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Montag, 3. September 2012

Sprachinhalte II

In seiner Feldforschung konfrontierte A. R. Luria "Mündliche Menschen" (denn das Wort "Analphabet" enthält eine Wertung, die ich bewußt vermeiden möchte; im Englischen läßt sich "Orality" der "Literacy" weit besser gegenüberstellen) mit logischen abstrakten Prozessen.

Z. B. mit dem Satz: In Gegenden mit viel Schnee sind die Felle der Bären weiß. Auf Nowaja Semlja gibt es viel Schnee. Welche Farbe hat das Fell der dortigen Bären?

Eine der typischen Antworten war: Das weiß ich nicht, ich habe dort noch keine Bären gesehen. Hier bei uns sind alle Bären schwarz, ich habe noch nie einen weißen Bären gesehen.

Oder: Jede Landschaft hat ihre eigenen Tiere, ich war noch nie in Nowaja Semlja, ich weiß nicht, wie das Fell der Bären dort gefärbt ist.

Eine weitere, viel aussagekräftigere Antwort kam von einem Usbeken, der schon mit Schrift konfrontiert gewesen war, sie mangelhaft kannte: Deinen Worten nach sollen sie wohl weiß sein. Aber woher willst Du sicher sein, daß in Gebieten mit viel Schnee alle Bären weiß sind?

Er wußte, was der Forscher von ihm erwartete, aber er wollte aus dem konkreten Bezug der Antwort nicht aussteigen, abstraktes Denken schien ihm leer und langweilig. Was den Sprachforscher James Fernandez zu der Aussage brachte, daß die abstrakte Sprachlogik nur jene Ergebnisse bringt, die ihre Prämissen vorgeben. Sprich: Nur wer in den Prämissen der Abstraktion geschult ist, kann ihnen im abstraktiven Denken entsprechen. Und damit kann man (heute) nicht einmal sagen, daß sie kulturrelativ wären. Es zeigt aber, wie sehr die technische Verwendungslogik auch die Inhalte der Sprachlogik und damit der Denkgewohnheiten bestimmen.


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