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Sonntag, 28. Januar 2018

Da scheint der Kardinal etwas nicht zu wissen

Es ist ein wenig erschütternd, was Kardinal George Pell hier in diesem kurzen Video über den Wucher sagt. In dem er zeigt, daß er Wucher als prinzipielles Problem nicht verstanden zu haben scheint. Denn anders als Pell (und mit ihm wohl sehr viele) es darstellt, ist Wucher nicht einfach eine Frage "zu hoher Zinsen". Das ist er nur in zweiter Linie. Vielmehr gründet das Zinsnahmeverbot der Katholischen Kirche auf einem viel umfassenderen, prinzipielleren Tatbestand, wie ihn noch vor hundert Jahren Papst Benedict XIV. in seinem apostolischen Schreiben Vix pervenit als seit je und bis heute gültige Lehre der Kirche festgehalten hat.

Denn es geht um das Wesen des Kredits einerseits, und das Wesen menschlicher Handlung anderseits. Letzteres ist vielen Unwägbarkeiten unterworfen, so wie menschliches Leben eben Unwägbarkeiten unterworfen ist. Der Mensch ist nur verantwortlich für die Richtigkeit und moralische Korrektheit seines Tuns, nicht aber für das Ergebnis.  Einseitig vom Ergebnis her zu denken (das kann nur eine zweite Gedankenreihe sein, die aber niemals falsche Mittel rechtfertigt, wo der Zweck also die Mittel "heiligt") ist vielmehr sogar eines der Grundübel der europäischen Geschichte, wie es vor allem seit der Renaissance Einzug hielt. Seit der nicht nur der unmoralische Vertrag (der etwa entsteht, wenn eine Seite in Not handelt), sondern auch das Eigentumsrecht absolut gesetzt wurde. Übrigens: Um den Diebstahl von kirchlichem Gut (wie er in der Reformation in England und Deutschland erfolgte, die die Auslöser für den eigentlichen Kapitalismus waren, welcher Begriff ganz scharf vom "Freien Markt"* zu trennen ist, den es tatsächlich aus naturrechtlichen Gründen braucht) zu rechtfertigen. 

Ein menschliches Tun - hier: ein Tun, das nur mit Hilfe geborgten Geldes ausgeführt werden kann - kann deshalb niemals mathematischen Zwängen und Folgen unterworfen werden, wie es ein mit Zinsen (und seien sie noch so niedrig) verliehener Geldbetrag aber ist. 

Jeder Kredit muß vielmehr mit einer eingebauten Rückkoppelung vergeben werden, über die der Kreditgeber direkt am Schicksal des Kreditnehmers partizipiert.  Im Guten (zum Beispiel als Beteiligung am Gewinn, den eine über Kredit angekaufte Fabrik erzielt) natürlich ebenso wie im Schlechten (Verlusttrage).

Wird es einem Kreditnehmer durch Fälle des Lebens unmöglich, den Kredit zurückzuzahlen, hat der Kreditgeber sogar die moralische Pflicht (der Nächstenliebe), den Kreditbetrag oder die Rückzahlung entsprechend der neuen Lage anzupassen, oder die Schuld gar zu erlassen. 

Wird ein Kredit aber gar vergeben, um jemandes dringende Not zu lindern, so besteht sogar die moralische Pflicht durch den Verleiher, das Geliehene letztendlich "wie ein Geschenk" zu sehen. 

Während die Kreditvergabe an jemanden, der unsittlich damit handeln möchte (und das sind in der Tat die häufigsten Gründe), in sich unsittlich ist, weil sie den Kreditnehmer ja noch mehr ans Übel binden, seiner Unmoral weiteren Vorschub leisten, sein Unglück (und seine Sünde) weiter vertiefen würde.

Zinsnahme ist in jedem Fall unmoralisch. Hier hat sich die Kirche - leider! - von der Praxis des Kapitalismus der Neuzeit klammheimlich unterspülen lassen, als speziell aus den Verhandlungen mit den Fuggern heraus ein Zinssatz von 5 Prozent quasi "genehmigt" wurde. Das scheint heute überhaupt niemand mehr zu wissen. Kardinal Pell irrt also, wenn er meint, es sei "heute" legitim, gewissen "geringen Zins" zu nehmen. Was hätte die Kirche verhindern können, wäre diese ihre Lehre immer präsent geblieben!

Wie wir wissen entstand diese aufgeweichte, aber falsche Haltung vor 350 bis 400 Jahren aus nicht ganz uneigennützigen Gründen mancher Kardinäle und Päpste. So hat man sich der moralischen Autorität begeben, Wucher "laut" zu verurteilen, hat damit die eigene, immer sehr klare Position zunehmend verschwiegen. Sodaß Zinsnahme allgemeine Praxis wurde. (Insofern hat der Wucher als "moralischer Fall" auch von dieser Seite - nicht nur von der der "pseudofertilen Sterilität" des Geldes selbst - Parallelen mit der Empfängnisverhütung.) 

Es ist auch nach heutiger Lehre der Kirche nur legitim, entstehende Kosten (Verwaltung etc.) zu verlangen. In keinem Fall ist es legitim (weil naturrechtlich zwei verschiedene Dinge mit einem Maß gemessen werden) die Kreditvergabe vom Risiko des Kreditnehmers zu trennen. Und das ist der Knackpunkt, den der australische Kardinal Pell nicht zu kennen scheint. Vix pervenit zu lesen hätte ihn von diesem Irrtum befreit.









*Der "freie Markt" baut auf dem Grundsatz auf, daß der Mensch mit Freiheit begabt ist. Ohne sie kann er nicht verantwortlich handeln, sie ist also auch essentiell für sein Seelenheil. Die Obrigkeit hat aber im Sinne des "Gemeinwohls" (das heute fälschlich etwa mit "Wohlstand für alle" gleichgesetzt wird) darauf zu achten, daß die Tätigkeit der einen nicht die Freiheit der anderen beschädigt. Deshalb hat sie auch darauf zu achten, daß einzelne Tätige nicht so viel Marktmacht kumulieren, daß sie die übrigen Teilnehmer am "freien Markt" in die Unfreiheit zwingen. 

Ferner hat sie Außenbeziehungen (die ihrem Ressort unterliegen) so zu gestalten, daß sie die gedeihliche - jeweils freie! - Entwicklung der eigenen Bevölkerung nicht unter eben solche Zwänge setzen. Liberalistische Freihandelsabkommen wie das TTIP, aber zuvor noch große Teile der EU-Bedingungen sind (und waren) deshalb in sich bereits unmoralisch. Und niemals darf ein Staat die Lebensweise seiner Bürger "umgestalten" oder zulassen, daß sie durch "internationale Marktzwänge" egal wie umgestaltet werden. Dabei  muß immer auch das Prinzip der "Subsidiarität" gewahrt werden, das die EU sogar direkt umkehrt: Sie gestaltet nicht, was die unteren Einheiten nicht vermögen, sondern sie unterwirft die unteren Einheiten der Anpassungspflicht für übergeordnete Entscheidungen.

Was aber bedeutet Freiheit? Eben nicht, wie es heute verstanden werden soll, als "jeder soll alles können", sondern sie geht von einem Wesen der Menschen und Völker und deshalb von einem möglichen "Gemeinwohl" aus. Innerhalb dessen, und darauf bezogen, heißt Freiheit die (sittliche, jeweils aktualisierbare) Fähigkeit das zu tun, was die Vernunft (nicht einfach eine mathematisch-logische Rationalität, aber auch nicht Irrationalität, also bloße "Situations-/Gefühlsethik") gebietet.





*060118*