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Sonntag, 2. September 2012

Begegnung im Stiegenhaus - IV

4. Teil - Schluß - Perspektiven

In den grundlegendsten Fällen ist das mit einem der Grundprinzipien der Christlichen Soziallehre identisch: der Rückkehr zur Subsidiarität, zum Aufbau von unten, von den kleinsten Einheiten ausgehend, denen ihre Integrität wiedergegeben werden, in die man große Einheiten oft auch wieder aufsplitten muß - nicht von oben. Mit einer Stärkung des Staats in seinen eigentlichen  (Außenpolitik, Verteidigung, Repräsentation der Gesamtidee, Gesamtbelange des Rechtswesens mit Appellationsgewalt) - aber einem Rückzug aus den unteren Bereichen. Heute passiert aberwitzigerweise immer noch genau das Gegenteil, und wenn man von Verwaltungsreform spricht, meint man meist  die endgültige Auslöschung der unteren Einheiten. Als spräche das ungebremste Wachstum der Zentralverwaltungen nicht eine klare Sprache. Selbst der "Umweltschutz" als holprige, meist technizistische Umdeutung der Liebe zur Schöpfung, kann sich nur so regeln.

Nostalgie? Nein, aber wir könnten ruhig werden angesichts dessen, was uns "blüht", in diesem Zurückschreiten, das wie ein  Neueinfädeln in unser wirkliches Leben wäre. Denn da gab es doch noch jede Menge Greißler, noch jede Menge kleiner Unternehmen, und es gab ... Zeit. Und Lebensblut. Und Sonntagnachmittage wo sich die ganze Familie bei der Mutter traf und erzählte. Und Abende, an denen man vor dem Haus saß, nachdachte, und mit den Nachbarn plauderte. Und einander half, wenn einem der Reis ausgegangen war, anstatt zu plärren, daß doch gefälligst die Märkte auch am Sonntag geöffnet zu sein hätten, zu denen wir dann mit unseren geleasten Renaults und Toyotas rauschen.

25 % der gekauften Lebensmittel werden weggeworfen. 15 % der überhaupt gekauften Dinge braucht - ergab eine seit Jahrzehnten etablierte Erhebung in den USA, der Anteil dieser Ausgaben stieg seit Beginn der Studie ständig - niemand, auch nicht der Käufer. Worein sich fügen ließe, daß es gar nicht anders sein kann: denn jedes Ding schreit nach seiner Wirkung, nach seinem Einsatz in seiner Natur - also auch Geld, sodaß das Kaufen selbst, als Akt, bei Überfluß daran in den Mittelpunkt gerät. Wird das Ende des Geldes nicht direkt ans Ende der uns möglichen, natürlichen Leistung gekoppelt, wird es zum Selbstzweck, beginnt es ein Eigenleben.

So schauen die Realitäten aus. Wir haben verlernt, überhaupt zu haushalten. Die Ursache-Wirkungszusammenhänge sind zerrissen, großen Teils sogar als bewußt initiierte politische Tat, in der man das gesellschaftliche Gefüge nach wie vor neu zu erfinden versucht. Das Leben des Einzelnen ist ihm selbst aber längst nicht mehr transparent. Und der Computer, den in Österreich 75 % aller Haushalte besitzen, voller Symbole und Vorgänge, die niemand mehr durchschaut (!) und damit besitzt, der zum Mythos, aber auch zum Dogma geworden ist, zeigt das nur an.

Zu diesem Lebensbesitz aber, der ja die Fähigkeit zur Lebensrepräsentation ist, zurückzukehren, und zwar durch ein Weniger das mehr ist, ist kein Rückschritt, sondern wäre wirklicher Fortschritt, wäre der einzige Fortschritt, der auch lohnt. Vielleicht, nein, allem Anschein nach leben wir mitten in solch einem Umbruch. Unsere Leiber ziehen ja längst dorthin, auch wenn sich der Verstand noch wehrt. Sie suche nur Ersatzdarstellungen.

Wir leben derzeit nicht in Armut, das stimmt, und es stimmt auch, daß wir uns darauf zubewegen, das ist unausbleiblich, und es stimmt, daß das mit der Hybris des Systems zu tun hat. Aber das wäre für uns ein Aufstieg. Denn ... wir leben im Elend. Unsere Slums sind lediglich mit Müll derartig vollgeräumt, daß wir über ihre Ränder gar nicht mehr hinausblicken.

Noch könnten wir unsere Zukunft gestalten. Bald wird das nicht mehr gehen. Vielleicht in fünf, vielleicht in zehn, vielleicht in zwanzig Jahren. Vielleicht aber auch durch einen scheinbar winzigen Anlaß bereits morgen. Weil alle diese kritischen Systeme kollabieren, sodaß selbst schärfster Totalitarismus - und bis an diese Grenze wird es gehen, das scheint derzeit tatsächlich alternativlos, alles läuft darauf hin, zu fest sitzen die Eliten im Sattel - nichts mehr nützt, das Chaos des Slums ausbricht. Manche Konzerne, manche Entwicklungen in der Wirtschaft zeigen es im Grunde bereits vor.


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