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Mittwoch, 17. Juli 2013

Massenmensch und Unternehmergeist

Ähnliche Untersuchungen hat man in den USA schon länger durchgeführt, nun liegen solche Erhebungen auch für Deutschland vor. Das Ergebnis überrascht nicht: Unternehmensgründungen hängen direkt mit der Art der Persönlichkeit zusammen, die sich in bestimmten Landstrichen konzentriert findet. Unternehmen werden von Menschen gegründet, die eher extrovertiert und gewissenhaft sowie weniger ängstlich und konfliktscheu sind als andere. Die psychologische Landkarte stimmt mit der unternehmerischen überein.

In den USA konzentrieren sich solche Charaktere (und damit Unternehmergeist) im Westen, in Utah und Colorado. Während sich in Gebieten, die sich durch Massenproduktionen und konzentrierte Industrie kennzeichnen, wie im "Rust Belt" rund um die einst größten Industriestandorte Detroit, Cleveland und Pittburgh, nur wenige Gründerpersönlichkeiten finden.

In Deutschland finden sie sich vor allem in Berlin und Hamburg. 

Die Welt schreibt weiter: Auch Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern rangieren in diesem Vergleich relativ weit vorn, während Brandenburg und Sachsen die Schlusslichter sind. "Eine ganz ähnliche Reihenfolge erhält man, wenn man sich anschaut, wie die Zahl der Selbstständigen in Deutschland verteilt ist", sagt Martin Obschonka, einer der Autoren der Studie.

Auch für Großbritannien gelten dieselben Merkmale. Unternehmer konzentrieren sich auf London und Ostengland, während ihre Zahl in Schottland, Wales und Nordirland deutlich geringer ist.

In gewisser Hinsicht ist also Unternehmergeist "erblich", denn er hat mit den Prägungen zu tun, die ein Mensch von Kindheit an erfährt. Der Menschenschlag des amerikanischen Westens war von seinen Anfängen her gewiß geprägt von dem Bewußtsein, sein Leben selbst in die Hand nehmen zu müssen. Das könnte sich in den Gebieten des ehemaligen Ostdeutschland umgekehrt und hemmend auswirken, wo die Unternehmerzahlen nämlich besonders niedrig sind. Denn hier sind die Unternehmer mit der Herausbildung der DDR in den Westen geflohen, haben also auch von dieser Seite her den Boden für kommenden freien Geist entzogen.  Über die Rolle von Eigeninitiative in kommunistischen Staaten selbst muß man nicht weiter reden.

Ganz sicher kein Boden für das Herausbilden von Unternehmern sind nämlich Massengesellschaften und entsprechende Mentalitäten, die "erwarten" - statt zu gestalten. Die die Ursachen "woanders" sehen, statt sich selbst als Ursache zu begreifen.

Freilich nicht untersucht wurde jeweils, welcher ART diese (neuen) Unternehmen sind. Und das wäre nicht unwesentliches Differenzierungskriterium, um wirkliche Schlüsse zuzulassen. Denn vieles, was heute als Unternehmer auftritt, ist dem Bereich der "Cleverness"  zuzurechnen, und darin als Unternehmen im eigentlichen Sinn mit Fragezeichen zu versehen. Einer Weiterentwicklung der Versorgungsmentalität, die zwar Gewinne für sich beansprucht, Verluste aber weiter sozialisiert. Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit kann solche Unternehmensgründungen kennzeichnen, und ein konstruktiver Wert für eine Volkswirtschaft als Aspekt einer Kultur ist sehr zu hinterfragen. Als Kulturaspekt aber ist Wirtschaft in jedem Fall zu sehen, das bestätigen selbst solche Wald- und Wiesenuntersuchungen.

In ihrer Kernaussage, daß Unternehmensgründung mit dem Mut zur frei gewählten, selbstgetragenen Verantwortung zu tun hat, sind solche deshalb plausibel. Sie sind aber nicht mehr als ein Gemeinplatz des gesunden Menschenverstands. Und solche "Studien" gibt es ja zunehmend in Hülle und Fülle. Deren Ergebnisse geradezu lächerliche Binsenweisheiten zur Aussage haben und schon die Spalten vorgeblich "intellektueller" Blätter füllen.

Wie jüngst im Standard, die das sensationelle Ergebnis vorstellte, daß Männer, die sich Kinder wünschten, auch bessere Väter sind. Der einzige Sinn solcher Studien liegt dann offenbar darin, die Definitionshoheit über "guter Vater" zu behaupten, der sich natürlich zufällig mit dem "neuen Rollenbild" des politically correcten Mannes deckt. Eine Untersuchung über die Koinzidenzen von Persönlichkeitsstrukturen bei Forschern (bzw. Journalisten) und dem Erhellungspotential von Studien (und Berichten darüber), ja sogar über wissenschaftliche Aussagen, wäre gewiß lohnend.

Und dabei - überhaupt nicht neu. Denn die Wissenschaftssoziologie hat sich bereits vor 1000 Jahren (im 19./20. Jhd. durch Dilthey, Scheler, Fleck, etc. etc.) sehr ausgiebig und aussagekräftig über die Zusammenhänge von Persönlichkeit und Denkergebnis befaßt.

Aber vielleicht stärken solche Plattheiten, die heute unter "Wissenschaft" daherkommen, wenigstens das Vertrauen in das eigene Denken. Weil man sieht, daß am eigenständigen Denken (nicht nur am Anwenden von "gelernt-Gewußtem") doch kein Weg vorbeiführt. Dort liegt dann der Anker in jener Erkenntnistiefe, die über historische Relativität bleibende Gewißheit ermöglicht. Dann kann Denken wieder Vernunft werden.





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