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Montag, 10. September 2012

Sprechinhalte IV

Menschen aus Kulturen mit Schrift sind nicht intelligenter als solche die keine Schrift haben, schreibt Walte Ong. Aber in dem Augenblick, wo Menschen die Schrift beherrschen, verändert sich ihre gesamte Denkweise. Sie denken in den technischen Anforderungen der Schrift, und ihre Mündlichkeit paßt sich den Gesetzen der Schriftlichkeit an.

"Mündliche" Menschen sind keineswegs "unlogisch" oder "irrational", wie ihnen oft unterstellt wird - sie beziehen ihre Sprache aber auf konkrete Erfahrungs- und Lebenswelten, die sie umgeben. Sie können schwerer abstrakte Operationen vollziehen, zu denen man die Hilfe von Texten benötigt. Aber sie sind nichts weniger vertraut mit dem Prinzip von Ursache - Wirkung, und ihre Geschichten sind nicht nach vorgegebenen Kriterien sortiert, aber sie sind in einer eigenen, situativen, lebensvollen Logik organisiert.

Ein Bewohner des Südpazifik z. B. wurde gefragt, ob sein Bruder intelligent sei. Damit konnte der nichts anfangen. Er sei ein äußerst guter Navigator, meinte er aber, und jeder achte ihn, weil das sehr viele Fähigkeiten verlange, die nicht jeder habe.

Ein Afrikaner - "mündlich" (oral) - wurde gefragt, ob der Direktor der neu errichteten Schule im Dorf ein intelligenter Mensch sei. Seine Antwort war: Das wisse er nicht. Man werde zuerst einmal sehen, ob er gut tanzen könne.

Wir vergessen meist völlig, daß unser Intelligenzbegriff sich auf eine exakte Schulung in deren Voraussetzungen bezieht. Nicht zufällig ist die Frage, was denn ein Intelligenztest messe, mit der Antwort eines seiner Erfinder am besten getroffen: Er messe, was er messe.


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