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Samstag, 9. Oktober 2021

Die Wahrheit, die zunehmend aus Lügen besteht (1)

Den Film "Die drei von der Tankstelle" hat Heinz Rühmann 1930 gedreht. Das war nicht nur drei Jahre vor dem Hitlerismus, sondern als dieser 1933 über Deutschland hereinbrach, war Rühmann bereits ein Volksschauspieler der obersten Klasse. So bekannt, so beliebt, daß die Reichskunstkammer nicht wagte, ihn zu bedrängen. Und nachdem Rühmann wenig Neigung zeigte, den Widerstandskämpfer zu spielen, war mit ihm ohnehin gut Kirschen essen. Also wurde er weiterhin gut gebucht, und drehte sogar noch 1944 die "Feuerzangenbowle".

Eine Komödie, die die Stimmung im Dritten Reich heben, den Menschen Mut zum Leben machen sollte. Und wer den Film kennt (er gehört für mich zu den Filmen, die ich immer wieder sehe, genau wegen dieses Archetyps: Das eines glücklichen, unbeschwerten und unendlich guttuenden unschuldigen Lebens), weiß, daß genau das die Wirkung dieses Films ist. Was alleine ihn zu einem Kunstwerk machen würde, wäre er es nicht aus anderen Gründen ohnehin. 
 
Wie so viele Komödien, die in diesen schwersten Jahren gedreht worden sind. Und inmitten dieser Apokalypse, die Hitler bewußt über "sein unwürdiges Volk" verhängte, explodierte der Kinobesuch. 1944 wurde in Deutschland die Rekordmenge von einer Milliarde Kinokarten verkauft. Die Filme ansahen, die den Glauben ans Leben hochzuhalten halfen. 

Es gibt erst in diesen Jahren erfolgte Untersuchungen über die Inhalte der Filme, die in diesen Jahren produziert wurden. Und die für manche überraschende Tatsache ans Licht beförderten, daß nur 10 Prozent (Tendenz mit der Dauer des Krieges fallend! Goebbels, der dafür zuständig war, daß in Deutschland die weltweit stärkste, aber nach dem Muster von Hollywood organisierte Filmproduktion entstand) als "Propaganda" eingestuft werden können. Der Rest ist Unterhaltung. Bestenfalls Drama. 

Goebbels wußte ganz genau, daß die Leute von Propaganda die Nase voll hatten. Und die SD-Berichte über die Stimmung im Land (die lesenswert sind, denn sie sind völlig realistisch) legen das nahe. Es ist im übrigen aus zahlreichen Zeugnissen bekannt, daß KEIN AKTEUR GEDRÄNGT wurde, in Propagandafilmen mitzuwirken, und es hatte auch keine Auswirkungen, wenn man das verweigerte.

Die Vernichtung der Juden nahm erst ab dem zweiten Halbjahr 1943 volle Fahrt auf. Man kann durchaus zu der Meinung kommen, wenn man Hitler-Biographien kennt, daß Hitler längst begriffen hatte, daß sein Ziel, die vornehmste Weltmacht zu werden, unerreichbar weil gescheitert war. Wenn aber nun das schon mißlungen war, so wollte er wenigstens das Ziel noch erreichen: Deutschlands Juden zu vernichten. Je länger der Krieg dauerte, desto höher - und zwar in progressivem Fortschritt - waren die Opfer. Sowohl in den KZs, als auch an der Front. Von der Front kennt man freilich die Zahlen besser: In den letzten 12 Monaten des Zweiten Weltkrieges fielen genauso viele Soldaten wie in den vorangegangenen fünf Jahren zusammen.

Diese Situation der Verzweiflung war unter tatkräftiger Mithilfe der Alliierten entstanden. Und sie hat sogar deren Opfer wohl nicht gerade verringert, weil den Widerstand der Wehrmacht gesteigert. 

Denn die Alliierten stellten endgültig 1943 in Casablanca fest, daß es mit Deutschland KEINEN Waffenstillstand und KEINEN Frieden geben würde. Es gab fortan nur noch ein Kriegsziel, und das war die bedingungslose Kapitulation. Die Folgen waren auch in anderer Hinsicht katastrophal. Denn der Beschluß hat auch dem Widerstand in Deutschland das Genick gebrochen. 

Wer nunmehr das Volk retten wollte und deshalb Hitler und sein Regime beseitigen wollte, wußte, daß das nichts mehr ändern würde: Deutschland würde in jedem Fall vernichtet. Ebenfalls 1943 fand in London ein weiteres fatales Umdenken statt. In dem die alliierten Bomberflotten, die im zuerst verkündeten strategischen Ziel der Schwächung der deutschen Rüstungsproduktion versagt hatte, der neuen Idee dienen sollte, die deutsche Kultur auszulöschen. Und gezielt die Städte in Schutt und Asche legen wollte. Auch hier waren die letzten 12 Monate die verheerendsten für das deutsche Volk. Auch hier kamen in diesem letzten Jahr mehr Personen zu Tode als in den fünf Jahren davor zusammengenommen. 

Es ist bekannt, daß dieses Thema der Aussichtslosigkeit auch für die Widerstandskämpfer um den dann gescheiterten Attentats- und Putschversuch vom 20. Juli 1944 heftig diskutieren ließen. Hatte das noch einen Sinn? Man entschloß sich zur Durchführung nur deshalb, um der Welt ein (letztes) Zeichen wahren deutschen Geistes zu liefern, also mehr einen Symbolakt als einen politischen Akt zu setzen. In dessen Folge bekanntermaßen 5.000 "Mittäter" von der Reichsführung ermordet wurden. 

Das ist das große Ganze, in das die Person Heinz Rühmann und seine Tätigkeit als Schauspieler eingebettet gesehen werden muß. Über die Scheidung von seiner (jüdischen) Frau Erna Bernheim, die im Jahre 1938 erfolgt ist (und zu deren Wiederverheiratung mit einem schwedischen Schauspieler Rühmann ein großzügiges Hochzeitsgeschenk springen ließ, einen Sportwagen) wird gerne gemunkelt, Rühmann hätte sich aus "rassischen" Gründen zu diesem Schritt entschieden, und seine Frau quasi "im Stich gelassen". 

QR Wikipedia zu Rühmann

Aber sogar Wikipedia (welche Schnapsfabrik sonst keine Gelegenheit ausläßt, jeden Mißliebigen, jeden der noch ein bißchen Vernunft im Oberstübchen bewahrt hat, mit brauner Tünche zu überziehen, ja manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, daß das überhaupt der einzige Sinn dieser Seiten ist: Werkzeug im Politischen Kampf für die Nichtung der Menschheit) schreibt dazu, daß die Ehe der Rühmanns aus ganz normalen menschlichen Gründen geschieden worden war. Die beiden hatten sich schon zuvor und über längere Jahre auseinandergelebt. Mit rassischen Überlegungen oder Rühmannschen Karriereplänen hatte das nichts zu tun. Außerdem war die Stellung Rühmanns dermaßen unanfechtbar, daß er quasi "sakrosankt" war. 

Ähnlich übrigens wie Hans Moser, der ebenfalls eine jüdische Ehefrau hatte. Die er ab 1940 in Budapest "versteckt" hielt, und die er inniglichst liebte. Es gibt Anekdoten und Berichte von Schauspielerkollegen die etwa schilderten, wie der Wiener Volksschauspieler, der im deutschen Film eine Rühmann nicht unähnliche Stellung hatte, jeden Freitag "Frühschluß" machte, um nur ja noch den Abendzug nach Budapest zu erwischen, um wenigstens übers Wochenende bei seiner Frau sein zu können. Für die er rührende Briefe an Hitler selbst geschrieben hatte. Der Moser seine Wünsche zwar nicht direkt erfüllte, aber vermutlich dafür sorgte, daß man sie schlicht vergaß.

Nicht vergessen haben die Alliierten freilich Heinz Rühmann, nachdem sie am 8. Mai 1945 die Herrschaft über das angetreten hatten, was von Deutschland noch übriggeblieben war. Fortan war auch dessen Kultur "zu entnazifizieren", und dessen Menschen zu "ändern", denn - wie ein deutscher Jude "bewiesen" hatte, lag der Nazismus dem Deutschen traditioneller Prägung "im Blut". 

Und für diese Werke der Besserung eines Volkes, das in Kollektivhaft genommen war, setzte man die Opfer als Richter ein, Juden. Die von New York aus die deutsche Kultur- und Kunstszenerie nach neuen, "besseren" Kriterien gestaltete. Jeder Kinobesitzer mußte fortan um seine Existenz durch Wohlverhalten und Anti-Nazismus-Beweise betteln. Rühmann hatte nun Berufsverbot, wie so viele andere "Belastete" auch, wofür seine Popularität doch hinlänglicher Beweis war. Wovon aber soll ein Schauspieler leben, der nicht mehr auf die Leinwand darf? Von der Bühne? Das ging schon damals nicht, Rühmann war zwar in einem kleinen Wandertheater tätig, aber es reichte nicht. Also gründete er 1947 seine eigene Filmproduktion, um noch Rollen zu bekommen! Die aber einen Mißerfolg nach dem anderen landete, sodaß er 1953 Konkurs anmelden mußte. 

Allmählich aber hatte man sich zu diesem Zeitpunkt wieder an ihn erinnert, und an seine Rolle in den deutschen Herzen. Die man wieder etwas schlagen hören wollte, zumindest so laut, daß sie als Kanonenfutter in einem Krieg gegen den Kommunismus bereit waren. Dazu brauchte es eben - Stimmung. Und die konnte Rühmann ab den frühen 1950er Jahren allmählich wieder liefern. Ab da wurde er - erst vorsichtig, dann immer mehr - wieder "eingesetzt", bekam Rollen und konnte seine Schulden aus dem Konkurs abzahlen. Rühmann war also endlich wieder ins Geschäft gekommen und drehte noch viele herrliche Filme. In denen sein Gesicht freilich einen Ton bekommen hatte, der mir zumindest aufgefallen ist: Ein Zug von Traurigkeit. Den hatte er auch noch, als er 1994, nach langen Jahren, die als sein letzter Lebensabschnitt, den Frank Sinatra einmal mit einem "alten, faßgereiften Wein" bezeichnete, seine Kunst immer stiller und dabei immer tiefer, inniger formen hatte lassen, verstarb.

Warum aber diese Ballade von Heinz Rühmann, den auch ich für einen der größten Schauspieler halte, den wir Deutschen jemals hatten? Es ging mir hier nicht darum, Stimmung oder Werbung für ihn zu machen. Es ging mir nur um Fakten. Nur Fakten, werter Leser. 

Rekapitulieren Sie die ausgebreiteten Fakten also noch einmal. Geschehen? Dann geht es weiter. 

Zu Ken Jebsen. Letztres, wie er andernorts erzählt, der Geburtsname seiner Mutter, übrigens einer Schauspielerin, die einen Perser geheiratet und mit diesem mindestens vier Kinder, aber erst ab dem vierten Sprößling ein Besinnen auf ihre Mutterschaft und einen festen Wohnsitz hatte. In diesem Vortrag aus den jüngsten Wochen erzählt der Mann etwas anderes. Er spricht in gewohnter Maschinengewehrmanier, in der er wieder einmal, aber immer radikaler, über die Eliten vom Leder zieht. 

Zu deren hauptsächlichem, ja grundmotivierenden Verhaltensmuster er Stromlinienförmigkeit, die Bereitschaft sich einzugliedern und eben mitzuschwimmen zählt. Das mache die Zeit ab 1933 mit der Gegenwart so ähnlich. Und jetzt kommt's: Als eines der Beispiele, die das illustrieren, nennt Ken Jebsen nunmehr HEINZ RÜHMANN. Aber das alleine macht noch keinen Sommer. Den macht etwas anderes. 

Morgen Teil 2) Damit vervollständigen wir die Abgrenzungen, die wir - es war ursprünglich nicht so geplant, es hat sich so entwickelt, es ist eine Phase des Notwendigen - in letzter Zeit hier vollzogen haben. 


*150921*