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Freitag, 22. Oktober 2021

Gedankensplitter (1317e)

Wie erbärmlich wirkt Tzvetan Todorov vor dem Hintergrund des Bildes, das von Christopher Columbus aufsteigt. Dessen tiefe Gläubigkeit immer mehr berührt, je weiter man liest, und je mehr man die Kälte und Dummheit des Autors erträgt. Für Colomb ist jede Welle, jede Wolke, jeder Wind Faktor eines in seinen Bordbüchern immer mehr durchkommenden, unausgesetzten Dialoges mit Gott. 

Was Todorov in "Die Entdeckung Amerikas" zu einer (ach, wie klug sind wir Modernen doch!) verschrobenen Psychodynamik erklärt. "Dasselbe wäre passiert, wenn Colomb Muslim oder Buddhist gewesen wäre," schreibt er, der in Wahrheit Ahnungslose, und "erklärt" die nicht nur nicht abnehmende, sondern ständig weiter gesteigerte Entdeckerfreude des Admirals. Diese Freude an der Natur war ein Charakterzug Colombs, und sie hat mit Gott nichts zu tun, nicht wahr? Was für unglaubliche Blechtastaturen und Kleingeister, allüberall.

Er, der Moderne, und wir, die mit ihm Modernen, wir deuten doch alles aus Evidenzen, und kommen daraus auf die Wahrheit. Colomb weiß alles vorher, und die Natur und die Dinge sind ihm nur noch Belege für die Wahrheit des vorher Gewußten. 

Aber Colomb singt dennoch und durch die schwarzen Buchstabenvorhänge durch sein Lied von Gott. Und während ihn sein zweiter Kapitän verläßt, um endlich Gold zu suchen, will der Italo-Spanier immer ausschließlicher entdecken. Noch eine Landzunge, die er in der Abenddämmerung von Ferne sah, noch ein Tal, noch eine Insel, von der ihm Eingeborene berichtet haben, und schließlich und endlich - Festland. Völlig richtig schließt der Admiral aus den ungeheuren Mengen Süßwasser im Meer auf das Vorhandensein eines mächtigen Flusses. Und wo ein riesiger Fluß ist, da muß ein riesiges Land sein. Er hat Recht. Es ist der Orinoco, und es ist Südamerika. 

Seine größten Taten vollbringt Columbus aber in der Navigation und der Meteorologie. Wo er es zu einer derartigen Meisterschaft bringt, daß er aus einer einzigen Wolke, aus dem Stand eines einzigen Sternes vorhersagen kann, von wo und wie stark welcher Wind kommen wird und wie man ihn nützen kann, er weiß im Voraus, ob es regnet oder welche Strömungen zu erwarten sind. Er entdeckt die magnetische Deklination, eine nautische Besonderheit der Ableitung aus dem Kompaß, und leitet die Navigation nach den Sternen ein. Er gönnt sich schließlich kaum noch Schlaf, um nachts die Sterne beobachten zu können.

In einer berühmt gewordenen Episode nützt er seine Kenntnisse, um die Unlust der Kaziken (ein Stamm von Eingeborenen), ihn weiter kostenlos mit Lebensmitteln zu versorgen, in neuen Fürsorgeeifer zu verwandeln. Immerhin waren sie da schon acht Monate vor Jamaika vor Anker gelegen. Wenn ihr, so sagt er ihnen, nicht weiter liefert, stehle ich Euch den Mond! Und tatsächlich: Am Abend des 29. Februar 1504 ereignete sich das Angekündigte, das dem Kazikenhäuptling furchtgeweitete Augen auftrieb: Der Mond verschwand .... Columbus hatte die Mondfinsternis vorherberechnet. Schlagartig hatte er die Versorgung wieder gesichert.

Die vielen neuartigen, oft seltsamen Fische, die herrlichen Vögel, die unglaublichen Naturschönheiten, die entdeckten seltsamsten Pflanzen und Erlebnisse mit Tieren trieben Colomb zu einem immer lauteren Lob Gottes. Und unter Bezug auf Schriftstellen und alte Schriften war er schließlich überzeugt, daß er an den Toren zum Paradies stand, wie es das Buch Esra beschreibt. Das zwar kein Mensch betreten könne, das sich im äußersten Osten befindet (und nach wie vor ist er überzeugt, dort zu sein), aber hinter den unzugänglichen Bergen verbirgt. Es geht ihm immer ausschließlicher um Entdeckungen. Die Nutzung der Ländereien interessiert ihn nur noch zweitrangig. Das werde sich schon finden, es liegt auf der Hand, daß sich diese unfaßbaren und unfaßbar reichen, fruchtbaren, an Schönheit übervollen Landmassen auch genau so reichhaltig nützen ließen.

Bartolomé de Las Casas schreibt, daß Columbus völlig sicher war, daß sich ein Land, das so schön, so voller natürlicher Reichtümer war, auch voller "irdischer" Reichtümer zeigen müsse. Daran hat er nicht den geringsten Zweifel. Die Schwärze der Haut der Eingeborenen, die Buntheit der Papageien, die Zahl und Mächtigkeit der gefundenen Flüsse - er meint sich zu erinnern, daß in Portugal in der Mündung des Tejo Gold gefunden worden wäre, daß Gold also aus den Bergen ausgewaschen und den Fluß hinunter angestrandet würde - die üppige Vegetation, die Hitze, alles das ließ ihn auf ungeheure Reichtümer schließen. 

Die Hitze, schreibt er, ist der Grund für Goldvorkommen. Das nach seiner (bzw. der damaligen alchimistischen) Vorstellung die Erde quasi "ausschwitzt". (Womit er übrigens gar nicht Unrecht hat, aber dazu ein ganz ganz anderes Mal, wenn ich vielleicht doch noch einmal über die Schriften von Rank bzw. "Vermächtnis eines Deutschen" schreibe.) Columbus ist deshalb auch überzeugt, daß er je weiter er in den Süden kommt, je schwärzer die Eingeborenen werden, je höher die Lufttemperaturen sind, desto sicherer sich auf Goldvorkommen schließen läßt.

Sogar Fabelwesen sieht er, wie Sirenen. Sie seien nur nicht so schön, wie man sage, meint er dazu. Ihr Gesicht ist vielmehr breit und die Augen starrten häßlich.

Als er sich den Kopf darüber zerbricht, wo denn die herrlichen Perlen herkommen, die ihm zuweilen Eingeborene bringen, zitiert er in seinem Tagebuch eine Naturschilderung von Plinius d. J. als dessen Antwort. Was Las Casas so wiedergibt: 

"Am Meer fanden sie, sagt er, zahllose Austern an den Zweigen der Bäume, die ins Meer hinauswachsen, das Maul weit geöffnet, um den Tau aufzunehmen, der von den Blättern herabfällt, bis dann der Tropfen herabfällt, aus dem die Perlen entstehen, wie Plinius sagt, und er bezieht sich dabei auf ein Wörterbuch namens Catholicon."

***

Wie kann man nur so dumm sein, nicht wahr? Todorov macht sich über alle solche Gedanken auf mich erschreckende Weise lustig. Man glaubt es ja kaum, wenn man sieht, auf welch banausische, stumpfsinnige Weise sich ein Mann, der sich als "wissenschaftliche Leuchte" wähnt (und von seiner Umgebung sicher so gesehen wurde und wird), blamiert und lächerlich macht. Weil er die ganzheitliche, den reduktiven Rationalismus, den als stumpfe Vertrottelung zu beschreiben ich mich immer weniger scheue, um Dimensionen übersteigende Sichtweise der damaligen Zeit nicht einmal annähernd begreift. Und wo er Colomb vorzuführen meint, offenbart er mir einen Mann, den ich mit jeder Seite mehr liebe. Und wegen seiner Gedankentiefe und Weisheit bewundere.

Na, und Gott sei Dank sieht er dann und wann in Las Casas einen Gleichgesinnten, der im ersten Buch seiner Historia (Colombae) an einer Stelle schreibt: "Es ist erstaunlich, daß dem Menschen, wenn er etwas innig wünscht und einmal fest in seiner Vorstellung verankert hat, unentwegt alles, was er hört und sieht, als Bestätigung erscheint." Was für ein Durchblick, nicht wahr, werter Leser? Mag er auch mit mir die Frage stellen, ob das nicht weit mehr von Todorov gilt als von Christopher Columbus? 

Um mit mir fragend zu schließen: Was hat Todorov an Neuer Welt entdeckt, und welche Neue Welt Christoph Colomb? Und wie würde eine solche Neue Welt von Todorov beschrieben und erklärt werden, die dieser entdeckt hätte, wenn er sie entdeckt hätte (was alleine mehr als zweifelhaft ist, und wenn er 1450 als Sohn eines reichen Hidalgos geboren wäre)?


*250921*