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Montag, 25. Oktober 2021

Gedankensplitter (1356a)

Im Rennen um Deutungen für den berühmten Buchstaben "G" (in Kombination mit einem Multiplikator) gibt es einen neuen Vorschlag von Leser G (sic!), der auf die Erweiterung: G für "gehirnentleert" hinweist.

Denn, so G, in Anbetracht der Tatsache, wie viele Menschen bereits vollkommen leere Worthülsen zum Normalgebrauch der Sprache erwählen, in Anbetracht der Tatsache, daß die Sprache nur noch als drohend aufgerichtete Keule Verwendung findet, in der mangels Vernunftzugängigkeit der Lebensweisen der Gegenwart nur noch Emotionen - an sich wirkungslos - zu weltgestaltender Wirkung verholfen werden soll, drängt sich diese Deutung von G auf.

Auch wenn ich mit solchen Attributen - die man meist bei jenen hört, die von sich behaupten, daß nur sie überhaupt dächten, sodaß wir in diesem Fall von immerhin rund 99 Prozent der Bevölkerung unserer Länder sprechen - vorsichtig bin, stimme ich Leser G ausnahmsweise zu.

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Denken ist ein sittlicher Akt. Es ist die Sittlichkeit, die die Paßgenauigkeit jener Gestalt-Bausteine zuläßt und sucht (weil dann findet, also niemals "selber schafft") die in der Sprache dann als "vernünftig", "logisch" und so weiter sichtbar werden. Und darin von jedermann erkennbar wird. 

So nebenbei das sicherste Zeichen dafür, daß die gesamte Welt in ein Fluidum einer lebendigen, interagierenden, personalen (eins seienden, ansprechbaren, uns als Gegenüber identifizierbaren) Wahrheit schwebt. 

Es ist ein gehorsames Ausschöpfen der Sprache hinter der Sprache, die man in die irdischen Behälter der Begriffe gießt, und möglichst so anordnet, daß sie dem Willigen (sic!) den Blick auf das Hinter-allem-Liegende des Wirklichen eröffnet. Und insofern das wirklich Wirkliche "verirdischt" und zur Welt ordnet, die der wirklichen Ordnung entspricht. Und jenem den Weg weist, der sich an der Hand der Gestalt des nunmehr Ausgesprochenen bis zur Schwelle alles Grundlegenden hinführen läßt. Ab hier kann er sich ergreifen lassen. Oder nicht.

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Von den Priestern der Bruderschaft Pius X kann man es vielleicht nicht verlangen, denn dort finden sich andere Verhältnisse, und deren Lebenssphäre unterscheidet sich bedeutend und kategorial von der der "Gläubigen" als Publikum. Doch wäre es auch für diese angebracht einmal den Blick darauf zu richten, was sich bei diesem ihrem Publikum zeigt. 

Es ist dort eine mir nur zu bekannte - und ich behaupte: völlig logische und unausbleibliche - Dauerbeobachtung, was Leser A in einem Gespräch als ein ihr besonders widerliches Geschehen erzählt hat. Daß sich nämlich dieselben Menschen, die noch Minuten zuvor zur Hl. Kommunion geschritten sind, die sie mit dem Leib Christi zur Kirche vereint, kaum daß sie die Heiligen Opferstätten verlassen haben wie auf Befehl auf die "Konzilskirche" schimpfen. 

Was heißt schimpfen. Heftigst und nicht immer hier zitierfähig (was etwas heißen soll) ihrem Ärger über jene "Kirche" artikulieren, die in ihren Augen ohnehin gar nicht mehr die Kirche isset. Diese einzige, wirklich wahre Kirche sei nur noch in den Gläubigen präsent und real, die die Kulte der Piusbrüder besuchten und deren Art der Lebensgestaltung für gut hießen. Da kann es sogar passieren, so Leser A, daß ein Frauenrock, weil er in den Augen mancher um fünf Zentimeter zu kurz ist, oder gar eine Hose, die eine Frau trägt, zum Grund einer durch Verachtung bekundeten ipso facto-Exkommunikation wird.

Insgesamt sei ein derart bedrückendes Klima des Hasses festzustellen, das sich unter diesen Pius-Anhängern breitgemacht habe, daß schon dies ein Grund wäre, so A, sie zu meiden. Gäbe es nicht sehr reale Vernunftgründe dafür. Pius X Gemeinden, so A abschließend, seien kein "geringeres Übel", sondern ein Hauptübel, in der der Teufel mit Beelzebub auszutreiben versucht werde. Für das Menschsein selbst, in allen Unwägbarkeiten und allen Brüchen, die das erbsündlich beschädigte Leben so mit sich bringe, wenn man sich nicht in einem stillen Kämmerchen verstecken, sondern sein Leben und die Welt gestalten wolle, ist die Atmosphäre alleine schon toxisch, und der im Kult erwartbare Einbruch des Himmels oft genug auf den Schriftenstand beschränkt. Aber so mies wie bei den Gottesdiensten der Piusbrüder (als Insgesamt eines sozio-kulturellen Geschehens betrachtet) habe er sich nur einmal gefühlt - als er in einem Unternehmen jahrelang schwerstens gemobbt, also auszulöschen versucht wurde.

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Ein Extrem, das aber mit Gewißheit zur Norm werden wird, wenn nicht schon wurde, habe ich an einem Set von Filmstudenten erlebt, die an einem Abschlußprojekt arbeiteten. Wo so gut wie jeder praktisch ohne Gage einfach der Jugend helfen möchte. Wenigstens aber möchte man dann gut behandelt werden.  Zu meinem großen Entsetzen aber war das Buffet fleischlos. Halt, nein, es gab Fleisch, in der Form einer kleinen Portion Faschiertem (Gehackten), gewiß, gut gewürzt, bei ansonstigem ostasiatischem Gerichtepotpourri, bei deren Anblick mein Magen riet, in Panikmodus zu verfallen. Welcher Anmutung ich tapfer widerstand. Leider. (Siehe Anmerkung*)

Ich habe also aber vorerst zumindest nichts gesagt und brav auf die Zuteilung gewartet, also auf das, was übrigblieb. Selbst dann noch, als diese ohnehin schon so kleinen Fleischportionen, die mir zugeteilt wurden, durch einige überraschend doch lautwerdende Gelüste jener rasch weiter reduziert wurden, die a posteriori per Umfrage vorgegeben hatten, wie die allermeisten (also alle, außer mir) jenen herrlich bunten und überaus gesunden, zum Teil sogar nach den harmoniespendenden Prinzipien des Ayurveda angefertigten Gerichten zuzusprechen. 

Die mit unaussprechlichen, ganz sicher nicht der Oma-Küche entstammenden Namen angeboten und von (fast) allen (den Aussprüchen nach) begeistert konsumiert wurden. So als sei das bereits so allgemein und üblich, daß ich der Außenseiter war. Der doch nicht mehr wünschte als "ganz normale Hausmannskost". Ein billiges Kotelett vom Billa, fünf Minuten in die heiße Pfanne gelegt, gegenüber hätte also nicht nur gereicht, sondern uns allen diesem lästigen, das Filmgeschehen empfindlich beeinträchtigenden Ausschlag am Hals erspart, der mich immer dann befällt, wenn ich Angst habe, zu verhungern. (Siehe Anmerkung²)

Und das hat mich in Wirklichkeit umgehauen! Denn das hat mir so deutlich wie zuvor noch nie gezeigt, wie sehr sich unsere Kultur bereits gewandelt und förmlich aufgelöst hat, und durch alle möglichen, für sich stehenden Kulturfragmente zu einer neuen "Kultur" (als Lebensweise) zusammengepappt wird, über deren Herauskommen man nur vage spekulieren kann: Denn die wirklichen Seinslinien (wie also die Menschen in zehn, zwanzig Jahren wirklich in Haltung und Charakter sind) werden sich erst zeigen, sie sind derzeit noch kaum zu erkennen.

Aber das Interessanteste war die Art, wie nicht einfach nur Zustimmung eingeholt wurde, sondern in einem deutlich erkennbaren Unterton der Überzeugungsabsicht eine offenbar alles entschlüsselnde und jeden Kulturbruch legitimieren sollende Frage gestellt wurde: "Aber es hat doch geschmeckt?! Siehst Du ...

Ich war darüber hinaus aber noch mehr deswegen entsetzt, als diese jungen Menschen, die die Zukunft des Films bedeuten, tatsächlich der Auffassung sind, daß sich die Welt und ihre/eine Lebenswelt AN DER HAND DIESES KRITERIUMS gestalten ließe. Nicht nur das: Dadurch besser würde.

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Apropos besser werden: Ich weiß nicht wie sich dieser Unsinn so lange erhalten konnte und kann, denn er feiert nach wie vor fröhliche Urstände. Daß nämlich die Politik bzw. jeder, der sich irgendwie "erwählt" sieht, tatsächlich davon ausgeht und das auch verkündet, daß er die Welt "besser machen" wolle! 

Vor allen solchen kann man nur eines: Reißaus nehmen, und wie! Denn jeder Mensch, der noch halbwegs seine sieben Zwetschken beisammenhat, hat auch erkannt, daß es schon deutliche Überforderung ist sich vorzunehmen, die Welt wenigstens NICHT SCHLECHTER zu machen! Ich kenne niemanden (zumindest niemanden, der nur Mensch ist), dem das ernstlich gelungen ist. 

Selbst die größten Heiligen (und andere Völker dieses Erdenrunds haben sich für ein Heiliges noch deutlich mehr Sinn bewahrt, als er bei uns noch zu finden wäre, somit GIBT es woanders auch mehr Heilige als in unserer Kultur, ich glaube das tatsächlich) haben die Welt wenigstens nur wenig schlechter hinterlassen, als sie sie bei ihrer Erschaffung und anschließender Geburt vorgefunden haben. 

Selbst das allergrößte Werk der Menschheit hinterließ mehr Rundum-, wenn nicht Kollateralschäden, als es - in begrenztem Rahmen - an Zuständen verbesserte. Und zwar schon alleine kraft der negativen Polarität jener Dialektik, die der menschlichen Psyche eignet, wenn sie unfrei ist. 

Kein Mensch kann sich deshalb das Zeil setzen, DIE WELT besser zu machen. Das unterliegt gar nicht seiner Mächtigkeit. Man kann sich nur das Zeil setzen, ein bestimmtes Projekt, ein bestimmtes Vorhaben, ein sehr begrenztes Aufgabengebiet in gewissen Hinsichten "besser" zu machen.

Morgen geht es in dieser Art mit Teil b weiter. 
Bis sich die Themen ziemlich runden, und alles ineinander läuft.


*241021*