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Sonntag, 5. Mai 2013

Geist und Leib

Es wäre ein unverzeihlicher Irrtum, schreibt Yves Congar in "Das Mysterium des Tempels", sich den neuen Kult, der im geistigen Tempel dargebracht wird (1 Petr. 2,5), als rein "sittlich" vorzustellen. "Geistig" steht im Neuen Testament nicht im Gegensatz zu sichtbar oder körperlich, sondern zu fleischlich, zu dem, was rein natürlich oder menschlich wäre. Noch einmal: das Ziel des Wirkens Gottes auf Erden ist die Verkörperung, Christus "erfüllt sich" in seinem Leib, der die Kirche ist (Eph 1,23).

Das geistige Opfer der Gläubigen, das auch das Opfer ihres Leibes ist (Röm 12,1), vollzieht sich in der Vereinigung mit dem Osteropfer Christi durch das Sakrament seines Leibes. Und dieses Sakrament kann nur korporativ gefeiert werden, in der Kirche, unter der aktiven Leitung eines befugten Priesters.  Alle Versammlungen von Christen haben eine organische Struktur. Alle Gläubigen sind dabei mittätig, aber auf verschiedene Weise.

In der Religion des fleischgewordenen Wortes steht "geistig" nicht im Gegensatz zu leiblich und ist auch nicht auf eine Ordnung des rein persönlichen, individuellen Innenlebens beschränkt. Das geistige Opfer jedes einzelnen wird wohl in seinem persönlichen Leben dargebracht, aber nur im Dienst und in der Einheit der Gemeinschaft erfüllt.

Es gibt nichts weniger Individualistisches, weniger rein "Innerliches".

Der geistige Tempel ist körperlich und konkret; er ist die Kirche. [...] Nichts ist geistiger als der Leib Jesu Christi, der Gestalt erhalten hat vom Heiligen Geist und der Jungfrau Maria. Aber das Neue Testament legt den Namen "Leib Christi" (soma) drei miteinander verbundenen Tatsachen bei: dem fleischlichen Leib, geboren aus Maria, gelitten, gestorben, auferstanden, aufgefahren in den Himmel; dem eucharistischen, sakramentalen Leib; dem gemeinschaftlichen oder kirchlichen Leib, dessen Glieder die Gläubigen sind. 

Es ist weder umsonst noch unbegründet, daß diese drei Tatsachen denselben Namen des Leibes Christi tragen. Sie stehen wirklich miteinander in Verbindung, daß die erste die Gestalt der zweiten annimmt, um in der dritten zu existieren. Es gibt nur einen geistigen Tempel, den Leib Christi, aber dieser verherrlichte Leib existiert auf Erden nunmehr in der Kirche, die der geistige Tempel und das Haus Gottes ist.


Es gibt wohl kaum eine Konfusion, die mehr Schaden gebracht hätte, als die Verwechselung von "geistig" und "unsichtbar", schreibt Congar a.a.O. Deren Spuren sich zahlreich bei Luther, in der protestantischen Gedankenwelt und in der Philosophie seit Descartes finden.

Die göttliche Fülle des messianischen Tempels ist körperlich und zugleich geistig. Seine Existenz ist die einer wirklichen Gegenwart, nicht nur auf geistig-unsichtbarer Ebene, sondern auch hinsichtlich seiner Äußerungen und seiner physischen Mittel.

Daher ist der Kult, der in diesem Tempel gefeiert wird, zugleich geistig und körperlich. Die Psalmen, Hymnen und Gesänge, die dort mit dem Mund gesungen werden, sind "geistig". Deshalb findet man im geistigen Tempel der messianischen Zeit eine Liturgie, die zugleich Fülle, Gegenwart, greifbare Tatsache und geistige Wirklichkeit ist.  [...] 

Es ist nachgewiesen, wie sehr die Liturgie, von der die Apokalypse erfüllt ist, eine Fortsetzung oder eine himmlische Projektion der Liturgie der Kirche ist. Sie ist voll Farben, Gesängen und Ausrufen, Gebärden, Symbolen und Weihrauch. Dies zeigt uns deutlich, wie der Kult "im Geist und in der Wahrheit" etwas ganz anderes ist als ein rein innerlicher Kult ohne sinnlichen und sozialen Ausdruck auf die Art des George Fox und der Quäker.

Der Leib Christ ist nicht unsichtbar, von einer rein repräsentativen, inneren Ordnung. Er ist sakramental-eucharistisch und kommunional-kirchlich greifbar, ausgedehnt und lokalisiert.

Das Körperliche ist hienieden nicht nur die Stätte oder der Rahmen des geistigen Geschehens, auch nicht bloß sein Ausdruck. Es ist vielmehr zu seinem Dienst und zu seiner Hilfe da. Die Liturgie mit ihrer vierfachen Eigenschaft als sinnlich wahrnehmbar, kollektiv, sakramental und hierarchisch ist nicht nur der Ausdruck oder die Folge des Geistigen, sie ist auch das Mittel für seine Entstehung und sein Wachstum.

Die Tempel aus Stein, die liturgischen Feiern sind Mittel für die Verwirklichung des wahren geistigen Tempels. Sie sind gleichsam Sakramente des kirchlichen Leibes Christi, des Heiligtums der messianischen Zeit.

Es genügt nicht, schreibt Congar, zu sagen, daß körperlich und konkret, von Menschen gemacht, der Tempel im Rahmen der Geschichte existiert. Er hat selbst eine Geschichte, die sich auf die Stufen einer fortschreitenden Verwirklichung verteilt. Man könnte sogar sagen, daß diese Geschichte der tiefere Sinn der Weltgeschichte im allgemeinen sei.

Das Wirken der Vorsehung in der Welt hat kein anderes Ziel als die Errichtung jenes geistigen Hauses, wo alle Seelen, die Mitglieder der königlichen und priesterlichen Familie sind, durch Jesus Christus dem Allerhöchsten wohlgefällige Opfer darbringen können. Man darf sich nicht wundern, wenn als tiefster Sinn oder Endzweck der Welt die Verwirklichung des geistigen (daher übernatürlichen) Tempels gesetzt wird, mit der Inkarnation als höchster Hilfe.

Es handelt sich hier nicht um ein eigenes, näheres Ziel, sondern um das Endziel. "Ebenso wie der Wille Gottes im Handeln ist und sich DIE WELT nennt, so ist seine Absicht das Heil der Menschen, und ihr Name ist die Kirche (Klemens von Alexandrien).

Vom Standpunkt der letzten Absichten Gottes gesehen, ist die Geschichte der Welt die Geschichte der Verwirklichung eben jener göttlichen Absicht, in der Schöpfung auf eine vollkommene Art zu wohnen.

Also nicht außerhalb von ihr, über ihr oder wie auch immer, auch nicht als hinzugefügte Sonderqualität, der "Moral des Umweltschutzes" etwa, oder als Gebot zueinander halt möglichst nett zu sein, sondern IN DER SCHÖPFUNG ALS SIE SELBST, durchwirkt aber von einem neuen Geist, als Gottes Stätte und Tempel. Die Inkarnation Gottes in Jesus Christus hat also die Schöpfung wieder ihrem ursprünglichen Ziel eingefügt, als Wohnstätte Gottes, der sich in ihr selbst liebt, in der reinsten Form der Liebe, dem Selbstopfer.

Zugleich wird dieser Raum für Gott von den Menschen durch das Selbstopfer frei, in diesem wird die Schöpfung in die Kirche hineingenommen. Das Ende der Zeit ist dann gekommen, wenn diese Schöpfung genau den von Gott vorgesehenen Plan erfüllt. Wann das ist, wissen wir nicht, so lange aber ist die Kirche geschichtlich als kampferfüllte, auch tragische Geschichte des Wachstums der Heiligkeit.

Zuvor aber, schreibt der Hl. Paulus im 2. Brief an die Thessalonicher, "muß der Abfall kommen und der Mensch der Sünde geoffenbart werden, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich erhebt über alles, was Gott und Heiligtum heißt, der sich selbst in das Heiligtum Gottes setzt und sich für Gott ausgibt."



*050513*