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Sonntag, 3. Oktober 2021

Leben als unhinterfragbare Selbstverständlichkeit

Am Zenit einer Kultur, wenn sie dem Paradies am nächsten ist, und das Leben der Menschen am meisten dem Traum gleicht, beginnen die Türen zur Zukunft sich auf die Rückseite zu wenden. Und die Erbsünde drängt nach vorne, das Scheiden von Gut und Böse.

Weil aber der Mensch mit seinem Verstand niemals das Unendliche des Wissens Gottes, das in allem west und webt, erfassen kann, weil er nur in zwei Dimensionen denken kann, sodaß seinen Gedanken immer das fehlt, was sie zum schöpferischen Wort machen würde, verfehlen seine Urteile das Wesen der Entscheidungen, die sie treffen wollen oder sogar müssen. 

Müssen, weil die Kultur nun beginnt, ihre Selbstverständlichkeiten zu verlieren, in denen das geborgen war, das die Welt zu tragen vermag und den Lebensvollzug der Menschen in jedem Fall zum Guten formt. Weil das Umgebende für den Menschen auch ihn trägt - nicht "ist", aber als Zubehör wie ein Eigentum zu sehen ist, mit dem er verbunden ist: Beziehung aus seinem Ort also, an dem er steht, in den er geboren wird. Beziehung, die die dingliche Welt im eigentlichsten Dasein materialisiert. 

Eine Biozönose, die mit den Sünden der Menschen, das heißt mit deren erst kleine, dann immer größere Abtrünnigkeiten von der Gerichtetheit des Seins - also dem Willen Gottes - zu zerfallen beginnt. Das, was Kultur ist, wird zu einem Zustand der Kultur, von dem der Mensch zu gerne glaubt, daß was er erlebt eine Veränderung wäre. Es ist aber nur ein Verfehlen, ganz so wie ein Ertrinkender um sich schlägt. Sein Herumschlagen ist aber kein "Sein", sondern der Kampf um Sein.

Mit dem Ausbrechen des Bösen, das wir im 20. Jahrhundert in Europa erlebt haben - ausgehend von den Vereinigten Staaten von Amerika, dieser Vollgestalt der Aufklärung, in der diese sich zum Messianischen erhob, das Land zum Himmlischen, das jedem die Tore öffnete, der es betreten und die Erzählung vom Paradies ("American Way of Life") weiterzutragen versprach - sind Kulturschichten zerfallen, in denen es an die eigentliche Überlebensfähigkeit ging. 

Das Leben ist seinem Wesen nach die unhinterfragbare Gewohnheit des Seins. Es uneingeschränkt zu bejahen, ihm unbezweifelt zu vertrauen ist die Pforte zur Liebe.

Indem zwei Dinge aus der Selbstverständlichkeit gefallen sind, die den Menschen in der Welt konstituieren - in der Lebenskraft. Die eine ist das Diffundieren der anthropologischen Selbstverständlichkeit - einer Prämisse der Menschwerdung - zu heiraten. Damit fehlt dem Menschen der entscheidende Schritt zum Menschsein, das AUS Mann und Frau besteht. Nur in der Hingabe, in der Selbstüberschreitung kann jene Lebenssubstanz in das Dasein fließen, die den Menschen leben läßt. Ohne sie hält ihn das bloße Vegetieren zwar noch gewisse Zeit, bis auch das aber zerfällt. 

Die zweite Selbstverständlichkeit ist die der unbedingten Zustimmung zum Leben, das heißt die Frage (und schon nur die Frage!) um eine Verhütung des Lebens. (Das nicht partiell gewollt oder abgelehnt werden kann, sondern als Ganzes selbstverständlich bleiben muß, als indisponibel und verbunden mit dem Menschsein selbst. Nicht zufällig hängt ja das Überleben der Menschheit selbst davon ab, und wenn wir es noch nicht in dieser Wucht "sehen", so weil wir gar nicht sehen. Ein Zustand, kein Sein.)

In dessen Schlepptau - in der bloßen Aneignung der Verfügungsgewalt über das Leben (die dem Menschen nur als Verweigerung zur Verfügung steht; "machbar" ist es nicht) - das tatsächliche Töten des Lebenden (Abtreibung) unausbleiblich folgt. (Auch hier: Eine Frage des Sehens s.o.) Hört der Mensch auf, mit seinem Menschwerden (als der unbedingten Bejahung des anderen, in der anthropologischen Konstituierende, der Ehe) auch die Empfängnis der Selbstverständlichkeit zu entreißen, bricht sein Band mit dem Leben selbst. 

Jene Anker, die den Menschen im Leben halten, sind aber nicht für sich zu stellen, sie sind also nicht sichtbar. In ihnen (das heißt: In diesen Selbstverständlichkeiten) ist der Mensch auch mit dem großen sozialen Ganzen verbunden. Zerfällt dieses, wird es aufgelöst, fällt eine Last des Urteils auf den Einzelnen, die er nicht tragen kann. Welcher Last er aber auch kaum entfliehen kann, denn seine Einbindung in ein soziales Ganzes kann niemand lösen. 
Also ist er von den (meist impliziten) Selbstverständlichkeiten des Ganzen mit geprägt. Dem Ganzen des Sozialen zu widerstehen aber heißt, gegen ein anderes Selbstverständliches zu gehen. Dieses Urteil, das eine Gewichtung in Alternativen bräuchte (die es aber gar nicht geben kann: Beides ist unverzichtbar und muß selbstverständlich sein), kann niemand treffen - tut es aber, weil er unter dem Druck steht, es zu sollen.
Denn der Mensch ist in seinem wesentlichen Dasein von seiner umgebenden Kultur gehalten. Deshalb ist er über sie auch zu treffen. Denn im Ganzen des Kulturellen liegt der eigentliche Zielpunkt und Grund, auf den hin der Einzelne sich transzendieren muß, um überhaupt zu sein, also Identität zu "haben". (Die aber insofern immer fluid ist, als sie vom Ganzen bestimmt weil gegeben wird.) 
Im Dienst an der Gemeinschaft liegt sein eigenes Überleben, ja - liegt sein Heil weil die Erfüllung des Willens Gottes durch das individuelle Handeln. Das immer auf das Ganze ausgerichtet ist, in das er hineingeboren wird.  
Deshalb kann das Ziel einer Politik nur im Erhalt wie in der Förderung des Gemeinwohls liegen. Das elementar darin zu suchen ist, daß das Leben selbst geschützt und in der Selbstverständlichkeit weil im Geheimnis bewahrt bleiben muß - die sich im Konkreten wiederum im Leben des Einzelnen ergibt. 
Jeder Staat ist somit als verbrecherisch anzusehen, der diese Selbstverständlichkeiten auflöst und der individuellen Disposition übergibt.

Die er mit bewußter Entscheidung nicht auszufüllen vermag. Keine bewußte Entscheidung außerhalb der unbedingten Bejahung des Lebens (und nur das ist der Garant dafür, daß der Mensch in der Biozönose bleibt, in der alles - im Plan und Ordnung Gottes, des Seins selbst - aufeinander abgestimmt ist) vermag die Fülle zu erreichen, die nur in der unhinterfragten Bejahung aufgeschlossen wird. Immer ist das menschliche Entscheiden, Urteilen und danach Handeln mangelhaft. Und zwar nicht einmal quantitativ, sondern in seiner Qualität, die die individuelle Lebensführung ins Leben selbst verhängt.

Kein Argumentieren wird deshalb jemals die umfassende Wirklichkeit, die ein Geheimnis ist, auch nur annähernd erfassen können. Jede vorgebliche Kriterienfrage, OB eine Ehe bejaht werden, OB das Leben daraus erfließen soll, ist schon Teil einer unfaßbaren Schande, in die der Mensch sich stellt. 

Möge Gott die wenigen Völker und deren Kulturen schätzen, die auf Erden leben und in denen es noch selbstverständlich ist zu heiraten, und in denen Zeugung und Empfängnis der Darstellung der Menschwerdung in der Vereinigung dem Willen der Götter anheimgestellt bleiben. An IHNEN hängt das Überleben der Menschheit tatsächlich.


*100921*