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Dienstag, 18. September 2012

Alternativen. Das Parteienverbot

Leser dieses Blog werden längst erkannt haben, daß sein Verfasser sich gerne hinter bekannteren Namen und Autoren versteckt, um seine Sichtweisen darzulegen. Nun, dies hat den sehr einfachen Grund, daß die Artikel auf diese Weise aus der Ecke der bloßen subjektiven Spinnerei, als den das Internet sich ja gerade zu profilieren sucht, in den Gesamtzusammenhang eines Denkens gestellt werden sollen, der sie im Strom einer abendländischen Tradition erkennbar machen soll, in dem sich der Autor dieses Blog begreift. 

Und so sollen an dieser Stelle auch die Gedanken einer Simone Weil mit den Überlegungen von Jacques Ellul zusammengeführt werden, wenn der Gedanke Weil's vorangestellt wird, aus dem sie fordert, daß die demokratischen Systeme von Parteien befreit werden, diese untersagt bzw. entmachtet werden müssen.

Denn Weil stellt die Demokratie auf den Boden einer Anthropologie des Lebens und der wirklichen Wirklichkeit eines Lebensvollzugs als Weg zur Heiligkeit, zum ewigen Heil. Der in der Offenheit der Selbstüberschreitung, des direkten Dialogs mit der Wirklichkeit selbst - Gott - sein Fundament hat. In dieser radikalen Wahrheitssuche sieht sich der Verfasser dieser Zeilen in einer Linie mit Weil, und damit im Grunde mit der gesamten Philosophie der Lebensphänomenologie, wie sie seit Jahrzehnten, ja seit Kierkegaard, ja ... seit Meiser Eckhard, ja seit ... seit Anbeginn. Wo Lebenspraxis und Geist und Denken nicht getrennt werden können, weil das eine der Ausfluß des anderen ist, beide als ein und dasselbe zu sehen sind. 

Damit steht diese Denkungsart in direktem Gegensatz zum rationalistischen Objektivismus, der sich defintiv seit der Renaissance, als Tendenz seit es Menschen gibt, vom Rand ins Zentrum dieser Kultur geschoben und ihr mehr und mehr die Luft zum atmen geraubt hat. Sodaß wir uns heute in der bemerkenswerten Lage befinden, einem Denken verhaftet zu sein, das nicht mehr in der Lage ist, mit der Wirklichkeit der Welt zu korrespondieren. Das sich in seiner immanenten Logik zur Irrelevanz gesteigert hat und die Entfremdung des Menschen von sich und der Welt zur tödlichen Krankheit einzementiert.

Deshalb findet der geneigte Leser auch hier denselben Zusammenfluß der Themen und Lebensgebiete, wie er alle diese Denker kennzeichnet. Und wie er hat sich auch Weil mit politischen (ebenso wie ökonomischen, ästhetischen, etc.) Implikationen ein und derselben Wahrheit über den Menschen in seiner Situation in der Welt auseinandergesetzt, ja eins führt ins andere.

Die Demokratie postuliert, daß das Recht vom Volk ausgehe. Und berief sich explizit auf eine abendländische Tradition, die in den Griechen der Antike gründet. Aber selbst die einfachsten historischen Fakten wurden immer gerne übersehen. So die fundamentale Tatsache, daß die (temporäre) Demokratie Athens (nur von ihm sprechen wir hier, den gleichfalls griechischen Spartaner war sie ohnehin tödlicher Feind) ganz maßgeblich auf der Überschaubarkeit seiner Größe beruht. Nur in persönlicher Begegnung kann eine politische Zielsetzung nämlich überhaupt beurteilt werden. Nicht durch geschriebene Aufrufe, oder gedruckte Parteiprogramme und Wahlplakate.

Zwar gab es auch bei den Griechen Parteiungen, und insofern "Parteien", aber nicht als Organisationen. Denn sei belasten eine Demokratie mit einer Fracht, die ihre Grundidee (die ja die Grundidee eigentlich aller Völker war!) unterläuft: daß aus der Mitte der Bürger die dafür geeigneten die Lenkung des Gemeinwesens in den diesem zukommenden Bereichen übernehmen solle.

Nicht nur wer Michel's Werk über die immanete Logik von Parteien als System und Staatselement gelesen hat, sondern jeder der den Menschen kennt weiß, daß inhatliche Programmlogik der Erhaltung der Machtsysteme aus einer tödlichen Logik heraus unterliegt. Gleichzeitig - und hier sei auf Ellul's Standardwerk "Propaganda" verwiesen - verlagert sich die Argumentation der eigentlichen politischen Inhalte von der Sachgerechtheit weg, hin zur Propaganda. Jede Äußerung solcher Parteien wird zum Kampfwerkzeug, das nur noch unter dem Gesichtspunkt der Machterhaltung, um ÜBERHAUPT wirken zu können, gesehen wird, weil so gesehen werden muß.

Und spätestens Max Weber hat aufgezeigt ("Politik als Beruf"), daß Parteien unweigerlich zu realen gesellschaftlichen Korpora werden, von denen direkt sich die Bürger (und sehr konkret) etwas zu erwarten beginnen - als Begünstigungen, als Einkommensquelle etc.

Gleichzeitig wird - gerade DURCH das Parteisystem! - der einzelne Politiker über seine persönliche Größe hinaus in eine Gesamtebene gehoben, damit mit einer Macht ausgestattet, in der er dem Wähler gegenübertritt, sie jede Beziehung zu ihm zur inadäquaten Farce macht. die durch "persönliches, joviales Verhalten" keineswegs abmilderbar o.ä. macht, sondern das persönliche Verhältnis auf eine "objektivierte, apersonale Ebene" hebt, ob man will oder nicht.

Alles das spricht Weil an, wenn sie fordert, daß der Einzelne nur Entscheidungen zu treffen in der Lage ist, in Sachverhalten, die er aus den einzigen Grund heraus, aus dem Demokratie nicht überhaupt Unsinn ist, zu bewerten in der Lage ist, selbst wenn er sie im Detail gar nicht kennt: Weil es zur Urteilsfindung in den Dingen der Welt nicht notwendig ist, jedes Detail zu kennen, sondern weil wer eines gut kennt, alles kennt! Weil nur jene Wahlentscheidung überhaupt wahrhaftig sein kann, die aus der erlebten und im Erleben durchdrungenen Sitation affiziert wird.

Wer also in seinem kleinen Alltag wahrhaftig lebt, vermag daraus das Prinzip der Welt zu erfassen, vermag "die Wahrheit" er erfassen, die alles durchdringt. Und von dort her gewinnt er auch die ihm adäquaten (und wonach sollte er sonst entscheiden?) Handlungsimpulse. Und diese Wahrheit aber ist ein personales EREIGNIS. Daraus folgt die Tatsache, daß nicht die Kenntnis eines "objektiven Programms" die Beurteilung einer politischen Kraft möglich macht (zumindest nicht in diesen Hinsichten), sondern nur die Kenntnis der wahlwerbenden Person. Aber nicht nur das: dies Person muß direkt mit seinem Wähler existentiell zusammenhängen, "in einer existentiellen Situation" mit dem Wähler stehen.

Über außenpolitische Entscheidungen abzustimmen, über rein staatspolitische Angelegenheiten, übersteigt den Entscheidungshoriziont des einfachen Wählers ohnehin unendlich, ihn dazu zu befragen ist also Niedertracht und Zynismus! Das muß in den höhersteigenden Ebenen entscheiden bleiben.

Demokratie als Staatsform kann sich also - soweit überhaupt - nur über ihre einfachsten, kleinsten Wurzeln in überschaubarem, persönlichen Rahmen zu einem Ganzen aufbauen. Wo wiederum persönliche Wahlen immer umgreifendere Einheiten konstituieren können.

Zwar gibt es das Argument, daß Parteiprogramme gewährleisten, daß ein Kandidat auch bestimmten Prinzipien gemäß handelt - aber das würde heißen, daß prinzipiell ein "objektiviertes" politisches Handeln zielführend und gut wäre. Das ist es aber nicht, Politik muß aus ihrem Wesen heraus persönlich bleiben, in der Verantwortung genauso, wie in der Urteilsfindung. Das nicht zu berücksichtigen heißt, daß auch die paradigmen der Politik unmenschlich werden. Zwangsläufig, nicht aus persönlichem Versagen, das auch verhindert werden könnte. Politik ist ja auch historisch belegbar seit dem 18. Jhd. zunehmend zur "objektiven Problemlösung" geworden. Was wiederum auf einer Sicht der Welt zu sehen ist, die die Welt in objektivierbare Vorgänge, Funktionen, auflöst.

Nun wissen wir nicht nur erst seit der Quantenphysik, daß es solche "objektiven" Vorgänge in dieser Welt gar nicht gibt. Daß deren "Eigenschaften" nur in direktem Dialog mit dem Beobachter UND SEINEM WELTBILD erfaßbar sind. Denn man sieht nur, was man ist, was einem gemäß ist, und deshalb nur sucht, und sogar konstruiert, in gewisser Hinsicht "erfindet".

Solches Politikverständnis, wie es ausnahmslos heute herrscht, geht also davon aus, daß die Dinge ihre Logik AUS SICH SELBST HERAUS hätten. Daß Politik also nur heißen könne, dieser objektiven Logik zu entsprechen, oder nicht. Das hat uns an den Punkt geführt, wo wir heute stehen, wo wir es nur noch mit "alternativlosen" Entscheidungen zu tun haben. Die ohne es noch zu wissen und deshalb auch nicht mehr zu hinterfragen, von Postulaten ausgeht, und das macht es regelrecht gefährlich. Denn Politik als Diskussion könnte nur eine Auseinandersetzung um diese Postulate heißen, die sich nicht auf "Sachprobleme" herunterbrechen lassen.

Staaten als Parteiensysteme zwingen nun den einzelnen Politiker, sich aus der persönlichen Situation hinauszubegeben, und einer "objekivierten Systemlogik" zu folgen, die die wirklichen Inhalte der Politik aber völlig zweitrangig machen. Nicht zufällig ist heute die Politik einer sozialdemokratischen von einer christlichsozialen Partei durch nichts mehr wirklich zu unterscheiden. Die Systemlogik zwingt zu Kompromissen, die inhaltlich - am meisten bei den Christlichsozialen - das Mittragen von Entscheidungen bedeutet, das Abweichen von Prinzipien, die ihren eigentlichsten Prinzipien unversöhnlich gegenüberstehen. Die "Fristenlösung" ist nur eines dieser Beispiele. Die aber unausweichlich auch die Parteiinhalte korrumpieren und mit der Zeit aufweichen weil auflösen. Was, so nebenher, zeigt, daß das Argument der Rückbindung des Einzelnen als Funktion von Parteien eindeutig widerlegt, ja zum Erweis des Gegenteils macht: der einzelne vom Wähler verortbare Politiker wird von "oben herab" korrumpiert und unberechenbar. Der Verfasser dieser Zeilen hat v. a. aus seiner Zeit bei der Kirche genug erfahren, wie genau das zur Regel geworden eintritt.

Nur im überschaubaren Horiziont aber, unberührt von "großen" Werbekampagnen, die "objektivierte" Politik vortäuschen, kann ein Wähler sich für eine Person, konkret: FÜR EINE PERSON entscheiden. (Wobei es nicht einmal die gibt, wie Einblicke in die praktische Politik - gerne als aufzudeckende Korruption etc. angeprangert - immer ergeben, die auf allen diesen Ebenen in sich ohnehin nur in der Weite und Ambivalenz des Persönlichen funktionieren.) Denn sie ist nicht einfach  nur Träger der Politik, sondern sie ist auch Träger wie Darsteller des Geistes, aus dem heraus eine Politik stattfindet und gestaltet wird.

Nur so auch kann "Wahl" für den Einzelnen zum lebendigen Akt werden, in dem er nicht gerade wieder den entscheidenden Schritt zur Selbstentfremdung tun muß - sich von sich selbst zu objektivieren, auf ein Programm hin - sondern im Rahmen seiner persönlichen Situation affiziert erst überhaupt ihm gemäß entscheiden und beurteilen. Ein System, das zu seiner Funktionalität regelerecht BRAUCHT, daß der Einzelne aber sich seiner vollen Menschenwürde entschlägt, indem er wählt, ist schon aus diesem Grund ein Widerspruch in sich, und MUSZ scheitern. Oder/und in Totalitarismus ausarten, der nach diesem Einzelnen greift und ihn entmenscht.

Der Mensch kann und soll und muß nur persönlich entscheiden, auf der Grundlage seiner Gesamtaffiziertheit in seiner konkreten Welt und Situation, in allen Komplexheiten. Nur IN DIESE SITUATION HINEIN kann ein Kandidat "passen" oder nicht. In aller Gefühlsverankertheit - aber erst darin (!) in der ausgangslage, um überhaupt Etnscheidungen zu treffen.

Während Propaganda genau auf das Gegenteil abzielt: auf die Entwurzelung des einzelnen, der sich in bestimmte emotionale Fächer - als Handlungswurzeln, hier weiß man es! - die sich aber auf zweitwirkliche, nur parteisystemimmanente Notwendigkeiten, nicht mehr auf seine konkrete Lebenslage, beziehen. Nur unter diesem Druck, als Gegenprobe, ist auch ein Politiker wirklich seinem Wähler verbunden und verpflichtet - persönlich, und als Person, Personen gegenüber, die er ernstnehmen muß, als die, die sie sind.

Nur so kann Demokratie funktioneren - aufbauend auf den untersten, regionalen, lokalen Ebenen des Menschen. (Schon heute weiß jeder Politiker, daß es nur noch eine menschlich befriedigende politische Tätigkeit im Grunde gibt: die in den Gemeinderäten, in den kleinsten lokalen Zellen.) Und von dort aus muß sich ihr System, aus Kooperationswillen, warum auch immer, zu einem Ganzen aufbauen. Wie dieses Ganze aussieht, darüber kann man diskutieren, aber es muß auch das Ganze personal bleiben, weil es nur so selbst vom einfachsten Bürger erkennbar und beurteilbar ist: weil er aus seinem Menschsein heraus IMMER beurteilen kann, was andere Menschen tun. In dieser Überschaubarkeit und auf der Grundlage menschlicher Entscheidungsfindung, der keine Parteiraison ihr Urteilsvermögen nach und nach verblendet: in der Situation persönlicher Verantwortung des Gewissens vor Gott, aus welcher Wahrhaftigkeit keine Systemlogik je entläßt, kann Demokratie gelingen. So, wie sie den Athenern gelang, wenn und solange sie gelang: als Zueinander von freien Menschen.

Simone Weil hat es dargelegt. Wir lehnen uns aus dem Fenster und sagen: sie hat es richtig dargelegt.



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