Der Verfasser dieser Zeilen gesteht hiemit, ein großer Bewunderer der Gastwirte zu sein, namentlich deren Menschenkenntnis. Er hat in seinem Leben einige gut gekannt, und alle hatten eine außerordentliche Fähigkeit entwickelt: Aus bestimmten kleinen, oft kleinsten Gesten und Verhaltensweisen ihrer Gäste auf deren Lebensumstände rückfolgern zu können. Wer ein Gasthaus besucht, das noch ein solches ist, überschaubar, persönlich, das also Stammkundschaft und einen persönlich anwesenden Wirt hat, sollte also auf der Hut sein: Er wird in den allermeisten Fällen in einer Tiefe durchschaut, die ihn erstaunen würde.
Das erstreckt sich natürlich auf viele andere Bereiche ebenso, ja im Grunde kann in jedem Beruf, der ernsthaft ausgeübt wird, aus dem ganz eigenen Bereich auf das große Ganze rückgefolgert werden. Der Schuster aus dem Verkauf von Schnürsenkeln, der Glaswarenverkäufer aus dem der Sektgläser, der Portier aus der Art wie jemand den Firmenparkplatz benutzt, oder der Wirt aus den Konsumgewohnheiten bei Bier oder der Art, wie man eine Gabel anfaßt, oder der Anzahl der verkauften Tagesteller. Selbst dann, wenn offizielle Prognosen anders lauten, erweisen sich diese Prognosen als überlegen.
Solche Kriterien bilden sich durch Erfahrung und Phantasie, sie sind deshalb auch eine Frage der Erfahrung, und bei den einen enorm weit und umfassend ausgebildet, sodaß sie mit der Zeit aus egal welchen Details Gesamtaussagen treffen können, bei anderen beschränkt auf bestimmte Aussagen. Zeitlebens hat der Verfasser dieser Zeilen deshalb auf solche Wahrnehmungen der Menschen großen Wert gelegt, und immer noch spitzt er die Ohren, wenn der einfache, möglichst unverbildete und damit nicht von "gesollt Gedachtem" verbogene Mann von der Straße seine Weisheiten kundgibt. Der Malermeister hat viel zu sagen, wenn er weiß, daß der Verkauf von Pinseln direkt schlechte Wirtschaftsentwicklung ankündigt, er hat in der Regel recht, und reagiert (hoffentlich) auch danach. Selbst wenn ihm die Politik etwas anderes verkaufen will.
Im Nachhinein sind natürlich immer logische Zusammenhänge, Zweckkonstrukte, Notwendigkeiten aufzeigbar. Im Nachhin heißt, wenn dem bloßen sinnlichen Datum ein Begriff zugeordnet wurde, der Sinnesdaten zum Symbol ordnete und gruppierte, und damit zur Bedeutung machte. Nur dann haben Daten, die zu "Fakten" wurden, auch vorwerfende Aussagekraft.
Und dann stellt sich freilich die Frage, warum man nicht längst nur noch darauf achtet - aus der Nachfrage nach Rohstoffen auf die Wirtschaftsentwicklung der nächsten Jahre zu schließen.
Möglich ist das aber nur jenen, die diese Zusammenhänge einmal in ihrer Phantasie so ordneten, daß sie nachträglich, in der Überführung in Korrelationen, auf tatsächliche Zusammenhänge kamen. Die nun "logisch" und "simpel" erscheinen. Der Leser glaube mir - sie waren es nicht apirori. Sie wurden es erst. In den allermeisten Fällen sehen die Menschen Zusammenhänge und -ketten, die es gar nie waren und sind, die eher ihren Utopien und Wünschen entspringen. Entscheidend ist, die richtigen Parameter und Wirkzusammenhänge zusammenzuführen, und das ist wesentlich schwieriger, als gemeint wird. Denn sie zeigen oft eine andere Logik, als man apriori annehmen würde.
Quelle: Die Welt |
Einer dieser Zusammenhänge, der nun so logisch aussieht, scheint zwischen der Entwicklung der Rohstoffpreise und dem weltweiten Wirtschaftswachstum zu bestehen. Und er widerspricht anderen Theorien über Zusammenhänge - denn man könnte meinen, daß billige Rohstoffe Wirtschaftswachstum eher fördern als hemmen. Denn natürlich kann man nun auch sagen: klar, wenn die Wirtschaft brummt,
werden Rohstoffe gebraucht, steigt die Nachfrage, steigen auch die Preise. Aber so einfach ist das
nicht. Denn die Zusammenhänge sind andersrum zu sehen.
Und im besonderen ist das Kupfer ein hervorragender Indikator. Das wußten bisher Kupferverarbeiter und eingefleischte, erfahrene Börsianer, aber allgemeines Wissen war es noch nicht. Die Welt hat es nun zu einem gemacht.
Was sagt dieser Indikator? Er sagt, daß mit bestimmter Zeitverzögerung ein hoher Kupferpreis Wirtschaftswachstum, ein niedriger aber Rezession ankündigt. Und das, obwohl zahlreiche andere Indikatoren der Ökonomie etwas anders wahrscheinlicher gemacht haben: denn es wurden dem Kupfer deutlich höhere Preise vorhergesagt, als sich nun zeigen.
Quelle: Die Welt |
Und das zeigt sich schon seit fast zwei Jahren am gesamten Rohstoffmarkt. Die Gewinne der europäischen Rohstoffproduzenten, so die Welt, sind seit 2011 um 47 % zurückgegangen. Nach den Banken sind sie damit die schlechteste Branche geworden. Getrieben vom Gewinnzwang des Geldes, das hungrig nach Renditen mit gierigen Augen die Welt umkreiste, umso mehr, als die Krisenbekämpfung der Staaten in seiner Vermehrung bestand, haben die Rohstoffe zwar seit einem Jahrzehnt einen wahren "Superzyklus" hinter sich, doch der scheint nun dramatisch einzubrechen. Selbst Weizen und Zucker sind heuer bereits um 10 % gefallen, Kaffee um 7,5 %.
Nun gilt im Detail Kupfer als zuverlässigster Konjunkturindikator. Die Graphik zeigt, daß schon bisher hohe Korrelation zwischen Kupferpreis und Wirtschaftswachstum bestand. Kupfer hat heuer bereits 15 % verloren. Geht man von diesen Zahlen also aus, so steht Europa und der Weltwirtschaft für 2013 eine nächste Rezession, zumindest aber kein Wachstum der Bruttoinlandsprodukte bevor, mit dem die Politik - die immer noch nicht Ausgaben einspart, sondern mit höheren Steuereinnahmen rechnet, um "Haushalte zu sanieren" - überall kalkuliert hat. Möglicherweise sogar für längere Zeit, denn die Effekte der realen Warenwirtschaft arbeiten mit Zeitverzögerung. Unternehmen können sich keine Utopien leisten, sie müssen handfest agieren. Und solchen handfesten Indikatoren vertraut der Verfasser dieser Zeilen mehr, als Berechnungen von Harvard-Professoren, die meist schon simpel Ursache und Wirkung verwechseln.
Das dürfte aber nur für die Vorhersagen "nach unten" gelten. Denn es dürfte eine Tatsache sein, daß der Kupferpreis durch konzertierte Angebotsverknappung "nach oben" maßgeblich manipuliert wird. Und damit wäre es wieder Essig mit seinem (absoluten) Prognosewert, so brauchbar er für die Politik auch wäre. Denn die will vor allem eines: Optimismus, Siegerlächeln, Zukunftsphantasie, und wieder Optimismus. Nur so kann der hohe Staatsanteil am BIP auf Schulden aufrechterhalten werden, nur mit optimistischer Note bleibt in einer Schuldenwirtschaft die Währung stark. Und nur so können sich Regierungen im Sattel halten und Wahlen gewinnen. Wenn Angela Merkel also Francoise Hollande ein Kuperservice zum Geburtstag schenkt, sollte der geneigte Leser aufhorchen.
In jedem Fall soll dies nämlich eine Ermunterung an den geneigten Leser dieser Zeilen sein, sich auf sich selbst mehr zu verlassen, als auf Schlagzeilen der Medien. Und mehr auf das Verhalten der Nachbarin, seines Stammtrafikanten, oder seiner Katze, vor allem aber auf seine eigene Einschätzung, sein eigenes "Gefühl" zu achten, als auf Internet, reißerische Bücher "über die man spricht" und die erklären wie die Welt wirklich funktioniert, oder Zeitungen.
Und vor allem: bei seinem Stammwirt die Ohren zu spitzen. Denn kein Wissenschaftler ist klüger als er, es sei denn, er hat seinem eigenen Stammwirt gut zugehört: Wissenschaft baut immer auf dem persönlichen Akt des Schätzens auf. Verkaufte Mittagsteller sagen mehr aus als alle Wirtschaftsspalten der Zeitungen zusammen.
Graphik: NZZ |
In jedem Fall soll dies nämlich eine Ermunterung an den geneigten Leser dieser Zeilen sein, sich auf sich selbst mehr zu verlassen, als auf Schlagzeilen der Medien. Und mehr auf das Verhalten der Nachbarin, seines Stammtrafikanten, oder seiner Katze, vor allem aber auf seine eigene Einschätzung, sein eigenes "Gefühl" zu achten, als auf Internet, reißerische Bücher "über die man spricht" und die erklären wie die Welt wirklich funktioniert, oder Zeitungen.
Und vor allem: bei seinem Stammwirt die Ohren zu spitzen. Denn kein Wissenschaftler ist klüger als er, es sei denn, er hat seinem eigenen Stammwirt gut zugehört: Wissenschaft baut immer auf dem persönlichen Akt des Schätzens auf. Verkaufte Mittagsteller sagen mehr aus als alle Wirtschaftsspalten der Zeitungen zusammen.
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