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Donnerstag, 2. Mai 2013

Einblicke

Nein, es soll hier keine Kampagne geführt werden, auch wenn es so aussehen könnte, und der Verfasser dieser Zeilen nicht sicher ist, ob es nicht angebracht wäre. Aber was sich in Irland rund um die Frage, ob Abtreibung "aus Gründen der Vermeidung von Selbstmorden" abspielt, ist einfach beispielhaft für das, was Politik heute tatsächlich macht weil ist, und was auch von "konservativen" politischen Kräften im parlamentarisch-demokratischen Spiel zu halten ist. Die nämlich mit unausweichlicher Logik dazu führt, daß die Politik der Staaten mit der Zeit nur noch Forderungen von Minderheiten realisiert. 

Nichts anderes ist in Österreich der Fall, ja fortlaufend in allen Staaten zu beobachten, wo der Mehrheitswille schon lange völlig mißachtet wird. Die parlamentarische Eigenlogik hat zur Folge, daß die jeweils größeren Parteiungen um "des geringeren Übels willen" durch auch parteiinterne Minderheiten erpreßbar sind. Bis am Ende "klammheimlich" nur noch Minderheitenprogramme Inhalt der Politik geworden sind. Ein Vorgang, der seltsamerweise in seiner Mechanik noch nie untersucht wurde. Ist er doch der massivste Hebel der Selbstentfremdung der Menschen, in der sich in perverser Logik der realen politischen Mechanismen "Normalität" zunehmend als Minderheit, als Anormalität erfährt, die einer "Mehrheit" gegenübersteht, die in Wahrheit nur noch aus (praktisch immer: extremen) Minderheiten besteht. Nahezu die gesamten politischen Inhalte der europäischen Politik sind mittlerweile ... ehemalige Minderheitenmeinungen. Und sie sind es in Wahrheit auch noch heute, wären sie nicht zur virtuellen Autorität vorgeblicher Mehrheitsmacht, zur (gesollten) Norm selbst aufgeblasen worden.

Die gesamte Geschichte der neuzeitlichen Demokratien Europas ist eine Geschichte der brutale(re)n Durchsetzung von Minderheiteninteressen. Das geht bis hin zum Nationalsozialismus. Und es ist eine Geschichte der politischen Parteien, die in sich selbst wiederum eine Geschichte der Durchsetzung von Minderheitsmeinungen und der Verschleierung dieser Tatsache sind. Simone Weil sieht deshalb nur einen Weg, sie zu retten: indem Parteien verboten, abgeschafft werden. Nur im persönlichen Begegnen kann überhaupt demokratisch entschieden werden, dort soll das sogar passieren. Und nur dort und dann ist Übereinstimmung erfahrbar.

Demokratie, ja überhaupt Staat kann nämlich nur gelingen, wenn im Wesentlichen ein Volk derselben Meinung, derselben Werthaltungen ist. Ansonsten wird sie zur Diktatur. Keinesfalls kann sie unvereinbare Wertpositionen befrieden, im Gegenteil, sie vertieft eine Kluft, deren Aufbrechen sie aber lange hinauszuschieben vermag. Eine demokratische Entscheidung kann niemals eine unveräußerliche Position der Gegner berühren. Deshalb können politische Parteiungen und Regierungen, die einen völligen Umbau einer Gesellschaft auf ihrem Programm haben, kein Bestandteil eines demokratischen Staates sein. Sie sind ihrem Wesen nach undemokratisch. Nichts anderes ist der Hintergrund des an sich völlig wahren "huius regio - cuius religio".

Hier nur ein Absatz aus einem der Schreiben, mit denen das irische Life institute den Verfasser dieser Zeilen laufend über die Geschehnisse in der derzeit in diesem Land ablaufenden öffentlichen Diskussion informiert.

"Fine Gael made a deal with Labour - 'support our austerity measure, and we'll give you abortion', but it is Fine Gael who will now become known as the abortion party," said Ms Uí Bhriain. "Labour represent less than 10% of the people now according to polls, yet they are deciding for the whole country on this issue of life and death."

(Anm.: Fine Gael ist die größte irische Volkspartei. Der keltische Name bedeutet etwa so viel wie "Familie der Iren". Sie stellt seit 2002 den irischen Ministerpräsidenten, Enda Kenny, und verfügt über keine absolute Mehrheit im Parlament.)



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