Es gibt aber einen Ausweg. - Es gibt ihn auf dem eigentlich so einfachen, schlichten Weg der Selbstbehauptung. In dem man jede solcher Diskussionen, ob nicht dieses oder jenes veränderte Verhalten "besser", "vernünftiger" (was immer ausschließlicher: irgendeine, und am besten die ganze Welt rettender) verweigert. Indem man darauf besteht, daß man einfach nicht bereit sei, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen.
Um sich so der einzig wahren Aussortierung von Möglichkeiten eines GEMEINSCHAFTLICHEN (also als Gemeinschaft = nicht pluralistischer Einheit vollzogenen) Arbeitens wieder anzuschließen.
Die es nämlich gewesen ist, die unsere Kultur bis in diese (so überreich volle, nun also, als Leichnam, fast unerschöpflich auszuweidende) Gegenwart geführt hat. Und dieses Prinzip ist ebenso einfach wie radikal. Es besagt, daß sich alles in der Erstentscheidung begründet, überhaupt einer Gemeinschaft anzugehören. Die - eiderdautz - gar nicht von einem selbst getroffen wurde. Damals, als man geboren wurde, und von Gott in ein Insgesamt hineingestellt worden ist.
***
Sodaß ich in dem Gejammere um Meinungsfreiheit um Ausgewogenheit der Berichterstattung und Diskursoffenheit eigentlich eine völlige Themenverfehlung sehe. Es verhält sich nämlich nachgerade umgekehrt! Ich verlange nicht, daß meine Argumente gehört, gewogen und mitberücksichtigt werden. Ich verlange das Recht, Recht zu haben, ohne darüber diskutieren zu sollen. Ich verlange das Recht, eine Meinung und Auffassung zu pflegen, die ich begründungslos vor mir hertrage, und deren Akzeptanz ich aber dennoch außer Streit stehen muß.
Denn es liegt ein erschrecklicher Irrtum in der Apriori-Behauptung, es sei die Welt im verbalen, rationalen Diskurs (re-)konstruierbar. Als würde es nur eines ausreichenden Diskurses bedürfen, um die Welt zum Besten zu lenken.
NEIN. Denn jedem Diskurs - agere sequitur esse, das Handeln folgt dem Sein und setzt es sogar voraus! - bestimmen diesem Diskurs VORAUSGEHENDE Haltungen. Die mit Verbalität zur Darstellung gebracht werden will, ohne sich hinterfragen zu müssen.
Sämtliche Diskussion zu diesem Thema gehen deshalb an der Tatsache vorbei, daß sich keine Argumente, sondern Gestalten begegnen. Und daß der Umgang miteinander nicht einer des Argumentativen, des Rationellen ist, sondern daß sich ein Urteil über wahr oder falsch nur über die Ästhetik, über die Gestalt ergeben KANN UND MUSZ.
Und - das tut sie auch! Der gewiefteste Rhetoriker ist deshalb nie mehr als ein Roßtäuscher, der Rauch verbreitet, der verhindern soll zu erkennen, aus welcher Richtung das Geschoß kommt.
Spaltung einer Gesellschaft entsteht deshalb NICHT aufgrund unterschiedlicher "Weltanschauungen". Vielmehr entsteht GEMEINSCHAFT (und davon reden wir, wenn wir von den Zielen einer Gesellschaft sprechen, die ohne reale Gemeinschaft nicht bestehen kann weil nicht regelbar ist) DURCH EINE ALLGEMEINE ZUSTIMMUNG ZU EINER (in ästhetischen Kriterien feststellbare) GESTALT.
Denn die Welt teilt sich in Gestalten mit. Nicht in "Argumenten", diesen Boten, aber auch diesen Wehrknechten von Gestalt.
Jeder Disput ist also nicht eine Frage der Ratio als eines ins Mathematische auflösbaren Rechenergebnisses. Das ist es bestenfalls sekundär, und vor allem posthoc, in der Angleichung, dem "Zupassen" des Wortes ans Erkannte. Disput ist vielmehr eine Frage der Begegnung und der Beziehung von Gestalten. Die unter den Anruf stehen, einander zu lieben.
***
Apropos Insgesamt: Ich will den Gedanken nicht lassen, und er geht mir mittlerweile überallhin nach, daß sich unsere Gegenwart nicht erschließen kann solange wir nicht darüber nachdenken (ja, ich verwende hier sogar das Wort "meditieren", hier trifft es mal zu) daß wir in einer Situation leben, in der uns das Allernächste, das uns Umgebende, FEHLT. Und das sind jene vielen vielen Mitmenschen, die VERHÜTET wurden.
Nicht einmal "nur" abgetrieben, die können hier mal vorbleiben, die sind noch anders zu werten. Damit macht man es sich in diesem Fall sogar zu leicht, auch wenn das Blut der Abgetriebenen, der Ermordeten Personen zum Himmel schreit und uns aus der Nemesis Divina ein Blutgericht bescheren wird, das ich mir gar nicht ausmalen möchte, weil es zu schrecklich sein wird.
Nein. Hier ist etwas anderes gemeint. Zu dem wir uns vorbereitend das Bild vorstellen sollten, in dem in einem wüstenartig kahlen, leeren Raum die Menschen sehr sehr weit voneinander entfernt und vereinzelt stehen. (Und spricht man nicht in so vielerlei Hinsicht von solcher Vereinzelung? Ich meine schon.) In jedem Fall nicht in jener Distanz, in der der Mensch aber ebenso nur "weitergeben" wie "ergreifen", "empfangen", berühren und sich aus sich heraus (ohne technische Hilfsmittel) mit dem Insgesamt der Welt (die nur Welt=Raum ist, weil und insoweit Beziehungen bestehen und gestaltet werden) verbinden kann.