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Sonntag, 5. Mai 2013

Sein wie Gott

Wer nicht in der Lage ist, geistige Akte zu setzen, kommt - und das ist das Verblüffende - in die eigentümliche Lage zu meinen, er wäre allwissend. 

Natürlich ist dieser Vorgang, der heute (anders als überhaupt?) gerade bei jungen Menschen häufig anzutreffen ist, in der Praxis komplexer und wohl nie so rein darzustellen. Aber es ergibt sich folgender Umstand: Weil der vitale Empfindungsprozeß nicht abreißt, nur durch vitale Akte "angestochen" wird, die gleichsam wie aufblitzen, wird ein geistiger Akt zur Rückschau. Und weil er eine ungeprägte Vergangenheit vorfindet, erscheint er sich gottgleich und als alle diese Inhalte bereits besitzend.

Daß heißt nichts anderes als daß aus der Persönlichkeitsschwäche, wie sie heute als Massenerscheinung auftritt und in seinen Ursachen an dieser Stelle bereits vielfach beleuchtet wurde, der Größenwahn fast zwangsläufig erfolgt. Denn es braucht Persönlichkeit, sich geistig zu einem sinnlich Empfundenen zu verhalten, es zu bestimmen, und anschließend, in einem Sammelakt, wiederum bestimmt und beurteilt zu werden.

Das läßt sich anhand eines einfachen Beispiels illustrieren: Wer einem sprechenden Menschen zuhört, hört Wort für Wort. Jedes Wort ist bereits ein Akt, denn es wird geistig erkannt. Am Ende des Satzes bildet der Zuhörer eben diesen Satz, und beleuchtet die Wörter (etc.) aus dem Gesamtsinn heraus, ein eigener Akt.

Das, was diese Akte zusammenfaßt, was in ihnen ein Kontinuum feststellt - nein: setzt, es ist ein Akt - ist das, was als "ich" bezeichnet werden kann, in der Form des "ich bin" ein  notwendiger, im Namen (als zugeteilter Berufung) gebotener Akt, ein sittlicher Akt sohin, in der Gestalt der Persönlichkeit.

Ein (guter) Zuhörer reagiert nicht auf die Weise, daß er die einzelnen Worte an sich vorbeifließen läßt, sondern er gruppiert unentwegt in sich die Bedeutungen um. Bis zur Schlußdeutung, auf die er sich endgültig festlegt, und sei es nach geraumer Zeit des Nachdenkens, in dem z. B. wieder hin- und hergruppiert wird. 

Fällt die Stellungnahme zum Gehörten schwach aus, verliert das Gehörte den Zusammenhang mit dem Sprecher. Der Nachdenkende findet nur noch mehr oder weniger Worte vor, ohne Zusammenhang mit dem Sprecher, der Situation etc. Er kann nicht mehr unterscheiden, wo ihr Ursprung liegt.

Als Grundhaltung im Alltäglichen, inmitten der ständigen Empfindungsströme, führt diese Aktlosigkeit sogar zu einem "Sein wie Gott"-Gefühl.

Man stelle sich - es fällt in dieselbe Problematik, nennen wir es: entspannte, spannungslose (und Persönlichkeit ist ja: Fähigkeit zur Spannungstrage) Empfindungsaufnahme - eine Situation vor, in der man müde ist, also kaum noch zu einer Stellungnahme fähig ist. Man hört Worte, aber erfaßt kaum noch ihren realen Zusammenhang, ihre sinnlichen Qualitäten, und hat im Gedächtnis nur noch diese Worte, mehr oder weniger ohne personalen Rahmen. Sie sind in einem da, als wären sie ... von einem selber gesprochen, denn als diese Worte spricht man sie, Gedanken haben ja die Form der Sprache. Sie sind nicht mehr auf ihre Herkunft hin unterscheidbar.

Dieses hier nur andeutbare Problem wird beim Internet dramatisch schlagend, und erklärt viele seiner realen Auswirkungen, insbesonderes die Prägnanz des Problems der Urheberschaft: Weil der Aufnahmeakt quasi mühelos stattfindet, keine Schwellenüberschreitung verlangt, keine Mühe, nur "neutrale" Worte aufnimmt, an denen kaum noch sinnlich-reale Qualität hängt, noch dazu begleitet von der Macht der Selbsthervorrufung (man muß im Netz wählen, selbst wählen, was man liest), wird die Illusion (schon gar, wenn man noch eine Neigung oder gar Notwendigkeit dazudenkt) sehr rasch aufstehen, daß das Gehörte - aus einem selbst stammt.

Selbst die sogenannte Respektlosigkeit läßt sich diesem Phänomen zuordnen.

Was auch von dieser Seite auf die Bedeutung des gesamten Aktes des Zuhörens als menschlichen, ganzheitlichen Akt hinweist. In dem Sprechen und Lesen (als Zuhören) seine personale Qualität ganz dramatisch verändert und vor allem: verliert.*






*Genau genommen erklärt es sogar Effekte wie das Erschrecken, den Horror, die Überraschung - die ja sämtlich von vorheriger Akzeptanz durch Identifikation ausgehen. Und es schlägt eine Brücke zu der fatalen Wirkung des 3D-Kinos (bzw. des technisch in gewisser Hinsicht immer perfekteren, was heißt: die Wahrnehmungsakte vorwegnehmenden Kinos), das als Illusion, d. h. als vermeint vertraute Erscheinung, geistige Akte in der Wahrnehmung überhaupt schon fast unnötig macht. 





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