Hickson: Sollte diese ganze Debatte [über Amoris Laetitia und die Dubia, die dem Dokument Irrtümer vorwerfen; Anm.] nur unter Fachleuten und nicht öffentlich geführt werden?
Seifert: Da die Frage der würdigen Aufnahme
und Austeilung der Sakramente für jeden Priester und Gläubigen von
entscheidender Bedeutung ist – davon kann ihre ewige Rettung abhängen –,
ist die Behauptung, dass diese Angelegenheit nicht öffentlich
diskutiert werden sollte, absurd. Darüber hinaus ist Amoris Laetitia veröffentlicht und seine sehr unterschiedlichen und widersprüchlichen Interpretationen sind veröffentlicht. Daher sollte die Debatte öffentlich geführt werden.
Hickson: Sollten wir alle in dieser Situation schweigen, um Frieden und Einheit in der katholischen Kirche zu bewahren?
Ich denke, ich habe diese Frage bereits
beantwortet, aber ich möchte noch einmal betonen, dass die Wahrheit
nicht nur Vorrang vor Einheit und Frieden hat, sondern die Voraussetzung
für echte Einheit und Frieden ist. Ich könnte hier Blaise Pascal
zitieren, den großen französischen Philosophen, den Papst Franziskus
anscheinend selig sprechen will und der dies in seiner wunderbaren
französischen Sprache ausgedrückt hat, die etwas weniger schön ins
Englische übersetzt (werden kann) lautet:
„Es ist ebenso ein Verbrechen, den Frieden zu stören, wenn die Wahrheit vorherrscht, wie den Frieden zu bewahren, wenn die Wahrheit verletzt wird. Es gibt also eine Zeit, in der Frieden gerechtfertigt ist und eine andere Zeit, in der er nicht gerechtfertigt werden kann. Denn es steht geschrieben, dass es eine Zeit für Frieden und Zeit für einen Krieg gibt, und es ist das Gesetz der Wahrheit, das die beiden unterscheidet. Aber es gibt zu keiner Zeit eine Zeit für die Wahrheit und eine Zeit für einen Irrtum, denn es steht geschrieben, dass Gottes Wahrheit für immer bleiben wird. Darum hat Christus gesagt, dass Er gekommen ist, um Frieden zu bringen und gleichzeitig, dass Er gekommen ist, um das Schwert zu bringen. Aber Er sagt nicht, dass Er gekommen ist, um sowohl die Wahrheit als auch die Falschheit zu bringen. „- (Blaise Pascal, 19. Juni 1623 – 19. August 1662)
Aus einem Interview mit dem Philosophen und Theologen Josef Seifert
Nun ist aber Wahrheit ohne Lehramt - also ohne die tatsächlich bestehende Kirche - nicht denkbar und nicht möglich. Wir können sie nur empfangen, auch, ja gerade im Konkreten, dort ist der Ort wo wir sie empfangen. Wie ist also das wirkliche Problem zu formulieren?
Es entsteht, wenn das faktische, momentane Lehramt mit der bislang erkannten Wahrheit nicht übereinstimmt. Denn zwei Wahrheiten kann es nicht geben. Wenn also die Wahrheit, wie sie dem Getauften, durch die Kirche Erhellten ("lumen Christi") - also "Kulturalisierten" - bislang mehr und mehr aufging und nun plötzlich in Widersprüche gelangen sollte, wenn er dieser selben Kirche gehorcht.
DAS ist das wahre Problem dieses Pontifikats. Denn es ist auch nicht legitim, es widerspricht der Wahrheit über den Menschen, es widerspricht auch der Wahrheit der Kirche ("Fideismus"), seine Vernunft aufzugeben und "blind" zu glauben, nur weil es das Lehramt verkündet. Das wird aber nun gefordert. Dabei ist es das Lehramt selbst, das die Wahrheit garantiert, weil verkündet! Wahrheit ja, aber Wahrheit gibt es erst durch das Lehramt, denn sie muß verkündet, offenbart werden.
Zwar übersteigt der Glaube die Vernunft, gewiß, aber er kann nie widervernünftig sein. Erst in diesem Bezug kann der Verweis auf die Tradition Relevanz haben. Zumal es widervernünftig wäre, Kirche und Hl. Geist, Lehramt und Indefektibilität auseinanderzureißen.
Zwar übersteigt der Glaube die Vernunft, gewiß, aber er kann nie widervernünftig sein. Erst in diesem Bezug kann der Verweis auf die Tradition Relevanz haben. Zumal es widervernünftig wäre, Kirche und Hl. Geist, Lehramt und Indefektibilität auseinanderzureißen.
Für viele ist das eher kein oder ein geringeres Problem, weil ihre Durchdringung des katholischen Glaubens nicht sehr weit gediehen, ihr Glaubenswissen oder gar ihr Glaube gering ist. Wo dies aber der Fall ist wird es angesichts einer oft so offensichtlichen häretischen Lehrverkündigung zu einem sehr sehr schweren Problem. Ganz so, als hätte jemand erst einmal nur gelernt, daß 2 + 2 immer 4 ist, bis es sich tatsächlich in seinem Leben, wo er davon ausgegangen war, auch als wahr bestätigt hätte, ja er hatte erkannt, daß aus demselben Grund auch 16 + 16 immer 32, 130 + 220 immer 350 ist (das Gelernte hat ihn also erhellt, er war lebenstauglicher, die Welt hat sich ihm geöffnet) - und plötzlich soll 2 + 2 auch 5 sein.
Deshalb ist der VdZ oft so heftig (gewesen). Denn dieses Pontifikat reißt einerseits die Kirche in Klump und Asche. Aber es zerstört anderseits auch die individuelle Vernunft, ja es fordert dies sogar namens des Gehorsams, der Grundbedingung des Glaubens und damit der Seligkeit überhaupt.
Deshalb ist der VdZ oft so heftig (gewesen). Denn dieses Pontifikat reißt einerseits die Kirche in Klump und Asche. Aber es zerstört anderseits auch die individuelle Vernunft, ja es fordert dies sogar namens des Gehorsams, der Grundbedingung des Glaubens und damit der Seligkeit überhaupt.
*161117*