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Montag, 27. Mai 2013

Das Heilige Experiment (3)

 Teil 3) Ein Muster wirklicher Entwicklungshilfe, 
das aber an menschlicher Schwäche scheitert




Das ganze Leben in den Reducciones kreiste aber um Religion. Die Indios besuchten gerne und täglich die Messe, und kein Tag klang ohne Abendandacht aus. Ihr ganzes soziales Leben wurde umgemodelt: die Vielweiberei erlosch, die völlige Vernachlässigung der Kinder - von Familien konnte man gar nicht sprechen - wich einer Erziehung, und nach und nach wurden Ehen üblich, auf freier Partnerwahl. Mit einer Konzession an früher: es war die Frau, die wählte. Aber es erwies sich auch hier, daß die Polygamie eine Degeneration der Geschlechtsgemeinschaft in die beliebige Formlosigkeit ist, nicht eine "freiere Vorstufe".

Die Jesuiten wußten, daß es sinnlos war, einem Nomadenvolk eine "Demokratie" bzw. eine hochentwickelte Staatsform überzustülpen wie einen Konfektionsanzug. Die Guarani waren einfach maßlos faul und träge, wie es von den meisten (wilden) Indianerstämmen bekannt war, und wollten nur tun, was ihnen gerade Spaß machte. 

Die Menschen mußten erst höhergeführt werden, und das gelang: Binnen 80 Jahren wurde aus einer primitiven Kazinkenherrschaft (der alten Dorfhöchsten) und Hordensoziologie eine Selbstverwaltung nach spanischem Muster, die selbstverständlich auch Tribute und Steuern zahlten, ja in Kriegen (wie mit Portugal) sogar besonders zuverlässige und tapfere und freiwillige Truppenkontingente stellten, in denen sie von Laien aus ihren eigenen Reihen geführt wurden und keinen Sold verlangten.

Und obwohl die Guaranis das Privileg des Waffenbesitzes hatten, kam es nie es auch nur zur geringsten Insubordination. 7-12.000 Guaranis kämpften so in über 50 Auseinandersetzungen für die spanische Krone, bei einem Einwohnerstand, der sich von insgesamt rund 28.000 innerhalb der Reducciones auf bald 100.000, ja mit einem Höchststand von 130.000 sogar, entwickelte.  Übrigens mit interessanten Schwankungen, auch durch eingeschleppte Krankheiten.

Sie blieben damit übrigens auch der einzige Indianerstamm ganz Amerikas, der sich - bei erheblichen Schwankungen - über die Zeit damals vermehrte, nicht verminderte oder verschwand. BIS zur Auflösung der Reducciones 1768. Denn dann schwand auch ihre Bevölkerung rapide, bis 1801 nur noch 300 (!) gezählt wurden.

Eine Ordnung, in der sich die Befähigungen der Einzelnen aus ihrer Sittlichkeit allmählich heranbilden mußte - zu späteren Bürgermeistern und Schreibern, Richtern und Ratsherren und Polizisten.

In ihrer jeweiligen dörflichen, klar patriarchalischen Ordnung waren die Guaranis hingeordnet auf den Pfarrer, dem von allen geliebten und glaubwürdigen Hort der Gerechtigkeit und des geordneten Wohlergehens, dem Schutz auch gegenüber schlechten Regeln des eigenen Stammes. Dabei erwies sich das jesuitische interne Ordenssystem als besonders fruchtbar, weil es die Vielfalt und charakterliche Prägung der Einzelnen hervorragend nützte. Wobei sich herausstellte, daß deutsche Pater - die bald ein Viertel der Missionare stellten - bei den Indios ganz besonders beliebt waren. Die rund 80 Pater, die eingesetzt waren, wurden immer als eine erstaunliche Mannigfaltigkeit der Individualitäten gerühmt.*

Natürlich gab es auch Straftaten und Strafen. Sie orientierten sich an Strafsystemen für Kinder: Stockhiebe auf den Allerwertesten etwa, oder in schweren Fällen (begrenzt auf 10 Jahre) als Gefängnisstrafe, die VOR ORT, also im Dorf, in dem der Täter gelebt hatte, zu büßen hatte. Eine Todesstrafe gab es nicht, wohl aber eine Ausweisung aus dem Gebiet. Alle Berichte erzählen, daß die Indios das Strafsystem als gerecht empfanden, ja mit Genugtuung zur Kenntnis nahmen und sogar forderten.

Man verlangte von den Menschen also nicht, was sie gar nicht leisten konnten. Auf den Säulen patriarchaler Struktur aber bildete sich Wohlstand und friedliches Leben. Das immer mehr Neid und Mißgunst erweckte, auch in Europa, immer wieder als verschwörerisches Treiben verleumdet wurde, bei dem die Jesuiten der Machtlüsternheit und unersättlicher Geldgier bezichtigt wurden. Der Hintergrund war freilich ein anderer: Denn der immer drängender aufkommenden "modernen Zeit" des maßlosen und wurzellosen Individualismus, der Gier, ja auch des Protestantismus, denen allen die Welt auszubeutendes weil an sich wertloses ("gefallenes") Nutzgefäß war, standen die Jesuiten auf der Grundlage ihres strengen Gehorsamsgebots eindeutig entgegen.

Nie ist das quasi von selbst zusammengewachsene Reduktionsgebiet in Südamerika ein Staat gewesen. Die Jesuiten hatten keinerlei entsprechende Befugnis, und auch nie die Absicht. Der König war für die Indios ohnehin höchst willkommene, natürliche Verkörperung des Weltengesetzes der Dreifaltigkeit, des Höchsten Gottes. Nicht anders hatte man ja in Europa bis ins 18. Jhd. empfunden.

Alle zivilisatorische Entwicklung - die erste Entwicklungshilfe also, die diesen Namen wirklich verdient - aber sollte  nur einem dienen: der Höherentwicklung des religiösen Lebens. Das aber eine Grundlage bereits in der kulturellen als persönlichen Sittlichkeit haben muß. Man kann Religion nicht einfach überstülpen, sie kann nur auf natürlicher Religiosität anwurzeln.


*"In Geduld unüberwindlich, in ihrem Tun und Lassen starkmütig, in dem Umgang mit den Leuten freundlich, in Sitten ernsthaft und an Tugenden bewährt" mußten sie sein. Nicht aber "zarte, gleichsam aus Wachs possierte Männlein, denn die taugen auf die Missionen so wenig als der Haas zum Sturm-Lauffen," erzählen Berichte aus der Zeit. Im besonderen aber mußten die Missionare, die aus Europa hinübergeschickt wurden, Kenntnisse der Landwirtschaft, der wichtigsten Handwerke, Bewandertheit in Heil- und Arzneikunde, und die Beherrschung der Indianersprache aufweisen.



Teil 4 morgen) Das Ende des Experiments ist das Ende der Jesuiten. Fast.



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