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Samstag, 2. Oktober 2021

Aus den Notizen am Nachmittag eines normalerweise gebrauchten Tages (2)

Schaffen ist Umordnen, Umordnen ergibt das Neue. Das Luder in der Abendmesse Aber darauf legt sie es wohl an. Die Ungarin. Und die Gnade. - Eigenartige Doppelnatur des Wortes. Wie jedes Ding in dieser gigantischen, nur staunen machenden Schöpfung. Und Staunen, so Jolles wieder, bringt Fragen. Aber dieses Fragen hat seine Antwort bereits in sich, denn es kommt aus der Antwort. Das ist nicht irrational, sondern ein Geheimnis. Das Wort setzt und wird gesetzt, das fällt in eins: Das Darstellen ist ein Schaffen, das Geschaffene ein wieder schaffendes - weil sprechendes - Darstellen (Sein von Gestalt; Darstellen als Schaffen weil Sprechen).
 
Wesen des Schauspielers, Wesen der Kunst, Wesen es Handwerks, Wesen der Welt. Wesen Gottes, in Jesus?

Selbst von dieser Seite aber wird die Ehe konkret als das den Menschen Konstituierende begreiflich - als Mann und Frau schuf er ihn (den Menschen) - das Wort ist einfach immer und überall das, was Schöpfungsprozesse auslöst weil Sinn hervortreten und Fleisch werden läßt. 
 
Deshalb ist noch jede "gescheiterte" Ehe (was ist das?) besser als keine. (Wenn es denn eine Ehe ist.) Ohne gründendes Wort - nichts, buchstäblich. Wie widerlich, schon rein ästhetisch, wie die Leute heute leben. Seltsam, daß das verschwinden konnte. Noch vor sechzig Jahren war es so selbstverständlich. Jeder, wirklich jeder hat geheiratet, das war auch die Standardfrage für jedes Kind. Die Spiele, alles waren "Ehen." Das Vater-Mutter-Kind-Spiel, das vergißt man doch nicht, das spielen doch alle Kinder.

Das Neuschaffen mit der Sprache ist ein UMORDNEN, schreibt Jolles. Umordnen, und was rauskommt ist neu, etwas anderes. Das ist es, was man dann mit "Dichtung" bezeichnet. Sprache ist also immer sogar, und bei jedem, ein umordnendes Arbeiten, das schafft. Wonach richtet es sich? Nach der Idee. Zu jedem Ding und zu jedem Menschen gibt es ein "Sosein" und ein Sein "als Erzählung", als Idee. 

Dieses AUSATMEN der Sprache, in dem dann die Struktur, Rhythmik der Sprachinhalte schwingt, ENTHÄLT also schon die Inhalte, die sie "hervorrufen" will, durchs Aussprechen verspricht. Man wird schwindelig, wie sich die Bedeutungen überschneiden. 

Der Aberglaube hat da ein geheimes Wissen zum Ursprung. Der Glaube, daß das Aussprechen von etwas "Unglück" bringt, WEIL ETWAS SCHAFFT. Ha, und erst recht das Segnen - BENE-DICERE. Das Gut-Sprechen, mehr noch: Dicere - Dux - der Fürst, der Führer, der Segen als der Hinführer zur Gestalt als Ergebnis des Tuns.

(Tolles Buch dazu, das das beweist: Schall enthält Inhalte, Worte, Sprache. "Schallanalytische Versuche" von Wolfgang Köhler. Was für ein Wissenschaftler, in meinen Regalen auch die Untersuchung über die Änderung der elektromagnetischen Felder von ein und denselben Flüssigkeiten, die sich bei Änderung der Form (!) ändern, obwohl es "chemisch" dieselben Flüssigkeiten sein sollen. Aber sie SIND ANDERS, sobald sie eine andere Form haben. 

Die anderen Bücher von Köhler, das über die Intelligenzprüfung bei Schimpansen, oder das über dynamische Zusammenhänge in der Psychologie, und es müßten noch weiter da sein, finde ich einfach nicht mehr. Es steht alles viel zu dicht. Einmal verlegt - es würde Berge von Umschichtungen brauchen, es wiederzufinden. Und Stunden, womöglich, es könnte ganz woanders sein, etwa unter den Bergen der "Dringend zu lesen!"-Bücher.

Hör den Wind, das Himmlische Kind! Hör das Säuseln der Lüfte, das Flüstern, das Brüllen des Sturms. 

Was ist das für ein Grimm-Märchen, wo der Wind jemandem etwas erzählt hat? Und Zarah Leander singt so wunderbar: "Därrh Winnnnth, hatt mirr äin Liet ärzelllth .... unsaaagbarrh schönnnh, därrr winth, had mirrh äin liet ärzelth ... där winth, där winth, där winth ..." Der Wind, der erzählt. Kein Topos kommt aus dem Nichts.

Aus dem Tagesevangelium aber wie immer das Passende: "Jesus stieg mit ihnen den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen, und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon strömten herbei. Sie alle wollten ihn hören und von ihren Krankheiten geheilt werden. Auch die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt. Alle Leute versuchten, ihn zu berühren; denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte." Lukas.

Fraktale. In jedem Wort aus Gottes Mund steckt alles. Ist Fraktale dasselbe wie Selbstähnlichkeit?

Es einfach so dahinfließen zu lassen, im Aufblicken von der Lektüre, oder eingefügt in die Gänge zum Kühlschrank, ins Bad, zu den Blumen am Gang, ist dieselbe Methode des Weglassens der Ordnung wie Ken Jebsens Vorgehen. Da fällt mir auf, welcher Hochmut dahintersteckt, von etwas nur Herausgekotztem zu erwarten, daß es für einen anderen, einen Leser "viel" sein soll. Dazu muß man sich gottähnlich sehen. 

Die Abendmesse mag ich sogar mehr als die gegen Mittag. Würde sie sich besser in meinen Arbeitsrhythmus fügen. Aber davon war heute ohnehin nichts mehr übrig, also war auch eine Messe mitten in einem Schreibblock, wie ich es nenne, auch schon egal. Und gut war's. Bis auf eine Kleinigkeit, die mich nachträglich aber amüsiert. 

Mir war die Blonde zwei Reihen vor mir erst nicht wirklich aufgefallen. Erst beim Evangelium, zu dem alle aufstanden, wurde mein Blick von ihrem zu kurzen Westchen und dem drallen, nun durch eine knallenge Jean in seiner vollen Pracht herausgestellten Hintern gefangen. Sodaß ich ihn (also den Blick) losreißen mußte wie eine Mutter ihre brüllenden Sprößlinge von den Regalen mit Zuckerwaren bei der Kassa, als sie vorbei müssen. 

Ich lasse es mir nicht ausreden. Die Art, wie sie während der ganzen Messe, also immer, wenn wir standen, wieder und wieder mit ihren Händen (mit beiden, wohlgemerkt - ich meine: Macht man das so? Normalerweise?) über diesen Arsch strich, sie über dessen ganzem Umfang sozusagen gleiten ließ, stank förmlich nach Absicht. So ein Luder. 

Und tatsächlich, beim Friedensgruß, den man in Zeiten der Coronaden per Kopfnicken zu den Nachbarn erledigen soll, um niemanden zu Tode zu herzen, blickte sie in Halbdrehung mit blitzenden Augen zu mir, wozu sie mir einen kessen Blick aus den Augenwinkeln zuwarf, während sie auffordernd lächelte, daß ich ihre Zähne sah. Lächelt man so? Zum Friedensgruß? So ein Luder. 

Dennoch, es geschah nämlich ein kleines Wunder: Auf geheimnisvolle Weise sind alle Gedanken in diesem Zusammenhang zur Kommunion verschwunden. Schon beim Agnus Dei war das Blondchen mit den straffen Hosen vergessen, und ich konnte würdig kommunizieren. 

Ich dachte erst wieder an sie, als das Ite! aufgetragen und der Schlußsegen gesprochen war, und sie vor mir die Bänke verließ. Als sie an meiner Bank vorbeiging, lächelte sie mich triumphierend an. Ich wurde blaß. Die nächste heiratsgierige Ungarin? Kann man denn hier nicht einmal IN DIE KIRCHE gehen, ohne daß eine Magyarin mit einem ihre höchstpersönliche Zukunft verwirklichen will, nur weil man deutsch spricht, mit Stock geht, eine Masche trägt, und auch sonst noch eher zivilisiert aussieht? So ein Luder.

Anderseits setzt die Gnade dort ein, wo die eigene Kraft endet. Dort genauso wie hier. Und meine Kraft reicht heute nicht recht weit. Ob das was man leisten kann ganz wenig ist oder ganz viel, es spielt dafür keine Rolle. WENN MAN ES DENN WILL und alles gibt, ist das Tor für den Eintritt Gottes in der Schöpfungsgeordnetheit, als deren Melodie, als Wort in den Wellen der Luft, zwar nicht sicher, möglich und völlig subjektiv. Und Gnade heißt Ordnung. Und Ordnung ist die wesentlichste Eigenschaft jeder Gestalt. Also jedes Dings. 

Auch eines Stücks Literatur, wie Jolles das Wort schreibt. Ordnung. Wort. Ord (als Grenze). Order (der Befehl, der Auftrag).

Seltsam. Der Tag war vielleicht gar nicht so gebraucht, wie er es normalerweise ist, wenn ich am Vortag die Nacht-Medikamente vergesse. Obwohl jetzt sogar der Nachmittag außer jeder Ordnung lief.


*070921*