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Freitag, 24. Mai 2013

Strukturen des Entscheidens (2)

 Teil 2) Warum Kahnemann irrt, und warum er genau deshalb pessimistisch ist






Das Erschütternde an den Aussagen von Kahnemann ist, daß sich diese Erkenntnisse (die ja alles andere als neu sind, nur in eine "praktikablere" Fassung, eine Methode umgemünzt werden) direkt in Manipulation verwandeln lassen. Ja Kahnemann stellt es gar so dar, als gehöre Manipulation zum Handwerkszeug jedes Menschen.

Da wundert es nicht, wenn er sich als pessimistisch bezeichnet. Denn unsere Welt sieht mittlerweile wirklich so aus - als Welt der Manipulationsversuche. Nicht aber Manipulation als sachliche Überzeugungsarbeit, sondern als Manipulation eine bestimmte Entscheidung in bestimmten Situationen zu treffen - irrational. Durch vorgetäuschte soziale Normen, etwa. Und die PR hat sich ja beobachtbar seit vielen Jahren bereits auf diese Schaffung einer (fiktiven) Normalität konzentriert. 

Sie macht sich damit ein grundlegendes menschliches Sosein zunutze, das schon deshalb leichtes Spiel hat, weil seit vielen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten, seit der Aufklärung spätestens, ein autonomistisches Selbstverstehen des Menschen vorherrscht. Daß der Mensch sein substanzielles Normengebäude "empfängt", schon in der Kindheit, wurde schlicht vergessen, oder mehr noch: vergessen gemacht. Denn da erhält die Familie ein Gewicht, das der Politik ein Hemmschuh wird. Ein manipulierbares Volk muß deshalb eine Normensetzung akzeptieren, die von den politischen Autoritäten vorgegeben werden kann. Familien bilden die entscheidenden Normenschulen, die zu beseitigen, in die Öffentlichkeit hinein aufzulösen, die Politik seit Jahrhunderten versucht.

Und sie lügt, sogar ganz offen. Denn sie tut zumal heute so, als würden "dann", bei Herauslösung aller Familienmitglieder aus dem Kleinverband, KEINE Normen mehr gesetzt, sondern stünden quasi zur freien Disposition. Als könnte dieser Normierungsprozeß auch später stattfinden, "selbständig verantwortet". Das ist schlicht und ergreifend falsch. Die Emanzipaton sämtlicher Familienmitglieder, das Herauslösen aus familiären Hierarchien und Verantwortungen, bewirkt lediglich, daß die Kinder vor allem Freiwild für den politisch-ideologischen Willen werden. Das hat man ja vor allem durch die Emanzipation der Frau erreicht, den effektivsten Hebel, um die Ordnung der Familie aufzulösen. Somit ist es eben die Schule, die Medienwelt etc., die diese Normengrundlagen stärker legt, geprägt von einer familiären Norm, die die Eigennorm auf diese Öffentlichkeit hin in Erwartungshaltungen etwa auflöst.

Darüber hinaus unterlegen Kahnemann's Gedanken, was an dieser Stelle über das Wesen und die Wirkweise des Internet und der social media wieder und wieder beleuchtet wurde: Seine Wirkweise ist nicht die ausgewiesene Rationalität der nominellen Worte. Seine Wirkweise ist eine der Gestalt der physischen Präsenz, bezieht sich auf eine Wirklichkeit, die mit den nominellen Inhalten des Netzes bestenfalls zu tun hat, sie aber nicht auf die proklamierte Weise ("Kommunikation") hervorbringt.

Was Kahnemann aus seiner psychologischen Richtung zeigt ist schlicht die Bedeutung grundsätzlicher Wertesysteme und vor allem Haltungen, in denen sie begründet liegen. Aus ihnen heraus werden sämtliche Faktenentscheidungen getroffen, sie bestimmen die Faktengewichtungen. Das ist wie gesagt alles andere als neu, die Philosophie, die Anthropologie sagt es seit Jahrtausenden. Neu vor Augen steht damit lediglich, daß es auf diese Grundsysteme ankommt, auf die Wahrheitsfrage, auf die Frage, worin diese Wertenormen selbst gründen. Und das ist eine philosophische Frage, keine der Natur- oder Teilwissenschaften, die - auch das läßt sich aus Kahnemann's Thesen ableiten - aus sich heraus gar keine Entscheidungsgrundlagen liefern können.

Denn was auch Kahnemann übersieht, zumindest nicht thematisiert, ist die Tatsache, daß diese Normensysteme zwar vordergründig manipulierbar sind, das stimmt. Aber sie sind es nicht in der substantielleren Wirklichkeit. Zwar kann durch Manipulation der Mensch sich selbst entfremdet werden, aber er wird damit lediglich in einen Widerspruch mit sich selbst gestürzt. Denn die wirkliche Wirklichkeit, in der jeder Mensch gleichermaßen steckt, ist eine einer vorausgehenden, wirklichen Ordnung des Seins, die NICHT menschlicher Beliebigkeit unterliegt. Jeder Verstoß gegen diese wirkliche Ordnung führt zu einer Katastrophe. 

Diese Ordnung aber ist nicht jener Rationalismus, den Kahnemann anspricht, wenn er meint, "objektive" Entscheidungen würde ein Computer besser treffen. Der Rationalismus ist selber ein metaphysisches Modell, und darin sogar definitiv und rational widerlegt, weil er aus sich heraus ja gar nicht begründbar ist. Gödel hat ja gezeigt, daß es ein Hinzukommendes braucht. Es gibt sie nicht, die "rein objektiven" Entscheidungen! Es gibt kein menschliches Handeln außerhalb eines Sinnhorizonts, und damit außerhalb persönlicher ethischer Haltungen, als Ausdruck und Anschluß an diese Ordnung des Seins ist. Nur aus der Übereinstimmung damit kann von "Objektivität" gesprochen werden. In jedem Fall ruht es auf einem Willen zum Gehorsam auf - dem Gehorsam diesem Sinn gegenüber. Und darin gründet die Grundausrichtung des Menschen, Norm von außen zu empfangen. DARIN gründet die Macht der Normsetzung durch die Gesellschaft, die einen umgibt. Das ist kein "bedauerliches Faktum", sondern so ist schlicht und ergreifend der Mensch. Auch der der meint, das sei zu bedauern. Auch das - eine Norm, eine Haltung, ein Sinnelement, das er empfangen hat.

Die Entscheidung, Computern das Handeln zu überlassen, weil sie "objektiver rechnen", ist damit ebenso eine Sinnentscheidung, und darin eine Erklärung über das, was die Welt in Wahrheit IST bzw. sein soll. Nur ist sie falsch. Und sie ist es sogar, die uns in dieses Desaster der Unmenschlichkeit geführt hat, auf das wir zusteuern, in dem wir uns längst befinden. Menschliches Handeln ist immer in personalen Sinnentscheidungen verankert. Ist es das nicht, wird es zum einen unmenschlich, zum anderen ist das aber gar nicht möglich.  


Kahnemann's Pessimismus ist auf eine Weise also völlig berechtigt (und noch mehr verständlich), betrachtet man den Zustand unserer faktischen Welt. Auf eine andere aber überhaupt nicht. Denn der Mensch hat immer ein "backup-"System, aus dem heraus ihm ein Neustart zu sich selbst möglich ist. Er muß sich nur besinnen: Auf die Ordnung des Seins, der er immer und jederzeit gegenübersteht, und auf die er hören muß, weil sonst alles vergehen muß.

Kahnemann erklärt damit gar nichts. Er zeigt, als Psychologe auch verständlich, nur das Spiel einer faktischen Wirklichkeit, die er aber nicht deuten kann.




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