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Sonntag, 26. Mai 2013

Das Heilige Experiment (2)

Teil 2) Keine kommunistische Utopie, sondern Höherführung




Aber für immerhin mehr als 150 Jahre konnten die Jesuiten ihr Bekehrungsprojekt entfalten, das vor allem einmal ein schwieriges Erziehungsprojekt war. Einem nomadisierenden Indianerstamm gegenüber, der in zahlreichen zuverlässigen Berichten als "Kinder" bezeichnet wird, die gedanken- und sorglos in den Tag hineinlebten, Arbeit in unserem Sinn nicht kannten und bewältigen konnten, und zu Recht als schwurunfähig galten, also mit Gesetzen bedacht waren, wie sie in Europa für Geistesschwache, Arme, Witwen und Waisen sowie dauernd Kranken galten.*

Die aber auffallend eines hatten: Eine große, allerdings nur (das dafür mit größter Begabung) interpretierende, nicht aber schöpferische Liebe zur Musik. Jedes Dorf hatte bald eine 40köpfige Kapelle und Chorgemeinschaft, die lateinische Choräle oder Tänze und Lieder darbrachte. Oder die Padres schrieben Stücke, inszenierten Theateraufführungen, oder kreierten wie in einem Fall 70 Ballettchoreographien, die von den Indios mit Begeisterung einstudiert wurden.

Nie nahmen die Jesuiten ab 1609, unter oft schweren Rückschlägen, mehrmaliger Notwendigkeit quasi neu zu beginnen, in ihren Reducciones die Hilfe der Staatsgewalt in Anspruch, sie wollten nur mit dem Evangelium siegen, selbst wenn es zu Anfang einige das Leben kostete. Nicht in den ersten 30 jahren zumindest, ehe sie die Erlaubnis erhielten, sich gegen die zahllosen Banditen und Räuber zu verteidigen, für die diese Reducciones Gier- und Beuteobjekt waren und fortlaufend plünderten und zerstörten, was aufgebaut worden war. Und sie in einer regelrechten Schlacht 1641 besiegten. Daraufhin war für über 100 Jahre Ruhe.

Sie begannen immer mit der behutsamen Einführung in eine andere, seßhafte Lebensform, mit vorsichtiger Gewöhnung an Arbeit, mit der Nachahmung an das vorgelebte Leben der Jesuiten selbst, die selbst, meist als hochgebildete Männer, zu Holzfällern, Zimmerleuten und Saatbauern wurden.

Die eigentliche Christianisierung begann erst ab diesem Zeitpunkt, und unter sorgfältiger Aufnahme alter Vorstellungen, deren religiöser Kern aufgegriffen und neu entfaltet wurde.

Dabei nützten die Padres die Musik- und Spielfreude, worin sich ein neues Band der Zusammengehörigkeit bildete. Und für das sich die Liturgie hervorragend eignete, für deren feierliche, ausgeschmückte Riten die Indios sehr empfänglich waren. Die geistige Abstraktion konnte so auf dem zuerst bereits Erfahrenen aufbauen. Soziales und religiöses Leben wurden so ein Ganzes. Und bald begannen die Indianer sich sogar schon untereinander zu missionieren.

Verfolgung und Zerstörung standen am Beginn - Vertreibung und Zerstörung am Schluß ihres Missionierungswerkes 1768. Mit dem sie aber zeigten, was Europa zu tun gehabt hätte. Dessen Menschen sich aber anders entschieden. Ein Experiment, das mit kommunistischen, aufklärerischen Utopien überhaupt nichts gemein hatte, sondern ein kluges Aufbauen auf dem vorgefundenen Kulturstand, mit behutsamer Weiterentwicklung zu höherer Kultur und damit Lebensentfaltung (größere Steinkirchen folgten erst nach etwa 100 Jahren) bedeutete. Kein Staatsvolk war der Krone mehr ergeben, als diese Reducciones. aber es wurde kein überlegenes Kultursystem einfach aufgepfropft, sondern eine sehr primitive Kulturstufe aufgegriffen, und behutsam weitergeführt.

Wo es Kommunaleigentum gab, war dies bereits eine alte Sitte der Indios selbst, und darin gar nicht unähnlich Europa, wo es auch Kommenden - Gemeindewiesen, -wälder etc. - gab. Diese wurde in bestimmtem Maß weitergeführt, ein Eigentums- weil Verantwortungsbegriff (und vor allem: der Pflicht zur Privatinitiative, die mit Eigentum verbunden ist, und die diese Menschen nicht aufbringen konnten!) mußte sich erst entwickeln. Die Jesuiten bauten also auch hier lediglich auf dem vorhandenen Fundament auf, führten keineswegs einen Kommunismus ein, wie oft dargestellt wird. Daß diese Gemeindegüter (bei zwei Tagen gemeinnütziger Arbeitspflicht pro Woche) freilich auch die eigentliche Versorgungsquelle war und meist blieb, die Privatäcker verkamen, lag eben an der Sittlichkeit der Guaranis selbst, nicht an der Ordnung.

Es gelang in diesen 170 Jahren nicht, die Indianer zu Vorratswirtschaft anzuregen, nur in ganz kleinem Maß zu Privatinitiative. Ein Erbrecht war deshalb obsolet. Sie blieben immer noch eine "Menschheits-Kindheit", wie es ein Pater niederschrieb. Ihre Arbeitsleistung über ein Jahr entsprach etwa dem, was ein europäischer Bauer in vier Wochen bewältigte.

Der Wohlstand der sich bald einstellte, und bald auch in Silber klang, war vor allem der Findigkeit der Padres - und der Geschicklichkeit und Fähigkeit zur Nachahmung der Guaranis - zu verdanken. Bald blühte vielfältigstes Handwerk, und die (kollektive) Rinder- und Schafzucht oder (die kollektiven) Anbauplantagen für Yerba-Tee, Tabak oder Mais brachten durch kluge Bewirtschaftung der Jesuiten höchste Erträge. Sogar eine Druckerei wurde installiert, wo 1705 das erste Buch Südamerikas** erschien.

Auch der Handel blühte. Aber auch der mußte von den Jesuiten durchgeführt werden, denn den Indios fehlte überall jede Eigeninitiative. Wo doch Kontakt mit (weißen) Siedlungen, z. B. durch unvermeidlichen Handel, stattfand, waren sofort die schädigenden, verrohenden Einflüsse durch Verführungen festzustellen, denen die Indianer nicht gewachsen waren. Weshalb er auf das Notwendigste eingeschränkt wurde.



*Natürlich soll diese Passage nicht verstreichen, ohne auf die Tumbheit jener hinzubeißen, die da meinen, welch überlegen Ethik sie selbst nicht verträten, verglichen mit den Vorvätern, und wie erst den Kirchenvätern, die die "Wilden" oft nicht als Menschen bezeichnet hätten. Auch unsere Gesetze kennen die eingeschränkte oder gar entzogene Mündigkeit und damit Handlungsfähigkeit - das "Menschsein" wird auch bei uns definiert und hat - Abtreibung! - eindeutige historische Definition. Nichts anderes war der Kern der damaligen Überlegungen, ohne zu berücksichtigen, daß die materielle Gier vieler sehr darnach verlangt hat, sich jeder menschlichen Gewissenspflicht zu entheben. Es waren die Könige und die Kirche, die diese Pflicht wieder und wieder eingefordert haben! Ohne sie würde es uns heute mit Sicherheit normal erscheinen, den Indianern nach wie vor Menschenqualität abzusprechen. So, wie wir es ja mit Föten oder in der Euthanasie (pardon, "Sterbehilfe" ...) tun. Nur aus dem Transzendenten, als Abbild Gottes, wird der Mensch unabhängig von seiner AKTUALISIERUNG, zu einem in jedem Fall zu Liebenden.

**"Temporal y Eterno" von Pater Nierenberg




Teil 3 morgen) Ein Muster wirklicher Entwicklungshilfe, 
das aber an menschlicher Schwäche scheitert






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