerkbar - das keinen wirkichen Bezug mehr zum Boden und zum Vieh hatte, sondern Land und Lebewesen nur noch als Produktionsfaktoren sah. Entsprechend machte sich eine Automatisierung der Landwirtschaft, vor allem aber bald eine Automatisierung der direkten Fleischproduktion bemerkbar, die ein wirklicher Einschnitt war: Tiere wurden unter weitgehendem Einsatz von Maschinen geschlachtet und verwertet, und selbst wenn vielfach menschliche Arbeit nicht vermeidbar war - z. B. keine Maschine ist in der Lage, einen Tierkadaver effizient zu enthaaren, kann sich den biologischen Tatsachen ausreichend anpassen - so war es nun nicht mehr ein Schlachter, sondern ein "Arbeiter", der einen abgezirkelten Handgriffsbereich erledigte. Das hat sich mit dem Beginn der USA, in die Welt zu exportieren, über neue Verfahren der Haltbarmachung, bei gleichzeitiger Erfindung neuer Arten, Fleisch anzubieten und zu konsumieren, zu einem enormen Druck auf die Fleischpreise der Welt geführt.

Noch um 1870 wurde hingegen in Paris eine Schlachthalle eingerichtet, in der jedes Rind seine eigene Box hatte, in der es schließlich von einem ausgebildeten Schlachter gekeilt und zerlegt wurde. Diese Halle wurde bald zum Vorbild für viele europäische Städte, die sich in der damaligen Epoche mehr und mehr zu den Großstädten entwickelten, wie wir sie heute kennen. Aber die Preise am Weltmarkt führten auch hier zu einer allmähliche, wenn auch verzögerten Mechanisierung. Deren Endpunkt allerdings immer noch erst mit der EU kam: Erst mit dem Beitritt zur EU kam in Österreich für die meisten der bis dahin noch zahlreichen Kleinfleischereien das Ende. Die neuen Hygiene- und Schlachtvorschriften bedeuteten Investitionen, die sich erst ab einer gewissen Größe, und ab einer gewissen Arbeitsteiligkeit, "rechneten".

Selbst über viele Generationen eingeführte Fleischer wurden somit entweder zu bloßen Händlern und Portionierern degradiert, wenn sie nicht überhaupt zusperren mußten. Weil der Wertschöpfungsanteil nun zu gering wurde, sie nicht mehr davon leben konnten. Und weil die Verkäufer systematisch zu neuen Vertriebsformen geführt wurden: abgepackte Fleischtassen beim Supermarkt ersetzten das berühmte "35 Deka, ist das in Ordnung?" "Geh ja, und geben's mir noch ein paar Knochen dazu."

Vor allem durch diese gedankenlosere, "leichtere" Art des Konsums, zumindest fällt die Korelation auf, stieg der Fleischkonsum in unseren Landen auf das Vielfache. Und damit steigt der notwendige Import von Futtermitteln, denn Soja und Mais aus Massenanbau in Amerika - Süd wie Nord - gehört längst zur üblichen Art der Fleischproduktion auch in unseren Breiten. Man gibt deshalb vor allem diesem Fleischkonsum die Schuld daran, daß es wie derzeit zu einem starken Anstieg der Getreidepreise kommt. (Und nicht, so wird behauptet, der Produktion von Biosprit. Der Verfasser behauptet das dennoch, doch darüber zu einem späteren Zeitpunkt.)

Thomas Mann schreibt in "Der Zauberberg" in einer wunderbaren Passage davon, wie einst das Handwerk des Schlachters sich aus dem Priester heraus entwickelt hatte. Denn ursprünglich, so führt er an, sei das Schlachten von Tieren als Heiliger Akt gesehen und gehandhabt wurde. Ähnlich wie der Schmied, oder der Henker, ragte sogar noch bis in unsere Zeit der Schlachter zutiefst in eine sakrale Dimension.



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Freitag, 28. September 2012

Krisen als Finanzierungsinstrument

Betrachtet man die Geschichte der Wirtschaftskrisen des Kapitalismus - wie er mit Beginn der Neuzeit (Renaissance) einsetzte, in logischer Folge der Abstraktion der Welt überhaupt, deren Schatten zu Mechanismen an sich wurden, die man zu bedienen begann - so zeigen sich, schließt man aus Schumpeter's Krisenanalysen, mehrere Auffälligkeiten.

Die eine ist, daß manche Krisen lediglich aus "unzeitgemäßen, verfrühten Vorgriffen" auf wirkliche Wirtschaftsaufschwünge entstanden. So in England nach Erfindung des Dampfwebstuhls, eine Neuerung, die im ersten Boom, in dem auf die neuen Hoffnungen gesetzt wurde, zu einem Crash führte, während aber zehn Jahre später diese Technik einen realen Wirtschaftsboom trug.

Weiters sind die meisten Krisen bis zum 20. Jhd. auf sehr reale Erwartungen gegründet worden. So die Südsee-/Mississippi-Krise in Holland im 18. Jhd. Da standen sehr reale Erwartungen, in die man lediglich kurzfristig das Vertrauen verlor, oder die mangels realistischer Einschätzung zu hoch bewertet wurden. Auch, weil Investoren einfach ihre Liquidität ausging, ihre Spekulation auf zukünftige Erträge durchzuhalten.

Aber noch etwas erklärt Schumpeter: daß so gut wie alle Krisen von den Regierungen als Finanzierungsinstrumente FÜR IHRE POLITIK mißbraucht wurden. Immer ist die Rechnung aber dahingehend negativ, als Staaten selbst kaum produktiv investieren KÖNNEN, sodaß sie dieses Geld den produktiven Kräften der Wirtschaft regelrecht entziehen, in unproduktive Sektoren fließen lassen. Staatsschulden sind in jedem Fall direkte Belastung der produktiven Kräfte der Bürger eines Landes.

Zum einen, indem Regierungen - in der Südsee-/Mississippi-Krise des England des frühen 18. Jhds. sogar ganz direkt - die Spekulationen (als Werterhöhung der Eigentumsanteile an diesen noch unausgebeuteten Resourcen) zur ungehemmten Aufnahme von Krediten nutzten, zum anderen, weil sie sich in den daraufhin eintretenden Krisen über Inflation wieder entschuldeten. Denn der "gap", der Hohlraum unter "Geld" ist genau der unproduktive, lediglich dem Konsum dienende Anteil der Ausgaben, die von Staatskrediten getätigt werden. Und dazu zählen übrigens - in dieser Art der Rechnung - auch die zu zahlenden Zinsen.

NIE hat sich eine Staatsregierung sie je anders entschuldet, als durch Inflation, sieht man vom aggressiven Krieg ab, der auf "Beute" abzielt. (Manchen Angriffskriegen Nazi-Deutschlands z. B., das sich ja ebenfalls nur über Kredite finanziert hat, gingen dokumentierte exakte Kalkulationen und Ertragsrechnungen voraus.) Das als Schuld aufgenommene Geld kann von einem Staat nur durch Entwertung "getilgt" werden, denn ein Staat hat nur seine Einwohner und deren produktive Kraft als Vermögen. Sodaß die Ansprüche des Staates auf Steuern immer auf reale Werte abzielen, nicht auf Geld an sich.



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Reiner Wahn





Beeindruckt?




Im Rausch der Zahlen, der "Fakten", der technischen Möglichkeiten?

Reduziert man das Internet auf seine Wirklichkeitsrelevanz, bleibt (fast) NICHTS. Denn das Wesentliche des Internet ist der GLAUBE der Menschen, daß es Relevanz hätte. Der Glaube, daß die technischen Daten und Fakten auch das Leben selbst wären. Der Glaube, daß "views" auch "marketing audience" wären. Der Glaube, daß "Information" auch Erkenntnis über die Welt wäre. Der Glaube, daß Computertechnik das Denken ersetzten könnte, oder überhaupt nur "wäre". Der Wahn, daß die technische Entwicklung der Computer- und Internettechnik wirkliche Relevanz für die Menschen hätte. Die entscheidende Relevanz des Internet ist - seine Wahnhaftigkeit. Diesem Irrglauben verdanken wir alles, was es an internetinduzierten "Veränderungen" gibt. Und dem "Nichts" dahinter die immer rascheren Zyklen, innerhalb deren sich die Anwendungen und technischen Produkte wandeln.



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Voraussetzungen der Voraussetzungslosigkeit

"Man hört oft sagen, es gebe keine "Philosophie der Wissenschaft", sondern nur die Philosophien gewisser Wissenschafter. Insofern wir aber ein Forum für maßgebende Meinungsbildung anerkennen, das entscheidet, was als moderne Physik zu gelten hat und was nicht, gibt es eine feststellbare moderne Philosophie der Physik. 

Es ist die Philosophie, auf die sich jeder durch seine Verfahrungsweise festlegt, indem er die geltende wissenschaftliche Verfahrungsweise befolgt. Diese Philosophie ist in den Methoden mitgegeben, mit denen man die Wissenschaft vorwärtsbringt, manchmal ohne ganz zu verstehen, warum man sie anwendet, und auch in dem Verfahren, das man bei der Führung des Wahrheitsbeweises gelten läßt, wiederum oft ohne zu wissen, welche Art von Beweis es zu liefern imstande ist."

Sir Arthur Eddington im Vorwort zu "Philosophie der Naturwissenschaft"



Es sei ein Bonmot gestattet, das einmal jemand zum Kommunismus geschrieben hat: Die Klassengesellschaft war im Kommunismus keineswegs abgeschafft. Nur deren Untersuchung war verboten.


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Donnerstag, 27. September 2012

Schade um Harald Schmidt

Es ist schade um ihn. Aber wer einerseits so klaren, wachen, originären Verstand hat, anderseits aber doch vom System profitieren möchte, warum auch immer, kann nur im Zynismus enden.

Auszüge aus einem Interview mit Harald Schmidt auf Kurier-online

Hat das Publikum sich tatsächlich geändert?
Ja. Man ist jetzt Wutbürger, aber natürlich nur auf Lohnsteuerkarte und mit Urlaubsansprüchen. Und wenn man das Ganze so ein bisschen ironischer sieht, dann passt das nicht so ganz in den Zeigeist. Aber danach habe ich mich ja noch nie gerichtet. Meine Haltung, was die mediale Panik angeht, ist unverändert geblieben: Morgen läuft ne andere Sau durchs Dorf. Wir haben heute auf den Titelseiten das Thema Polkappen-Schmelzen. Das habe ich, seit ich Kabarett mache, schon vier Mal im Programm gehabt. Dazwischen war das Waldsterben, Aids, Gammelfleisch, BSE-Skandal, Atomenergie. Wenn Sie das eine Weile beobachten, sagen Sie: Es gibt eine große Industrie, die von diesen Meldungen lebt. Das Internet hat das noch verstärkt. Ich bin aber nicht verpflichtet, gleich meinen Cappuccino zu verschütten, nur weil so was in der Zeitung steht.

Von neuen Medien halten Sie bekanntlich nicht so viel. Nur mit Twitter hatten sie sich zwischenzeitlich ein bisschen angefreundet ...
Ich hab’s dann gleich wieder weggeschmissen. Es ist total lächerlich. Das war so ein Versuch: Guckt mal Kinder, wie neugierig ich bin. Einen Scheißdreck interessiert’s mich. Ich habe ein Telefon, das reicht. Und ich habe natürlich jede Menge digitale Sklaven, die alle Frisuren haben, wie man sie in Österreich aus der Zeit kurz nach dem Anschluss kennt – das ist jetzt hip –, und die können das alles. Ich bin auf dem Stand Brieftaube, und mit dem Rest können sich irgendwelche jungen dynamischen Mitarbeiter abstrampeln.

Das Internet wäre für Sie kein Forum?
Facebook ist für mich zum Beispiel total hirnrissig, weil ich davon lebe, dass Informationen, die ich rausgebe, bezahlt werden. Also wieso sollte ich umsonst ins Netz stellen, wie ich in eine Kartoffelsuppe falle? Wenn ich das am Abend von Abonnenten bezahlt kriege.


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Auf Welt-am-Sonntag stand zu lesen:

Welt am Sonntag: Wir erleben seit Jahren eine schwere Krise, ihr Ausgang wird unser Leben und das der nachfolgenden Generationen wesentlich prägen. Dennoch hört man von Ihrem Berufsstand, den deutschen Comedians also, ziemlich wenig zu dem Thema, oder?

Schmidt: Selbstverständlich, und ich kann Ihnen auch sagen, warum: weil sie nicht verstehen, was vor sich geht. Der deutsche Comedian hat doch im Grunde nur eine einzige Haltung: Politiker sind doof. Noch dazu ist sein Publikum überwiegend geistiger Mittelstand. Die klatschen nicht, weil sie gut finden, was da gesagt wird, sondern weil sie dankbar sind, dass sie begriffen haben, wovon die Rede war. [...]

Die größte Herausforderung für alle Comedians ist doch, dass das Schwarz-Weiß-Denken nicht mehr so funktioniert wie früher. Als ich anfing, gab es Franz-Josef Strauß, es gab die Mauer, und es gab Andrej Gromyko, und es war klar – als deutscher Kabarettist war man links. Heutzutage kenne ich keinen mehr, der nur noch in Kategorien von links und rechts denkt – außer im deutschen Kabarett und in deutschen Ortsvereinen. Die wirklich entscheidende Frage ist nur: Wer kann noch erkennen, was mit einer Bilanz versteckt werden soll? [...] Was das Kabarettpublikum hören will, ist schnell erklärt: Die da oben füllen sich die Taschen, und wir werden beschissen.

[...] Nein, ich finde Deutschland großartig. Ich will morgens um sechs das erste Interview mit Wolfgang Bosbach hören, um 6 Uhr 30 will ich Peter Altmaier, und um 6 Uhr 45 will ich Martin Schulz aus Straßburg sagen hören, dass er jetzt endlich nicht mehr aus dem Zimmer geschickt werden will, wenn die Großen reden. All das muss finanziert und durch Steuern gestützt werden, und deswegen habe ich kein einziges Steuersparmodell – freue mich aber über jeden, der sich damit ruiniert.

[...] Welt am Sonntag: Ihre ganzen Reichtümer verwalten Sie selber?
Schmidt: Klar. Nach dem Steinzeitdrittelprinzip: Festgeld, Immobilie, Aktie.

Welt am Sonntag: Und was macht Ihnen da momentan am meisten Freude?
Schmidt: Aktien.

Welt am Sonntag: Welche?
Schmidt: Ich kauf nach Sympathie. Wenn ich den Vorstandsvorsitzenden mag oder wenn einer rausgeflogen ist, den ich nicht leiden konnte. Wie die Wirtschaft eben so ist: tief emotional.



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Der gewaltige Schmerz - Köpfen

aus 2007) Physiologen sind eher gegenteiliger Ansicht - es sei ein sachlich unbegründeter Mythos, daß das Köpfen schmerzlos vor sich gehe. Immerhin sei das Rückenmark, das durchtrennt werde, Sammelpunkt sämtlicher Nervenstränge. Insofern müsse man davon ausgehen, daß der Schmerz zwar kurz, je nachdem nur wenige Minuten lang, genau wisse man es aber nicht, weil einfach der Zeitpunkt des Eintritts des Todes (höchstens das Tot-sein) bis heute nicht wirklich genau zu bestimmen ist, aber in ungeheurer Stärke zu spüren sei, weil immerhin alle diese Nerven durchtrennt würden.

Der letzte aus der Reihe französischen Scharfrichterdynastie Sanson meint, daß seiner Beobachtung nach in vielen Gesichtern der Hingerichteten, die er als Köpfe in Händen hielt bzw. in den Korb fallen sah, zweifellos ein "seltsames Zucken" zu beobachten gewesen war, das man vielleicht als seelenlosen Reflex abtun könne, doch sei doch die Frage, was Schmerz sei, wer bzw. was ihn empfinde. Unter dem Gesichtspunkt, daß man das Gehirn zumindest als Hauptsitz des Bewußtseins anzusehen habe.


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Ausweglosigkeiten

Immer mehr Schulden - Staatsschulden, Privatschulden, versteckte Schulden, Bankschulden - aber immer weniger Menschen, die sie zurückzahlen können, auf diesen Punkt bringt es Hans-Werner Sinn in einem auf Video aufgezeichneten, halbstündigen und in seiner nüchternen Faktendarstellung dramatischen Referat anläßlich der Jahresversammlung des IFO vom Juni 2012 zum Thema "Staatsverschuldung und Generationengerechtigkeit". Wer sich einen klaren Überblick verschaffen möchte, samt einfach nachvollziehbaren Einblicken in Zusammenhänge und (auch bedenkliche) Hintergründe, sollte sich dieses Video ansehen.

Ein Beispiel gefällig? Von 2009 auf 2010 stieg in Deutschland die Schuldenzuwachsquote um 8,6 %, von 74,6 auf 83 % des Staatshaushalts, mit aber nur erstaunlichen 4,6 % Defizit? Wie geht das? Sinn zeigt, daß hier bewußt in den Sack gelogen wird, weil so das Tragen von Fremdverbindlichkeiten nicht ins Defizit - auf das sich die Schuldengrenze des Grundgesetzes bezieht - gar nicht auswirkt.

Schulden, wohin man auch schaut, faßt Sinn zusammen. Schulden auf kommende Generationen zu übertragen bietet natürlich politisch den einfachen Ausweg, Nicht-Wähler zu belasten. Es muß als sichere Prognose betrachtet werden, daß in wenigen Jahrzehnten die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ein Rückzahlen der Schulden unmöglich macht. Unmöglich! Nicht unwahrscheinlich.  Die derzeitige Arbeitsgeneration hat aus zwei Gründen eine leichte Skituation: Es gibt im Verhältnis WENIGE Alte (Kriegsfolgen), sowie WENIGE Junge (Fertilität), die es zu ernähren gilt.

Nur wenige Länder wie Frankreich können, mit deutlich mehr Geburten (in Frankreich selbst in absoluten Zahlen!) als Deutschland mit dzt. 400.000 Geburten (bei 80 Mio Einwohnern) jährlich (zum Vergleich: 1875 gab es 800.000 Geburten, bei 45 Mio Einwohnern), können optimistischer in die Zukunft blicken. Implizite (z. B. bereits bestehende Rentenansprüche) und explizite Schulden zusammengerechnet, hat Deutschland derzeit 287 % des BIP Schulden angehäuft. Zusammengenommen, haben aber alleine die GIIPS-Länder - die Krisenländer derzeit in Europa - die  Schulden von 12 Billionen Euro angehäuft. Diese Schulden kann der Rest Europas unmöglich tragen. 

Das pro Kopf am bei weitem (!) meist überschuldete Land Europas ist übrigens ... Luxemburg. Ein kleiner Hinweis: Jean-Claude Juncker, der Chef der EZB, ist Luxemburger.

Wir haben, sagt er, dennoch vor allem eine private Schuldenkrise, vor allem in den sogenannten "Target-Schulden" - die zur Bezahlung von Importverbindlichkeiten verwendet werden. Die spanischen Außenschulden (ca. 992 Mrd. Euro), die sämtlich private Schulden sind, sind größer, als die aller anderen Krisenländer zusammen. Diese Beträge sind fast zur Gänze durch das substanzlose Drucken von Geld "bezahlt", von Aktivländern wie Deutschland aber mit "echtem" Geld geliehen. Und das bei derzeit insgesamt bereits 2085 Milliarden Euro an BEREITS GEFLOSSENEN Hilfsgeldern des ESM.

Deutschland ist dabei von einem (absehbaren!) Verlust etwa 718 Milliarden Euro betroffen, denn diese Schulden können niemals bezahlt werden. Sinn fordert daher Dept-Equity-Swaps: wo diesen Targetschulden (für echte Lieferungen) wenigstens substanielle Werte in den Krisenländern gegenüberständen.

Aber immer noch nicht wird in Deutschland gespart, immer noch werden Defizite angehäuft, Jahr für Jahr. Und immer noch, ja in exponentiell gesteigertem Maß, werden die Probleme der Gegenwart in die Zukunft verschoben, statt zu lösen versucht. Was aber soll man erwarten, wenn die Finanzmärkte von Physikern angetrieben waren, und die deutsche Staatsleiterin gleichfalls Physikerin ist!

Die demographische-finanzielle Staatskrise in Deutschland in 20 Jahren ist vorprogrammiert, ja unausweichlich, schließt Sinn. Es besteht keine Aussicht auf Verbesserung, nicht zumindest, solange der Euro in der heutigen Form besteht. Zu viele Länder haben ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verloren, und ein Wechselkurs-Realignment von 20 (Frankreich) bis 40 (Portugal, Griechenland) wäre eine der notwendigsten Maßnahmen. Das einzige "Gegenmittel" der EZB derzeit ist aber die Sozialisierung aller Schulden.

Nur grundlegende Paradigmenwechsel in der Politik und in der Bevölkerung könnten noch Auswege bieten. Die es bei derzeitiger Politik aber nicht mehr gibt: wir laufen offenen Auges in den Zusammenbruch. Die Probleme der Gegenwart lassen sich nicht mehr mit Geld lösen, meint deshalb Kardinal Marx auf derselben Versammlung.

Da ist allerdings Roman Herzog in seinem Vortrag, auf derselben Tagung, substantieller, der das derzeitige Verhalten der Politik und Märkte mit dem Verhalten von Drogensüchtigen vergleicht. Und Roman Herzog erzählt aus der Zeit, wo er als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zu Anfang der 1980er Jahre vor der Aufgabe stand, zu sparen: Man beschloß, quer durch alle Ressorts radikal 10 % einzusparen. "Wissen Sie was passiert ist," fragt der ins Auditorium? "Gar nichts!" Erst, als im darauffolgenden Jahr weitere 10 % eingespart wurden, gab es erstes "Geknirsche". Aber nicht nur durch Reduktionen der Gelder läßt sich sparen, sondern es sei zu hinterfragen, ob nicht ganze Aufgabenbereiche der Bundesregierung zu streichen wären.

Das trifft sich exakt mit den Erfahrungen und Einschätzungen des Verfassers dieser Zeilen. Zahlenverhältnisse bei organismischen Lebensvorgängen sind zudem erstaunlich "allgemein".)

Und Österreich? Hierzulande wird das Problem noch phantastischer zum geld hin verschoben, denn der Bevölkerungszuwachs steigert nach wie vor die Zahl der Steuerzahler, sodaß es für manche aussieht, als wären wir in einer besseren Lage. Aber das dient nur der Aufrechterhaltung des Scheins. Substantiell ist Österreich in absolut derselben, ja durch geringere Vermögenswerte langfristig noch schlechteren Lage.



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Mittwoch, 26. September 2012

Erfüllte Prophezeiung

aus 2007) Dem ersten der Sansons, der die fünf Generationen der Scharfrichter von Paris begründete, war vorhergesagt worden, daß er u. a. seinen Vetter, den er sehr liebte, töten würde. Nicht deshalb aber alleine verlor Sanson jeden Kontakt mit diesem, der nach Amerika bzw. zur See ging.

Als Sanson I. in Paris lägst Scharfrichter Ludwigs XIV. war, wurde er eines Nachts von einer Räuberbande entführt. Glaubte er erst, diese würden ihm Leids antun, stellte sich bald heraus, daß zum Gegenteil die Bande von ihm wollte, daß er einen von ihnen wegen Diebstahls der "Altersversorgung" - einer Reservekassa quasi - zum Tode verurteilten Kumpan vom Leben zum Tode befördern sollte.

Sanson weigerte sich, ja mußte sogar erkennen, daß dieser von diesem Femegericht "Verurteilte" sein ... Cousin war. Den nun die Meute zu einem Geständnis zwingen will, indem sie ihm folternd die Füße verbrennt ... bis einer mit einer Axt zuschlägt, aber nicht trifft; die Axt verletzt nur die Nackenmuskeln, der "Veurteilte" läuft durch den Raum, seinem Henker davon, dieser hinterdrein ...

Endlich kommt der durch einen Schlaganfall erst bewußtlose Sanson zur Besinnung, reißt entschlossen ein breites Schwert an sich, will seinen Vetter verteidigen, holt aus, schlägt zu. In diesem Augenblick laufen sein Vetter sowie der Bandit an ihm vorbei, Sanson trifft zufällig und den Nächstbesten ... und es ist sein Vetter, dessen Kopf auf den Boden rollt.


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Mythos Selbstevidenz

Wären die Fälle nicht so typisch, der Verfasser dieser Zeilen würde sie unter Grotesken des Alltags einordnen, und ablegen. Aber da war dieser Fall vor zehn, zwölf Jahren. Eine Dame mit gewissen sozialen Ambitionen war an den Autor herangetreten: sie hätte einen jungen Mann, gutaussehend, der sich sehr für computer interessiere. Da sie wisse, aus meiner Homepage sehe, daß ich in dem Feld bewandert sei, mehr als alle die sie sonst kenne, bäte sie mich, mit ihm zu sprechen. Denn er wisse nicht, welchen Beruf er ergreifen solle.

Also ließ ich ihn kommen. Sein "gutaussehend" entpuppte sich rasch als "schwerstens narzißtisch gestört", denn der junge Mann war gar nicht in der Lage, ein Gespräch zu führen, das man als solches zu verstehen hätte: stattdessen starrte er ständig in den Spiegel, der sich im Zimmer befand, und nicht einen Moment hatte ich den Eindruck, daß er überhaupt in der Lage war, mir zuzuhören. Na, was er sich denn so vorstelle, begann ich trotzdem. Computer. Was: Computer? Na Computer. Er interessiere sich so für Computer, ob ich ihm da was sagen könne. Es tauge ihm so - am Computer zu arbeiten. Da erblickte er meinen, und stürzte sofort darauf los, wollte ihn einschalten. Ob das ein Soundso sei, ob der diese oder jene Karte habe, diese oder jene ... Ich starrte ihn an. Das weiß ich nicht, das hat mich auch nie interessiert, wozu auch? Während er nun am Gerät herumnestelte, setzte ich fort: Ja, Computer, gut, aber was stelle er sich als TÄTIGKEIT vor?
Wäre er in der Lage gewesen, zu starren, hätte ER es nun getan. Was? Was tätigkeit? Na: Ein Computer sei ein Werkzeug, das man für einen Zweck einsetze. Also muß man bei diesem Zweck anfangen, bei dieser Tätigkeit! Er schwieg. Sie kennen sich ja gar nicht aus, bei Computern, meinte er. Und ... ging. Und in seinen Gesten lag so viel Verachtung, wie ein Angehöriger des Hochadels - Computer! - nur niedrigen Dienstboten gegenüber haben kann.

Der zweite Fall ereignete sich erst vor wenigen Wochen. Eine Nachbarin kam auf mich zu. Ihr Sohn habe nun eine zweijährige Computerfachschule absolviert, EU-gefördert! Nun suche er "einen Job", ob ich ihm da helfen könne? Und ich hatte noch nicht einmal geantwortet, verschwand sie wieder in ihrer Wohnung, um mit einem Packen ausgedruckter Bewerbungsunterlagen zurückzukommen, den sie mir entegegenreckte. Ich nahm ein Exemplar, und überflog den Text. Seine Liste der Befähigungen enthielt alle möglichen Programmnamen, die meisten mir gut bekannt. Am Schluß stand unter "besondere Fähigkeiten" der beeindruckende Satz: "Ausgezeichnete Kommunikationskenntnisse". 

Ich schluckte. Mit erwartungsvollem Blick meinte sie: das wäre doch hoch qualifiziert? In Österreich würde man damit doch einen "guten Job" kriegen? Computer!? Verlegen wehrte ich ab, ich könne nicht helfen, vielleicht sollte man das Wort "Kommunikationskenntnisse" ändern, so sage man nicht, nicht wirklich. Enttäuscht zog sie von hinnen.

Was ich ihr ersparen wollte war die nüchterne Feststellung, daß man mit diesen "Kenntnissen" so gut wie gar keinen Beruf ergreifen könne. Denn auch wenn es an allen Ecken und Enden zu hören ist - die Bedienung eines Computers ist bestenfalls ein "Skill", eine Tätigkeit, die man AUCH vorweisen kann. Und wenn nicht, ist das Bedienen von Programmen leicht, sehr leicht sogar, erlernbar. Genausowenig heißt das Bedienen von iPods, die Einrichtung einer Facebook-Seite, daß man "gut kommunizieren" könne. Denn das ist allemal noch eine Frage des "was, worüber?" - also von Inhalten, von Identitäten und Identifikationen, von konkreten Aufgaben. Mir fiele nicht ein Beruf ein - außer das direkte Erstellen von Programmen für Telekommunikationsunternehmen o.ä. - in dem "ausgezeichnete Kommunikationskenntnisse" OHNE konkrete Aufgabe im Unternehmen einen Sinn machen könnte.

Aber der Mythos "Computer" - und das zeigte sich mir - lebt ungebrochen. Dabei ist er buchstäblich leer! Er ist mit dem Verhältnis zur Magie vergleichbar. Joseph Weizenbaum, einer der Pioniere der "artificial intelligence" schreibt sogar, daß nicht einmal mehr die Programmiere selbst wüßten, WAS sie da überhaupt täten. Niemand, wirklich niemand durchschaut mehr komplexe Programme, sondern alle bedienen sie. Und die, die solche Programmepigonen erstellen, sind in der Regel alles andere als "intelligente" Menschen - sie sind (schreibt Weizenbaum) auffallend oft krankhafte, fanatische Charaktere, die in der im Grunde simplen Logik des Programmierens regelrecht untergingen.  Kein Programm ist aber selbstevident! Das heißt, daß mit der Komplexität des Programmierens auch das Unverständnis der Programme steige: man wisse buchstäblich nicht mehr, WAS die Programme überhaupt bewerkstelligten.

Aber der Mythos lebt nach wie vor. Und mit dem größten Kopfschütteln muß man kommentieren, wenn man hört, daß schon in Volksschulen Computer angewendet werden sollten und werden - auch hier steht die EU dahinter.

Zugleich werden Meldungen laut, daß die Lesefähigkeit der Schüler so dramatisch einbreche. Vor allem die Sinnerfassung sei beklagenswert gesunken. Dabei - so war allen Ernstes zu hören - würde durch die Computer so viel wie noch nie gelesen!

In allen diesen Aussagen verbirgt sich etwas, das, folgt man Walter Ong, zumindest unter starker Mitwirkung des Buchdrucks erfolgte: der Glaube an die Selbstevidenz von Sprache und Mittel, so wie sie aus der Objektivierung der Welt im Zuge des Aufkommens Galileischer Geisteshaltung entstand - Ong sieht eins ins andere greifen. Denn die eigentliche Leistung bei der Bedienung eines Werkzeugs, wie dem Computer, die eigentliche Leistung beim Lesen, ist nicht die technisch korrekte Bedienung oder Umsetzung von Zeichen und Hebeln. Es ist die schöpferische INHALTLICHE Leistung! In dem Maß, in dem jemand meint, das Werkzeug erledige eine Aufgabe selbständig, man müsse es nur noch bedienen, verliert es genau das, was es überhaupt leisten könnte: Hilfestellung bei der Lösung einer Aufgabe, die aber immer noch der Mensch selbst zu leisten hat!

Dieser Glaube aber bewirkt, daß das eigentliche Wesen der Welt in die Dinge hineinverlegt wird. Sie zu besitzen, sie bedienen zu können - natürlich in einem tief reduzierten, technizistischen, utilitaristischen Sinn - genüge. Der Mensch selber aber müsse sich nicht damit befassen, könne es auch gedanklich-geistig auslagern. Man müsse nur Mechanismen bedienen können. DAS seien die Fähigkeiten. Wobei hier gar nicht darauf eingegangen werden soll, wie sehr das Bedienen von Mechnismen selber die Strukturen des Bedieners verändert und prägt.

Wer telephoniert will jemandem ETWAS sagen, oder nur den Kontakt auffrischen, will ein Problem erledigt wissen, will mahnen oder ermuntern. Wer einen Computer bedient will eine Rechnung erstellen, eine Hochzeitseinladung gestalten, oder fünf Welpen verkaufen. Wer sich nicht für Welpen interessiert, wird keinen Käufer dafür finden! (Er wird aber eine Börse für Welpenpreise betreiben können, das wohl, und das haben wir ja gemerkt: praktisch sämtliche Trader der großen Maklerhäuser stammen mittlerweile aus der Physik. Denn Physiker, vor allem Quantenphysiker, können mit den komplexen Kybernetik- und Statistiksystemen am besten umgehen, über die Börsegeschäfte heute laufen. Auch hier also: Ablauf für sich ...)

Lesen ist eine geistige Leistung, eine Leistung des Herzens, der Haltung, der Phantasie, des realen Welterfassens. Es braucht Erinnerung, Weltverstehen, Erfahrung, Liebe, ja überhaupt Gefühle. Vielleicht bringt eine Intensivierung des Lesetrainings (oder des Angebots von Computerkursen und -schulen) eine Steigerung der Automatismen, in denen man die Zeichen und Hebel bedient. Aber weder macht es das Lesen zum LESEN, noch verbessert die Bedienung von Computern oder Kommunikationshilfsmitteln wie iPhones die Problemlösungskraft. Der Glaube an diese Mythen, der Umbau unserer Psyche zu einem Werkzeugsbedienungsmechanismus aber verhindert ganz gewiß, daß uns die Aufgabe bewußt bleibt, daß es nicht die Mittel sind, sondern wir, als im Leben Stehende, die die Welt zu bewältigen haben, in der Hingabe an eine wirkliche, inhaltliche, nicht einfach strukturelle Aufgabe, aus dem Eros der Dinge, der Welt. Immer noch. Was für ein Wunder.



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Zum Drüberstreuen

Einen originellen Gedanken findet man auf WELT-online, er stammt aus der Feder von Henryk Broder:

Wenn Beschneidung einen Eingriff ins Persönlichkeitsrecht der Unversehrtheit darstellt - gilt das auch für das Stechen von Löchern für Ohrringe? 

Ein siebenjähriges Kind hatte sich zum Geburtstag Ohrringe gewünscht, auf beiden Ohren, welchen Wunsch die Eltern umgehend erfüllten - durch Besuch eines Piercing-Studios. Doch war den Eltern die Arbeit des Stechers nicht gut genug, die Höhe der gestochenen Löcher wich um 2 mm ab. Auf Drängen der Eltern wurde das Loch mit Salbe zugeschmiert, und ein neues Loch gestochen. Die erste Wunde entzündete sich aber, woraufhin die Eltern das Studio verklagten.

Der Rat des Richters sah so aus, daß es auch den Eltern Mitschuld gab. Denn das Kind ist nicht entscheidungsfähig. Es kam zu einem Vergleich - das Kind erhielt für "das erlittene Trauma" 70 Euro Schmerzensgeld vom Studio - um die Verfahrenskosten, die ein Urteil nach sich gezogen hätte, so gering wie möglich zu halten. Aber dann hätte womöglich auch die Frage geklärt werden  müssen, ob Eltern ihrem Kind überhaupt Ohrringe stechen lassen DÜRFEN. Ob nicht das Stechen der Löcher ins Ohr bereits einen Straftatbestand darstellt.

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Dafür hat sich der deutsche Ethikrat damit befaßt. Und er tat es in Form zweier Videos, die beide Vorgänge zeigen. Zuschauerinnern seien ohnmächtig geworden, hieß es, und die FAZ schildert den Vorgang. Keiner der Umstehenden - Männer, Frauen, Kinder - hätte gelächelt, schreibt sie. Der Vorgang der Beschneidung selbst dauere 12, 13 Sekunden.

Wir machen die Videos von hier aus nicht zugängig, die angeblich "Youtube-Hits" geworden sind. Akte heiliger Handlungen widersetzen sich per se einer Entfernung der sie verbergenden Vorhänge, unter den Augen des Voyeurs lösen sie sich auf. Das Wesen der Sakralität ist untrennbar mit Blut verbunden - was aufs Blut geht stand und steht unter dem Signum des heiligen Mysteriums. Wer einmal ein Tier geschlachtet hat weiß das, und im Faszinosum der Jagd lebt es nach wie vor. Aber sogar das ganze Mysterium des Christentums hebt von einem Schlachtoper aus an. 

Wer Blut um jeden Preis zu vermeiden sucht schließt sich schon prinzipiell von der Heiligkeit aus. Die Sentimentalität der Gegenwart ist somit tief banal und nihilistisch wie jede Banalität.


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Dienstag, 25. September 2012

Was ist der Nationalsozialismus gewesen?

aus 2007) Eine der präzisesten Formulierungen zur Ideologie des Nationalsozialismus fand ich in dem bemerkenswerten Buch "Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus" von Avraham Barkai (Fischer-TB-Verlag; 1988):

"Hitler und seine Ideologen waren ... die "terribles simplificateurs", die die stereotypen Klischees früherer völkischer Pamphletisten, aber auch die obrigkeitsstaatlichen Normen traditionell-konservativer Eliten eklektisch zusammenfügten und daraus die wirkungsvolle ideologische Plattform für eine politische Massenbewegung schufen ... die weder mit dem ursprünglichen christlichen Konservativismus noch mit dem Liberalismus oder dem Marxismus, denen hier der Kampf angesagt wurde, auch nur annähernd vergleichbar waren ... und den vornehmlich mittelständischen Gesellschaftsschichten die Möglichkeit bot, sich in extrem vulgarisierter Form die Anschauungen einer traditionellen Oberschicht zu eigen zu machen."



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Nachwuchsförderung

Selbst wenn es gilt, bei dem Thema hart zu steuern, um das Makabre, Seltsame nicht ins Geschmacklose abgleiten zu lassen, und diese Grenze ist hauchdünn, soll es aufgegriffen werden: Die Medaillen, die Österreich bei den Olympischen Spielen (der Gesunden) nicht gemacht hat, holt es nun bei den Paralympics, den Olympiaden der Behindertensportler, nach.

Das ist in diesem Land aber kein Wunder. Denn das ganze Land scheint sich seit vielen Jahren auf die Förderung Behinderter zu spezialisieren. Gesetze um Gesetze werden erlassen, die unter dem Stichwort "Schwellenminimierung" Behinderte zu normalen Mitbürgern machen sollen. Ihre Behinderung soll keine Rolle mehr spielen: die Krankenkassen öffnen ihre Börsen weit, und Bewerbungen sollen neutralisiert werden, um spezifische Begabungen objektiv zu erfassen. Österreich ist ein Land der Behinderten geworden.

In der NZZ wird das Thema mit einem lachenden und einem weinenden Auge diskutiert. Denn in der Medaillenbilanz der Paralympics rangiert die Schweiz unter "ferner liefen". Wird dort zu wenig für Behinderte getan?

Viele Präventivmaßnahmen, relativ seltene schwere Unfälle, aber auch das mangelnde Engagement der Schweiz in kriegerischen Konflikten tun das ihre, um relativ weniger Menschen zu haben, die behindert sind. Dazu kommt eine bestens ausgebaute Versorgung mit pränatalen Diagnostikzentren, sodaß Behinderte gar nicht erst zur Welt kommen müssen, wenn die Schwangeren das nicht wollen. (Wiewohl die Schweizerische Akademie für Medizinische Wissenschaften genetische Vorselektion aus ethischen Gründen ablehnt, und seit 2006 sind solche Untersuchungen - wie überhaupt Präimplantationsdiagnostik - auch verboten.)

Durch Erblindung oder Amputationen Beeinträchtigte seien aber - offenbar anders als in Österreich - nach den obligatorischen Krankenhausaufenthalten oft kaum mehr aufzufinden. Und im Krankenhaus selbst solche anzusprechen habe wenig Sinn, so die NZZ, weil die Menschen dort keinen Sinn dafür hätten. Während solche, die an einen Rollstuhl gebunden seien, stärker in die offiziellen Pflegestrukturen eingebunden, und damit leichter ansprechbar wären.

Es fehlt also der Nachwuchs, schreibt die NZZ. Wie man den Satz freilich lesen soll, sei dem Leser anheimgestellt: 

"Die beiden Schweizer Behindertensportorganisationen PluSport und die Sportabteilung der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung in Nottwil (SPV) bemühen sich intensiv um die Förderung von neuen Talenten ..."



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Devastierte Landschaften

Die Presse bringt ein Interview mit Anna Diamantopoulou, der griechischen Kurzzeit-Minsterin für Wettbewerbsfähigkeit.

Unser Land plagt eine Mischung an Problemen: einerseits der öffentliche Sektor und die Rolle des Staates in der griechischen Wirtschaft, andererseits die Produktionskultur in Griechenland. Zumindest in den letzten dreißig Jahren haben wir nichts mehr produziert. Wir haben nur noch konsumiert. Das ist die Wahrheit. Jetzt muss sich alles über Nacht ändern, und das ist nicht einfach. Aber es gibt Veränderungen: Vor drei Jahren wollten etwa 85 Prozent der jungen Griechen in den Staatsdienst eintreten, heute ist das nur noch für fünf Prozent interessant.

Das braucht keinen weiteren Kommentar. Aus einem bestimmten Grund aber seien noch ein paar Passagen gebracht:

Wir haben schon das Pensions-, das Bildungs- und das Gesundheitssystem reformiert. Was wir nicht gemacht haben – und dafür kann man uns kritisieren: Es gibt noch keine große Steuerreform, und die Privatisierungen verzögern sich. Es ist aber auch schwierig, Investoren zu finden in einem Land, über das jeden zweiten Tag gesagt wird, es stehe vor dem Bankrott oder vor dem Austritt aus der Währungsunion. [...]

Seit Sommer 2010 haben wir Dutzende von Statements von europäischen und nationalen Politikern über Griechenland gehört. Plötzlich ist jeder ein Experte, jeder muss etwas zur Zukunft des Landes sagen. Was oft vergessen wird: All das löst große Reaktionen auf den Märkten und in den anderen Ländern aus, auch wenn es nur an die eigene nationale Öffentlichkeit gerichtet ist. Diese Überproduktion von Statements über Griechenland hat eine polemische Atmosphäre geschaffen. [...]

Ich bin überzeugt, dass Griechenland das Geld zurückzahlen wird. Das ist eine Frage des Stolzes. Dafür brauchen wir aber Luft zum Atmen und Luft, um zu produzieren. Wenn die Wirtschaft nicht wieder anspringt, können wir gar nichts zurückgeben. Wir müssen zuerst Wohlstand schaffen, dann kommt das Geld zurück. [...]

Nur auf zwei Mechanismen sei hingewiesen: der eine ist, daß begreiflich wird, warum Sprechen zur Propaganda wird; der andere deutet den Zwang zur Logik der Systemerhaltung an. Denn der "Rettungsweg" für Griechenland ist der Weg zur Anpassungsoptimierung an den Technizismus des heutigen Wirtschaftens, der dem ganzen Land aufoktroyuiert wird. Und die Bewohner stimmen dem zu, weil sie längst die Fähigkeit und den Willen, ihr Leben zu gestalten, verloren haben.

In diesen Themenkreis paßt auch, was immer wieder über Hilfsmaßnahmen der Weltbank sowie der UNO zu hören ist: Finanzhilfe wird an die Bedingung gekoppelt, eine "moderne Gesellschaft" zu etablieren. Und das heißt vor allem, Empfängnisverhütung, Abtreibung und Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen "Ehe" gesetzlich zu verankern.

Nur entwurzelte, dem Leben entfremdete Menschen sind auch systemkonform. Hier, wie dort. Wenn freilich das System kippt, fällt die Last der Beseitigung der Scherben an genau dieselben Menschen wieder zurück.



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Montag, 24. September 2012

Fakten einer Kriegswirtschaft

aus 2007) Zwischen September 1937 und Juli 1938 sammelten deutsche Frauen- und Jugenverbände in 150 Städten 55.000 Tonnen alter Konservenbüchsen.

Alleine in Polen und Frankreich fielen den Deutschen 272.000 Tonnen Eisenerze und 355.000 Tonnen an Nichteisenmetallen in die Hände.

Es war anhand völliger Lücken in der Planung offensichtlich, daß Hitler nicht mit einem langen Krieg gerechnet hatte. Die Umstellung erfolgte erst 1942.

Bei gleichbleibender ziviler Produktion produzierte Deutschlands Industrie im ersten Halbjahr 1944 DREIMAL soviel Munition und SECHSMAL soviele Panzer wie im gesamten Jahr 1941.

War der Anteil der Waffen- und Kriegsmittelproduktion am gesamten Industrieprodukt 1941 noch 16 % gewesen, so stieg er 1944 auf über 40 %.

1943 betrug die Produktion ziviler Güter noch 90 % des realen Vorkriegsprodukts. Die deutsche Führung war in höchstem Maße bedacht, die Stimmung in der Bevölkerung nicht sinken zu lassen. Nur so war es auch möglich, die konstant 2,5 Mio Frauen, die in der Rüstungsindustrie arbeiteten, in einer Schicht bei annähernd gleichbleibender Stundenarbeitsleistung Rüstungsgüter zu produzieren, für die in England die Frauen bereits in zwei und dann drei Schichten schufteten. Die verhältnismäßig hohen Familiengelder der mobilisierten Soldaten ermöglichten den Frauen auch ohne Fabriksarbeit einen ziemlich hohen Lebensstandard.

Über 20 % der deutschen Industriearbeiter wurden durch Zwangsarbeiter gestellt - bis Mai 1944 alleine 7 Millionen. Nicht berücksichtigt jene Firmen z. B. die 150 der SS, die direkt in den besetzten Ländern produzierten.

Man schätzt die Kosten des gesamten Krieges für Deutschland auf 685 bis 850 Milliarden Reichsmark. Davon wurden nur etwa 25 % durch in Deutschland selbst erhobene Steuern gedeckt! Ohne systematische Ausplünderung der besetzten Länder hätte - das kann man mit Sicherheit sagen - Deutschland den Krieg nie finanzieren können - sodaß in Deutschland selbst ein Lebensstandard herrschte, der nur geringfügig unter dem von 1938 lag. Man muß also die Frage gelten lassen, was diese Werte zum späteren deutschen Wirtschaftswunder beitrugen.


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Besser ohne Gut

"Wir verbessern Österreich," schlagzeilt der Kurier in einer Ausgabe vom 8. September 2012. Und veranstaltet ein Fest, zu dem auch der Bundeskanzler kommt. Unter stärkerer Einbindung der Leser, die als "Familie" angesprochen werden, will sich der Kurier zukünftig nämlich als Leitlinie darum kümmern, daß positive Veränderungen initiiert und über Druck auf die Politik auch durchgeführt werden. Die Menschen hätten den Eindruck, so der Kurier, daß sich im Land zu wenig bewege. Das solle nun anders werden, indem sie mit dem Kurier bewegen würden.

Das liest sich ... höchst seltsam. Und man könnte durchaus fragen, ob der Kurier nicht aufgehört hat, eine Zeitung im herkömmlichen Sinn zu sein. Als einzige Zeitung (wie zu betonen nicht aufgehört wird) habe er im letzten Jahr die Anzahl der verkauften Exemplare sogar gesteigert (während überall sonst der Printmarkt mehr oder weniger einbricht, angeblich weil er gegen Online-News verliert.)

Das ist freilich nur möglich, indem sich die Natur der Zeitung wandelt. Indem sie Partei wird, deren Wirken nicht mehr nach journalistischen, sondern agogischen Maßstäben zu bewerten ist. Wobei der Kurier diesen Eindruck - so wie die meisten österreichischen Blätter - ohnehin immer schon macht, war er doch sogar das Propagandablatt der amerikanischen Besatzer, als Waffe im Kalten Krieg also wurde er gegründet, wo jede Meldung in Hinblick auf ihren bewußtseinsbildenden, antisowjetischen Faktor zu messen war.  Immerhin begann die Ostfront des Westens im Burgenland, selbst die Verteidigungsdoktrine war an den Strategien der Westarmeen ausgerichtet, un damit Teil davon. So sehr sich Österreich auch gemüht hat, die Kapuze über den Kopf zu ziehen und "Du siehst mich nicht!" zu spielen.

Das "die Welt besser machen" liegt aber sowieso den Österreichern im Blut, und auch der Kurier bleibt seiner Tradition treu. In  Zukunft wird er also seine bisherige Tendenz zur offiziellen Programmatik machen: die Ereignisse, über die man berichtet, selbst schaffen - im Dienste des Besseren ...

Wo hat man das alles aber nur schon gelesen ... wo nur ... ach, war das nicht in Jacques Ellul's tollem Werk über die "Propaganda"? Die nämlich keineswegs wie landläufig die Meinung herrscht dafür da ist, um Meinungen durch Lügen zu verändern. Solche Propaganda verdient ihren Namen nicht. Wirkliche Propaganda versucht, die Menschen lückenlos identitär einzubinden, weiß daß sie die Menschen zur Bewegung bringen muß. Ellul schreibt, daß das Wesentliche bei der Propaganda nicht die kurz- oder mittelfristige Meinungsänderung ist, das greift viel zu kurz. Effektive Propaganda verändert die Rezeptionsstruktur des Menschen, durch Eingriffe in seine Identität, am Leitfaden eines Mythos.

Aber gut, der Umbau der Menschen von Konsumenten zu aktiv Beteiligten, unter Einrichtung eines Mythos (weil Inhalte nie exakt genug faßbar, aber auch festlegbar sind, auch weil sie ja wechseln), gilt ohnehin schon seit langem als Nonplusultra des Marketing. Und zahlreiche Unternehmen haben es längst vorexerziert.

Simone Weil schlägt einmal vor, daß jede Zeitung, die beginnt, ihre Veröffentlichungen und Autoren nach bestimmten Kriterien zu selektieren, per Gesetz verboten werden muß. Aber gut, die ist ja immer so radikal, in ihrer Liebe zum Menschen, weshalb sie alles ablehnt, was ihn in der Offenheit der Apperzeption der umfassenden Wirklichkeit einschränken könnte. Weil es nur dort überhaupt ein Gut gibt.



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Ambivalenzen

aus 2007) Man kann es drehen, man kann es wenden - auf zwei Büchern - Homer's Ilias und Odyssee sowie der Bibel, als Altes und Neues Testament - beruht unsere gesamte Abendländische Kultur? Alle späteren Spuren führen zu diesen beiden Büchern, alle späteren Gehalte und Gestalten sind in ihnen bereits angelegt. Wobei Homer selbst wiederum in der Bibel enthalten ist.

Ja, und doch genau auch: nein. Denn unsere Kultur beruht eben auf den darin bezeichneten Inhalten, und als Kunstwerke: auf den in ihnen dargestellten Inhalten. Aber immer sind es die Inhalte, das Dahinter, und das kann nur in der Tradition weitergegeben werden: von Seinendem zu Seiendem.

Auf Homer und der Bibel ALS Bücher aber beruht zugleich alles, was das Abendland ruiniert hat und ruiniert.

Was immer aber darüber hinaus die Kultur angreift und angegriffen und geschwächt hat, stammt bestenfalls aus dem Versuch, Inhalte darüber hinaus zu erfinden, und zu verankern, die aber gar keine Inhalte sind. So jene Irrtümer, die aus der Veränderung des Denkens erfolgen, die durch das Medium Buch selbst bedingt sind, sobald es absolut genommen wurde.



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Sonntag, 23. September 2012

Herrschaft über das Leben

Es gibt starke Bestrebungen - die Österreichische Volkspartei hat es sogar dezidiert als politisches Ziel verkündet, die anderen verfolgen es eher leiser, implizit, aber um nichts weniger effizient - auch die noch jeweils nationale Wirtschafts- und Sozialpolitik in die Hände der EU-Zentralen zu legen. Das ist aus mehreren Gründen ein katastrophaler Irrweg, so wenig verwunderlich diese Bestrebungen sind. Denn die Lebensweise der Menschen ist es, die einem totalitären Geldwirtschaftsbetrieb, in den unsere Gesellschaften sich längst umgewandelt haben, am nachhaltigsten (und letztlich: unüberwindlich) entgegenstehen.

Beide politischen Bereiche sind damit aber jene Bereiche, in denen Politik im Grunde überhaupt nichts zu suchen hat. Denn Politik kann Lebensweisen nur abbilden und schützen, sie kann und darf sie nicht "gestalten".

Wenn also der Autor dieser Zeilen sich 1993 mit allem was ihm zu Gebote stand zu verhindern versuchte, daß Österreich sich der EU in den Leib schreibt dann genau aus diesem Grund: Wenn ein staatliches Bündnis, an das so viele Souveränitätsrechte abgetreten werden wie das hier der Fall war (und noch sein wird, auch das eine logische Folge), so kann das bestenfalls dann für gut geheißen werden, wenn dieses Bündnis dem Schutz der jeweiligen Lebensweise dient. Im Falle Österreich aber war überwiegende Argumentation, daß der Beitritt zur EU eine massive Anpassung der Art zu wirtschaften und zu leben bedeuten würde. Das hat man mit brutaler Wohlstandsagitation schmackhaft zu machen versucht. Weil den Menschen gar nicht klar war, was das für sie bedeuten wird.

Somit sind unter dem grauenvollen Stichwort "Strukturanpassungen" sämtliche Wirtschaftsbereiche den abstraktiven EU-Strukturen angeglichen worden. Und das hieß in allen Bereichen - von der Landwirtschaft über den Handel und die Produktion (als Verindustrialisierung) - den Umstieg von der eher immer noch kleinstrukturierten, persönlichen Gewerbelandschaft in eine rein mathematisch-abstraktive Geldwirtschaft. Niemand hat sich damals etwas dabei gedacht davon zu sprechen, daß alleine 200.000 Kleinbauern ihren Betrieb werden aufgeben müssen! Stattdessen hat man mit Geld- und Subventionsversprechen die Schädigungen, die dadurch im Lebensgefüge des Landes eintreten würden, auf rein pekuniäre Mechanismen zu reduzieren. Nur wenige, zu wenige, haben dieses perfide Spiel größenwahnsinnig-eitler und bösartig-dummer Funktionärseliten durchschaut.

Noch mehr wird passieren, wenn der ohnehin an sich kranke, praktisch die Lebensführung bis in die letzten Winkel regulierende (ja, Leben ersetzen wollende) Sozialstaat, der bereits ein politisches Tabu schamlos bricht, nämlich die Lebensführung der Menschen nicht zu schützen und zu repräsentieren, sondern zu verändern, einer abstrakten Norm anzupassen, durch eine gesamteuropäische Sozialpolitik in noch größerem Rahmen noch abstrakter, das Spielfeld ideologisch induzierter Sozialwissenschaften, normiert werden sollte.

Aber eines ist klar: durch monetären Schuldenwahnsinn noch enger zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt, in der sich die gegenwärtige Politik an einer ultimativen Grenze festnagelt, die jede wirkliche Richtungsänderung an der Frage des Überlebens der Staaten überhaupt zerschellen läßt, muß nun die EU dafür sorgen, daß ihr die Völker, die Menschen, keinen Strich durch die Rechnung machen. Nur durch eine rigorose Gleichschaltung der Lebensführung der betroffenen Europäer, von der durch Finanzpolitik festgelegten Überlebensdoktrine des Systems her durchgesetzt, kann dies gewährleistet werden. Dazu müssen die subjektiven Haltungen entwurzelt werden. 

Wie meinte doch unlängst der Grün-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit, indem er einen schottischen Abgeordneten, der genau vor diesem nächsten Schritt der Hypertrophierung warnte, lächerlich machte? "Sie können wohl die moderne Welt nicht verstehen!" 

Doch, Herr Cohn-Bendit. WIR verstehen sie.



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Nachsatz: Die OECD hat jüngst Österreich krisisiert. Es gebe zu wenige Akademiker, zu wenig Menschen mit höherer Bildung. Österreich werde zurückfallen, wenn sich das nicht ändere. Noch dazu seien die Bildungsausgaben im Land weit überdurchschnittlich, das System also offenbar ineffizient. 

Wie das klingt? Was das real ist? Die Aufforderung, noch mehr gehirngewaschene Systemfunktionäre vorzubereiten, die lokale Schaltstellen internationaler Abstraktionsnormen bilden. Als ob es nicht schon lange zu viele von jenen gäbe, die mangels Boden unter den Füßen und deshalb zutiefst gelangweilt bloße Generatoren des Technizismus in allen Bereichen wären.


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Die Haltung eines Römers

aus 2007) Henker Sanson schildert die Haltung des ehemaligen Ministers Malesherbes angesichts des Urteils "Tod durch die Guillotine" im Jahre 1794:

Sanson betrat den Raum, in dem der Verurteilte bereits wartete. Der zog noch seine Taschenuhr auf, steckte sie in das Wams, setzte sich, und bot das Haupt zum üblichen Haarschnitt durch den Henker, damit die Guillotinierung nicht behindert werden konnte. Als die Schur fertig war, bat er, angesischts der nun schütteren Haarpracht die Perücke wieder aufsetzen zu dürfen. "Ich werde wohl ein Weichling bleiben bis zum Tode - ich fürchte nicht so sehr, mich zu verkühlen, aber die Kälte ist mir fürchte ich unangenehm!" Der Henker gestatette ihm also, sie aufzusetzen.

Als sie das Haus verließen, um auf den Karren zum Schafott zu steigen, stolperte der Minister fast auf der Treppe. "Das scheint man als schlechtes Omen deuten zu müssen," meinte er. "Ein Römer wäre an meiner Stelle wieder umgekehrt."




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Opfer und Fest

aus 2007) Das Opfer wie das Fest sind Orte, die dem Utilitarismus entzogen sind. In beiden Fällen - im Charakter der inneren Bewegung des Loslassens, des unbedingten Gehorsams einem Numinosum gegenüber, das mit Geschenk und Überraschung agiert (oder auch nicht), gar nicht unterscheidbar - vollzieht sich eine Absage an die innerweltlichen Zwänge, beides sind also transzendente Geschehen. Und sie sind Verzehr der Gaben, deren Geber man sich opfernd überanwortet. Sein Wirken, seine Gabe wird als höher eingeschätzt als das, was man mit der Opfergabe verliert. Sohin ist jede Feier eine Vorwegnahme des Paradieses, des vollkommenen Glücks, eine Realwerdung der Utopie.

Dort gründet auch die Idee des Kirchenbaus, des Baus eines Sakralraumes (und sei es durch den Schmuck der Wohnung), der innerweltlich das Vollkommene, aber nicht einfach dem Alltag Zugehörige darstellt und damit ist.

Dieses Vollkommene aber ist einerseits Ziel, anderseits jedoch Ausgangspunkt allen menschlichen Handelns. Jede Handlung trägt das Bild des Endzustandes, das sie in der handelnden Verwandlung zu erreichen sucht, vorausgehend in sich und sucht sie zu materialisieren. Erst in dieser Materialisation ist ihr Ziel erreicht, ist Befriedigung hergestellt.

Somit ist der Bau eines den Mittelpunkt bildenden Sakralraumes Ausgangspunkt einer Siedlung, wenn auch vielleicht erst nur geplant. Eine menschliche Ansiedlung hat nur dann Bestand, wenn sie einen solchen Sakralraum in ihrer Mitte trägt. Das läßt sich am historischen Siedlungsbau weltweit nachweisen. Hat ein Siedlungsraum kein solches transzendentes Zentrum, zerfällt er wieder. Hat er eines, so beweist er seine Hinorientierung auf Dauer und Weltformung.

Selbst der Kommunismus hat es mit seinen Zentren der Aufbewahrung weil Darstellung der reinen, regenerierend, stets reformierend wirken sollenden Idee - seien es die Aufmarschplätze, oder das Lenin-Mausoleum etc. etc. - bewiesen und nicht anders gehalten.

Dem Menschen ist aus seinem Grundverstand heraus klar, daß etwas, das sich nicht darstellt, daß also Formverlust oder -verzicht, ein Fehlen der Realität bedeutet.

Wenn der Mensch also nicht feiert - und ich meine nicht die Imitation der Feier, wie sie heute so oft stattfindet, somit die Effekte der Feier künstlich evozierend, anstatt sie empfangend - verliert er die Kraft, zu verwirklichen, zu leben, weil ihm das Ziel als Ausgangspunkt seines Alltags abhanden kommt. Hört er auf zu opfern, zieht sich die Welt seines Lebens auf einen ihm selbst unterworfenen Punkt zurück, wird damit schal und gabenlos rationalistisch. Er wird mutlos, weil nichts mehr ihn übersteigt, er die Welt als immanentistisch erlebt. Seine Hoffnung wird leer, sein Glaube wird zum Fanatismus.



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Samstag, 22. September 2012

Wurzeln des Sinnproblems

Was im Fluß des wirklichen Lebens als Verlangen und Verwirklichung auftritt, ist daher diesseits aller ethischen Urteile zunächst die unmittelbarste, phänomenologische Erfahrung oder subjektive Erprobung und bildet, selbst wenn sie "zufällig" erscheint, den Boden für Geschick und Bestimmung des je individuellen Lebens. Hebt man diese Zufälligkeit aus der Sicht der Vorstellung und des Denkens auf, weil es sich bei diesen individuellen Modalisierungen um die innere Phänomenalisierungsweise des Lebens selbst handelt, dann wohnen wir hierin der Entfaltung der Potentialitäten solchen Lebens selbst bei. 

Diese Entfaltung leben zu können, macht das Leben als solches aus, und deshalb sind es letztlich nicht die sozialen Bedingungen, welche dieses Wesen vorgeben und damit eben auch nicht bestimmten, was das Individuum je ausmacht. Sobald daher der gesellschaftliche oder geschichtliche Anspruch auftritt, das Individuum von seinen "Zufälligkeiten" befreien zu wollen, um es allgemeinen Anforderungen zu unterwerfen, die "vernünftiger" erscheinen, tritt zwischen Individuum und solch ideologischer Struktur von Klasse, Nation oder Staat eine ontologische Wende ein, welche die gesamte Problematik hinsichtlich der eigentlichen Bestimmung des Individuums belastet. 

Wenn nämlich einmal der effektive Austausch zwischen den Produzierenden und konsumierenden Menschen verlassen ist, um diese Tätigkeiten in einem abstrakt objektiven Licht zu sehen, wie heute in den Wissenschaften oder in Ökonomie, Technik Verwaltung usw., dann verlagert sich der ontologische Zugang zum Individuum schlechthin - das heißt er wird unzugänglich. Denn was an sich in der reinen Immanenz des Lebens und dessen eigener Teleologie als subjektiver Praxis geboren wird, findet sich in einem ihm fremden Medium wieder - im Außen der Vergleichbarkeit und Austauschbarkeit.

[Damit wird] der Einzelne eigentlich überflüssig, weil die Transzendenz solcher Hypostasen keinen einsichtigen Grund mehr in sich birgt zu sagen, warum es gerade dieses bestimmte Individuum jeweils gibt. [Es gibt im Leben aber] niemals ein Individuum zuviel.

Verstehen wir aber die dem Individuum eigentümliche Tätigkeit des Produzierens im Zusammenhang mit anderen Individuen nicht bloß als "Ausdruck" seines Wesens, sondern als Vollzug seiner Selbstimmanenz schlechthin, die keine Loslösung von solcher Phänomenaliserung in ein Außen hinein erlaubt, dann steht damit das Bewußtseins- und Ontologiemodell der Vorstellung selbst in Frage.



Rolf Kühn, in "Subjektive Praxis und Geschichte - Phänomenologie politischer Aktualität"


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Humor am Schafott

aus 2007) Henker Sanson "der Große" schreibt in seinen Erinnerungen mit deutlichem Unbehagen über zwei Erscheinungen, die seine Hinrichtungen in den Revolutionsjahren ab 1789 begleiteten:

Erstens war da eine Gruppe Frauen, die sich regelmäßig um die eintreffenden Wagen mit den Verurteilten einfanden und diese beschimpften und verhöhnten. Wobei sie dem Grundsatz folgten, daß je hübscher die verurteilten Frauen waren, sie desto heftiger und unflätiger schimpften.

Und dann war ihm noch ein Gehilfe aufgenötigt worden, Jacot, der sich als Narr gebärdete und die Verurteilten zu verunglimpfen suchte.

Dies alles neben dem oft vermutlich sogar bezahlten Volk, das die Verurteilten ohnehin schon mit Schmähungen bedachte.

Doch nicht immer hatten diese seltsamen Geisterchöre Erfolg. So wurden einmal 34 Frauen, die nicht mehr getan hatten als mit feindlichen Preußen getanzt zu haben, nachdem diese in Verdun eingezogen waren, zum Tode verurteilt. Eine war schöner als die andere, und ihr Schicksal rührte das Volk, und keine Schmähung hatte Erfolg - die Schönen taten dem Volk einfach leid.

Jacot bemühte sich noch mehr ... und endlich, nicht umsonst: Eine der Verurteilten nämlich erfreute sich so richtig an seinen Albernheiten, lachte herzlich, stieß ihre Schwester bei seinen Späßen an. Sanson meint, daß wenn ihre Hände nicht gefesselt gewesen wären, sie dem Hanswurst wohl noch Beifall geklatscht hätte. Als einzige am ganzen Platz.






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Sprache und Leben

Lesen, schreibt Walter Ong, isoliert. Der Lesende rekonstruiert über die Zeichen, die er vor Augen hat, und bleibt (weitgehend) in seinem eigenen Denk- und Wahrnehmungshorizont. Weil das Kommunikable enorm reduziert ist. Der Leser spricht (leise), und was er liest ist also, was er aus sich selbst hört!

Im Sprechen aber ergibt sich Gemeinschaftlichkeit unweigerlich: der Ton, auf dem Sprache beruht, steigt aus dem Innersten eines Menschen, und in diesem Modus kann er niemals wirklich täuschen. Der Ton stellt den Sprecher in seinem Innersten dar, sodaß die Sprache - wo das Wort sich bereits wieder zum Ton verhält - bereits zur ausgeprägten Landschaft seines Selbst wird. 

Der Zuhörer nimmt also in seiner inneren Tätigkeit - in der er den Hörreiz nacherlebt, und daraus die Erkenntnis gewinnt, als eigene Erkenntnis, in seiner Stellung zum Lebendigen, das ihn durchdringt, und von all seinen Sinnen zusätzlich beleuchtet wird, denn er wird mit dem "Anderen" fast überwältigt, es versetzt ihn in "Schwingung", zu der er sich verhält - am Sprecher teil.

Fragen der Glaubwürdigkeit stellen sich völlig anders, und sie stellen sich in der alles sprachliche Denken bereits vorprägenden Gewißheit, wenn man hört, verglichen mit dem Lesen. Auch bei letzterem in Abstufungen, gewiß, denn der Unterschied von der handgeschriebenen Botschaft zum Bildschirm ist neuerlich ein Weg des enormen Verlust an sinnlicher Ganzheit. Das Bewertungskriterium eines Bildschirmtexts liegt bereits fast ausschließlich im Rationalen, das schon alleine durch die Logik des Mediums selbst (Computersprache, Programmierlogik) den Verlust der Ambivalenz der Kommunikation an sich mit sich bringt. Es ist aus Untersuchungen bekannt, daß Computerkommunikation äußerst rasch Entscheidungsfindungen auf zwei Alternativen einengt - zum berühmten Schwarz/Weiß-Denken.

Wer die Entwicklung von Internet-Foren verfolgt - und dazu gehören auch Foren wie Wikipedia - wird deshalb feststellen, daß sie sich ausnahmslos zu unerbittlichen Kriegsschauplätzen entwickelt haben, in denen sich unversöhnliche, zunehmend erbittert verteidigte Meinungen, ja Postulate gegenüberstehen. Speziell in Österreichs Tageszeitungen, auf der Grundlage der hiesigen psychosozialen Situation, haben sich die Foren - als Beleg - ausnahmslos zu regelrechten Höllen der Gehässigkeiten entwickelt.

Dies ist nicht als Ableitung realer Gefühle, die sonst auch entstanden wären, zu sehen, wie es oft in unlauterer Absicht versucht wird zu instrumentalisieren. Sondern diese Positionierungen sind die logische Folge der "Information" durch diese Medien selbst, die Radikalismen "züchten". Wo Meinungen, die zu ja-nein-Prozessen degenerieren, kaum noch als Darstellungen in aller umfassenden Realität ablaufender Prozesse gelten können. Sie mutieren zu Gefechten von auf rationale Vorgänge reduzierter Sprache, die ein Eigenleben annehmen. Deren angebliche Wirklichkeitsrelevanz tagtäglich damit weiter zum positivistischen Dogma ausgebaut wird.

Wir glauben zunehmend an die Relevanz des Internet - auf diesen Nenner kann man es bringen - weil wir glauben wollen und weil wir glauben SOLLEN, daß es für unser Kommunikation (und damit die Einheitsfindung) relevant ist. In Wahrheit zerfällt damit die noch vorhandene, nur auf ganzheitlicher Kommunikation mögliche Einheit der Menschen, in einer immer totaleren Isolation.

Weil mit dem Glauben an die Wirklichkeitsrelevanz des Internet auch die Flucht aus der Persönlichkeitsmühe, die Kommunkation mit sich bringt, umso leichter möglich ist: Mechanik, Maschinen, verwandeln eben auf rationalistische, zweckbestimmte Vorgänge reduzierte menschliche Tätigkeiten zum Objekt, und lagern sie aus. Tecnizismus bedeutet, diese Vorgänge und Prozesse für Wirklichkeit an sich - nicht für einen sehr beschränkten Spiegelaspekt - zu halten. Und in diesem Fluch wird diese Reduktion tatsächlich zum Rückwirkungsfaktor, der auch die Strukturen unseres Selbst ihm gemäß umgestaltet.

Der einen realen Sprecher Hörende wird von ihm verwandelt, sonst könnte er ihn nicht hören. Und er verhält sich dazu, gemäß seiner Urteilskraft. Diskurs, Gespräch wird zu einem menschlichen Vorgang, in dem sich durch dieses menschliche Verhalten schon Gemeinschaft ergibt.

Der auf Logik reduzierte Leser hat das Feld, auf dem er sein Urteil trifft, so reduziert, daß ihm nur noch diese mathematische Logik (der Programmiersprache! Siehe u. a. F. Kittel!) bleibt, mit der er den Schreibenden ebenfalls identifiziert - zwanghaft, und in seinem Erleben seltsam ungenügend, deshalb diffus affizierend. Am Feld des Absoluten wird somit jede Frage um richtig oder falsch zur Existenzfrage, zur Frage auf Leben und Tod. Das Internet als Kommunikationsplattform (nicht als sehr beschränkter Meinungsaustausch, wo beide Beteiligten wissen, in welchem Umfang das überhaupt möglich ist) produziert deshalb unweigerlich ... den Fanatiker.

Das Hebräische dabar - "Wort" - meint zugleich eine Tätigkeit, ein Ereignis. Jesus, das fleischgewordene Wort, hat nicht eine Silbe aufgeschrieben, obwohl er sehr wohl lesen und schreiben konnte, wie das Neue Testament berichtet. Der Buchstabe tötet, heißt es im 2. Brief an die Korinther, es ist der Geist, der lebendig macht. Und im Römerbrief heißt es: Glaube kommt vom Hören! Nicht vom Lesen. Und nach wie vor wird die Heilige Schrift im Gottesdienst VERLESEN, damit sie gehört werden kann.

Schrift ist ein sekundäres Zeichen, das sich auf das gesprochene, lebendige, ganzheitlich vermittelte Wort bezieht, und bezieht sich auf die volle Wirklichkeit des im Ton Gehörten. Und das Wort Zeichen hat in seiner indogermanischen Wurzel die Bedeutung von "Folgen", weshalb auch die Ursprünge der Schriftsprache das pictum war, das Symbol (wie nach wie vor im Chinesischen). Das in der Buchstabensprache zerlegt, rationalisiert wurde, kaum noch mehr als in Namen in der Ganzheit der Sprache als Ton weiterbesteht. Nur der Ton, das Ereignishafte, läßt uns erfassen, daß alle Wirklichkeitsbezüge Zeit als Erlebniseinheit und -wirklichkeit - nicht als rationale Konstrukte - erfahren lassen. (Was ist "Mitternacht"?) Gesprochene Wörte fliegen deshalb, sind lebendig. Der Leser nimmt an dieser Wirklichkeit nur teil in dem Maß, als er selbst diese Lebendigkeit wieder abrufen kann, durch Transformation des Geschriebenen in einen Hörakt. Die Logik der Sprache (und damit ihr "Informationsgehalt") ergibt sich deshalb nicht aus den Zeichen selbst - sondern nur mit lebendigem Bezug zum Sprechenden.

Der Erkenntnisgehalt des Internet in seiner Art als Medium (unabhängig von den "Plattformen" etc., auch social media, in eigenen Geräten, sind deshalb Internet-Medien, sie beruhen auf derselben Logik, ja spitzen weiter zu) ist deshalb - ohne bereits bestehende lebendige Wirklichkeit im Leser, aus realem Bezug zum "Kommunikationspartner", den das Internet bestenfalls und punktuell (und meist nur äußerst sparsam einzusetzen, weil ihre Logik enorm rasch zurückschlägt und uns formt!) ergänzt - fast zwangsläufig ein bloßer Zufriedenheitsakt mit sprachlich-rationalistischer Logik, ein Abgleich abstrahierter, funktionalistischer Datensätze.

Wo im "Funktionieren" der Bedienungsvorgänge eine nur scheinbare, zweitwirkliche, vom Leben selbst bereits abgelöste Lebendigkeit - als "Richtigkeit" von Gedanken - erfahren wird. Der eigentliche Inhalt aber, der hinter einem wahrhaftigen Text steht, ist nur im persönlichen und situativen Erleben erfahrbar.

Als schlagender Erweis dieser Behauptungen muß die Beobachtung dienen, daß zunehmend "Aktivitäten", ja politische "Bewegungen" ans Tageslicht treten, die gar keine Inhalte mehr haben, sondern nur noch leeres "Funktionieren" (auf der Basis der "Kommunikation" im Internet) demonstrieren. Und in dieser Inhaltsleere wirken sie tatsächlich destruktiv. Praktisch sämtliche "Revolutionsbewegungen" der letzten Jahren zeigen ganz exakt diese Charkteristik: Funktionalitäten (aus denen man das Erfahren von Leben herauszupressen versucht) ersetzen die Inhalte. Und sei es im sinnlosesten Flashmob, dem häufig irgendwelche "Anliegen" umgehängt werden, oder Schlagworte (wie "Demokratie"), um diese Leere zu verschleiern. Dieses menschliche Verhalten ist ja auch keineswegs neu, es tritt nun aber als gesamtgesellschaftliche Tendenz auf, war früher nur das, was es ist: temporäre Begleiterscheinung z. B. in der Pubertät, wo der Handlungsimpuls noch keine Form gefunden hat.

Dieses situative Element bleibt im Internet das Erleben des Funktionierens der bloßen Technik des Computers. Das zu "erleben" ein immer rascher revolvierender Impuls wird (worin die sogenannte Internetsucht gründet), weil er den wirklichen Mangel an Leben nicht ausgleichen kann, sondern nur noch drängender macht, sodaß das Erleben des Funktionierens von Technik zur Selbsttäuschung über die Aktualisierung von Leben (das in und an sich Erleben ist) führt. Mit klaren Indizien - wie der Ausdrücklichkeit, mit der "Inhalte" postuliert werden, Handlungsinhalte, die aber nie wirklich gesetzt werden. Womit tatsächlich reine Phantomwelten entstehen, deren Relevanz nur noch aus Postulaten und identitär, existentiell verklammerten, dogmatischen Weltbildern besteht, die die Selbstentfremdung des Benützers bis ins größte denkbare Extrem treiben. Wie selbst herkömmliche psychologische Befunde belegen, wenn sie "Narzißmus" (Selbstobjektivierung eine vermeintliche Rettung in der Entfremdung von sich selbst) als DIE Zeiterscheinung befinden.




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