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Sonntag, 26. Mai 2013

Die einfache Welt (1)

Au ja, da ist ja die Welt für die bourgeoisen Schnösel vom Dienst wieder in Ordnung, die in fein monatlich abgesicherten Zahlungseingängen ihre hygienisch reinen Thesen zu Wohlstand haben, und in ihren schmucken Häuschen über die Schuldigen an der Ungleichheit diskutieren. Da stimmt ihre Welt wieder, wenn sie Sätze wie die folgenden lesen, die die APA (Austrian Press Agency) rundgeschickt hat, auf daß ihn so gut wie jede Zeitung wie üblich im copy and paste-Verfahren zur Erfüllung ihrer journalistischen Wahrheitspflicht* abdruckt. Dazu werden auch noch rasch die Leserforen gesperrt, denn die Reaktionen der Menschen lassen jede Vorsicht der politisch erwünschten Korrektheit gegenüber vermissen.

Die Ausschreitungen [in Schweden; Anm.] haben eine Debatte über das wachsende Wohlstandsgefälle in Schweden ausgelöst. Während es der Mehrheit der Bevölkerung wirtschaftlich gut geht, fühlen sich vor allem Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund zunehmend ausgegrenzt.

Dazu eine Beobachtung aus jenen Jahren, als der Verfasser dieser Zeilen noch als Bauunternehmer tätig war, und immer ausländische Arbeitnehmer beschäftigt hatte. Und zwar Handwerker (Tischler, Zimmerleute), denn die waren und sind bis heute in Österreich Mangelware. Es gab nie Probleme mit Tschechen, und auch mit Serben und Montenegrinern nur bedingt. Auch Rumänen waren darunter. Brave, berührend demütige Leute - Flüchtlinge, Asylanten im übrigen. Wohlgemerkt: immer zu gleichem Lohn, leistungsbezogen, wie Österreicher.

Aber mit der Wende in Rumänien kam mit den Rumänen die nun ins Land strömten, und die auch der Verfasser dieser Zeilen verschiedentlich eingestellt  hat, ein völlig neuer Menschenschlag ins Land. Die eine ganz eigentümlich Haltung aufwiesen: Denn sie waren der Meinung, daß sie völlig unabhängig, ob und wieviel sie arbeiteten, EIN RECHT auf denselben Wohlstand hatten, wie die Menschen, die hier lebten. Das ging so weit, daß sie teilweise kaum noch mehr als Anwesenheitsdienst verrichteten, den Kollegen bei der Arbeit zusahen. Als sie dafür auch deutlich weniger Geld erhielten, begann eine Art Streikblockade. Die zwar durch energisches Handeln (und Entlassungen) bekämpft werden konnte, aber in schlagartig gestiegenen Diebstählen, die die Materiallager über Nacht schwinden ließen aber auch durch Polizeikontrollen kaum zu bekämpfen waren, weitergloste.

Eine prinzipiell nicht unähnliche Erfahrung, wenn auch nicht in allen Details übertragbar, kann man noch heute machen, selbst in Ungarn, wo einem immer wieder Menschen begegnen, die sich empören, daß sie mit nominell demselben Beruf nicht denselben Wohlstand wie das Nachbarland im Westen haben. Er stünde ihnen nämlich zu.

Was will uns der Verfasser damit sagen?

Man muß dazu einen Antwortversuch bei der Frage ansetzen: Was verbindet all diese Menschen? Was verbindet sie mit den beachtlichen Unruhen in Schweden? Um dann die These begreifen zu können: Es verbindet diese Menschen eine persönliche Haltung, die sie den Staat als Motor und Quelle allen Wohlstandes, die Politik als Anlaufstelle zur Erfüllung aller Wünsche und Lösung aller Probleme erleben hat lassen. Also hat auch "die Gesellschaft" (die es ja nur konkret gibt, als Land, als Staat, als Stadtgemeinde etc.) dafür Sorge zu tragen, daß sie in diese Lage kommen. Und das ist ein Systemproblem, kein einfach moralisches Problem dieser jener, oder einiger weniger.

Aber noch eine entscheidende Haltung ist vielfach Merkmal der Zuwanderung, der "Gastarbeiter". Auch diese kennt der Verfasser dieser Zeilen aus eigener Anschauung, wenn auch mit umkehrten Vorzeichen. Als er während des Studiums immer wieder für Monate nach Deutschland ging, um in relativ kurzer Zeit, unter Ausnützung bestimmter steuerlicher Begünstigungen, Geld zu verdienen, das ihm das Studium (mit)finanzieren sollte, suchte er als Unterkunft in dieser Zeit eine Bleibe, fast egal welchen Zustands. Er "lebte" dort nicht, er wohnte nur soweit, als es zur Aufrechterhaltung der notwendigsten Lebensvollzüge notwendig war. Nichts an dem Land interessierte ihn in jener Weise, daß man von "Integration" sprechen hätte können. Er wollte an ihrem Geldgebaren teilhaben, aber nicht in dieser Gesellschaft als Teil leben. Er war in einer Ausnahmesituation, einem geringeren Übel, blieb bewußt in einer Situation der Vorläufigkeit.

Genau so verhielten sich nahezu alle die Gastarbeiter, die seit den 1960er Jahren ins Land kamen. Ja Rückkehr war sogar ausgesprochene Absicht. (Diesem Umstand verdanken wir die ersten Pizzerien in Deutschland, übrigens: Teil dieser als vorläufig gelebten Parallelgesellschaften.) Ihre sprichwörtlich katastrophalen Lebensumstände, die sogar manche Entwicklung verhinderten (man denke an Gebäude, die plötzlich wieder geschäftsfähig, wiewohl in desolatestem Zustand waren).

Diese Lebensumstände waren also keineswegs Ausweis mangelnder Aufnahmebereitschaft der Inländer, sondern selbst gewählter Kompromiss, denn sie wollten nur eines: Geld verdienen. Je mehr, desto besser. Mit dem sie dann in die Heimat, irgendwann, zurückkehren wollten. Oder parallel, in den Sommermonaten, ihre Häuser in Pristina oder auf Krk bauten, nicht selten um durch Tourismus, den die daheim gebliebene Frau oder Großmutter managte, weiteres Geld zu verdienen. Für diese Menschen war Österreich, war Deutschland kaum etwas anderes als die Tankstelle ihres zukünftigen Wohlstands, Integration wurde nur soweit betrieben, als sie unumgänglich war, oder eben so mal "passierte". Der Verfasser dieser Zeilen hat bei seinen Arbeitsaufenthalten in Stuttgart Anfang der 1980er Jahre genau diese Haltung bei den zehntausenden Türken und Jugoslawen, die dort die Fließbänder bearbeiteten, in Vollgestalt erlebt. Niemand von diesen Leuten wollte je in Deutschland leben - eine Haltung der Verachtung, übrigens, die so manches andere mit erklärt.

Und noch vor wenigen Jahren hat der Verfasser im Gespräch mit älteren Türken und Serben, die sich seit den 1970er Jahren in Wien aufhielten, die erstaunliche und gleiche Erfahrung gemacht, daß die nur ein Ziel hatten: So lange hier zu bleiben, zu sparen, mieseste und vorläufigste Lebensumstände auf sich zu nehmen, bis sie in Pension gehen konnten. Um dann in ihre Heimat zurückzukehren. Ihr Hierbleiben war oft regelrecht zufällig, hat aber ihre Grundmotivation nicht verändert.



Teil 2) Das sogenannte Wohlstandsgefälle ist kein Grund,
es ist eine bequeme Ausrede
 




*Journalismus ist von Literatur nicht zu trennen, unterliegt in seiner Wurzel deshalb derselben ethischen Verpflichtung und praktischen Genese. Ist in gewisser Weise Literatur, der die Zeit fehlt, zur Literatur zu werden.





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