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Freitag, 17. Mai 2013

Sichtweisen

Die Vergleiche von "Vermögen" - zumal bei Haushalten unterschiedlicher Staaten - hinken immer. Die Parameter sind nur schwer zu evaluieren, in Geld zu fassen. So sind auch die immer wieder auftauchenden Vergleichszahlen mehr als problematisch, wonach Südeuropäer deutlich mehr Privatvermögen besitzen wie Deutsche und Österreicher. Und noch schwieriger ist es, daraus Aussagen zu basteln.



Das hängt stark mit Immobilienbesitz und dessen Bewertung zusammen. Privatvermögen aber bedeutet zu 85 % Eigentum an Sachwerten. Das ausgewiesene Vermögen der Spanier zum Beispiel beruht auf Immobilienpreisen, die vor dem Platzen der Spekulationsblase, vor der Finanzkrise also, 2008 erhoben wurden. Es würde nominell heute nur noch einen Bruchteil ausmachen. Nicht anders in Griechenland, Italien oder Zypern.

Viel interessanter aber sind andere Aussagen, die man gewinnt. So die, daß der Anteil der Bevölkerungen, die in Häusern wohnen, die den Menschen auch gehören, im Süden etwa etwa doppelt so hoch ist wie in Deutschland oder Österreich. Denn das hat auf jeden Fall Auswirkungen auf das Selbstgefühl der Menschen, die sich generell dem Staat gegenüber distanzierter sehen, als hierzulande. 

Das wird noch verstärkt, wenn man zum Trost anführt, daß das Vermögen der Nordeuropäer deshalb höher liegt als nominell ausweisbar, weil die Nordeuropäer ANSPRÜCHE AN DEN STAAT haben. Als Rente, als Sozialstaatsmaßnahme. Es bedeutet in jedem Fall, daß die Staatsgebilder hierzulande deutlich höhere Priorität in der Erhaltung haben, als im Mittelmeerraum, und läßt klare Rückschlüsse auf die Politik sowie auf die Gesellschaften zu.

Der Deutsche/Österreicher ist also ein Eigentumsloser. Das hat historische Gründe - wie die Zerstörungen der Kriege etwa - zeigt aber auch klar die Grundtendenz der Politik seit über 100 Jahren. Während sich im Süden Familieneigentum bilden konnte bzw. bewahrt blieb, kam es im Norden Europas zu einer Desubstantialisierung der privaten Haushalte. Das hier erwirtschaftete Einkommen wird sofort wieder (betriebswirtschaftlich Kosten, Aufwand, keine Investition) ausgegeben, es fließt nicht in den Vermögensaufbau. Wie bei Mieten, unter dem weiteren Hinweis auf den hohen Anteil an Häusern und Wohnungen im Besitz der öffentlichen Hand (Sozialwohnbau etc.) Sein "Vermögen" aber bedeutet gesamtgesellschaftlich aber weitere Verpflichtungen in der Zukunft. Bricht das Pflichtverhältnis dem Staat gegenüber, sind die Österreicher und Deutschen ... vermögenslos.

Das zeigt die politischen Zielsetzungen dahinter, und bedeutet eine deutlich schwächere Familie, gerade im Generationenzusammenhang (Erbrecht!), die sich um zu existieren in Abhängigkeitsverhältnisse dem anonymen Staat gegenüber begeben muß. Der sich dann wie konkret bei uns beobachtbar herausnimmt, über diese Zuwendungen auch gesellschaftspolitische Zielsetzungen (u. a. Emanzipation und damit Autonomisierung der Familienmitglieder, aber noch weit darüber hinaus, bis in die Berufsgestaltung) zu betreiben. Der Österreicher und der Deutsche MÜSSEN Staatsvieh bleiben, und wo sie es noch nicht sind, werden, daran führt bei dieser Lösung überhaupt kein Weg vorbei.

Die fehlende Möglichkeit, sich Eigentum zu erwerben, gerade generationanübergreifend, bewirkt aber auch eine Einzementierung der Vermögensunterschiede, und zwar gerade zu Lasten der Familien mit Kindern, die über den täglichen Bedarf als Ausgabenposten überhaupt nicht mehr hinauskommen. Damit bildet sich bei uns eine innere Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur, die sich sehr konkret und vielfach auswirkt und zwischenmenschliche Verantwortung zugunsten von Rechenexempeln auflöst. Der Geburtenrückgang setzte vor über 100 Jahren ein, und fällt (mit etwas Verzögerung) mit der Ausgestaltung des Sozialstaates zusammen. Sie ist seine gesellschaftspolitische Tochter, denn der Sozialstaat bricht den Lebensmut, den Lebensoptimismus, entgegen gegenteiliger Behauptungen.

Damit ist auch klar, daß der Südeuropäer den Versuchen der letzten Jahrzehnte, auch deren Staat nach nordischem Muster umzugestalten, viel distanzierter gegenüberstehen mußte. Ihm ist der Staat eben noch weit mehr ein Gegenüber, er empfindet ihn anders, und bei weitem nicht als so wichtig, wie es hierzulande der Fall ist. Er erwartet weniger Konkretes von der Politik, und sieht sie deshalb auch anders - spielhafter, weniger ernst. Das bedeutet eine völlig andere Haltung staatlichen Zuwendungen gegenüber, was sich noch weiter steigert, je abstrakter die Gebilde werden, die solche Zuwendungen vergeben - wie EU-Behörden.

Zahlreiche Geschichten, die dem Verfasser dieser Zeilen aus Zypern zu Ohren kamen, belegen das. Der Südländer sieht NOCH MEHR als der Nordeuropäer EU-Gelder als "Beute", die zu erobern er die Möglichkeit hat, die er aber kaum wirklich ernst nimmt.

Und das, werter Leser, ist vielleicht auch die viel gesündere Haltung. Das größte Wunder übersehen wir nämlich recht gerne: wie es hunderten Millionen Südeuropäern gelingt, trotz chaotischer Staatsfinanzen zu überleben, Tag für Tag. Tragisch sind die Zustände in erster Linie nur dort, wo sich das Gehirnwäscheinstrument Nummer 1, das was heute als "Bildung" vorgelogen wird, bereits in diese Richtung der Selbstentfremdung und Entwurzelung - die verwerflichste, aber direkteste und stärkste Stoßrichtung der Politik, national wie in der EU - reich entfalten konnte. Beispielsweise in der Jugend.

Wie ein zerfallender Staat, der bis in die intimsten persönlichen Bereiche verflochten ist, sich bei uns auswirken würde, wagt der Verfasser dieser Zeilen da gar nicht auszumalen. Bricht bei uns der Staat, muß sich das Leben der Menschen aus den einfachsten zwischenmenschlichen Beziehungen heraus, in den alltäglichsten Verrichtungen erst neu erfinden. Darin hat uns der Süden auf jeden Fall schon jetzt viel voraus.






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