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Montag, 22. Februar 2016

Jeder weiß selbst, was ihm guttut

Einen weiteren guten Beitrag zur Ernährungsfrage liefert wieder einmal Udo Pollmer in seiner Kolumne im Deutschlandradio. Ausgehend von den dem Wein, der Orange oder der Zwiebel gerne nachgesagten gesundheitsfördernden Wirkung weist er darauf hin, daß das das keinesfalls für jeden und gleichermaßen gilt. Vielmehr gibt auch hier die individuelle Konstitution die Wirkweise vor. Denn die Wirksstoffe in genannten Lebensmitteln erhöhen zwar tatsächlich gewisse Widerstandskräfte, aber wie das bei Abwehrverhalten ist, bedeutet das die Erhöhung des organischen Streßniveaus. Das aber kann bewirken, daß der Organismus des Konsumenten schwerer zu den für ihn genauso notwendigen Entspannungsphasen gelangt. 

In einer Situation hohen Stressniveaus kann deshalb ein Mensch, der meint, mit Rotwein und Zwiebeln sein Immunsystem zu stärken, mit einem Kollaps reagieren. Die Erhöhung der Herzinfarkte während der Feiertage, die meist hohen Stress bedeuten, weist darauf hin. Außerdem ist bekannt, daß Rotwein oder Zwiebel oder Orangensaft für manche Menschen (der VdZ gehört dazu) oft schwer bekömmlich ist: sie halten den Organismus auf einem Stressniveau, dem er nicht auf Dauer gewachsen ist. Dauerstress ist es auch, der etwa der Hauptgrund für Übergewicht ist.

Auch Menschen mit traditionell hohem Fleischkonsum sind dafür anfällig. Eskimos, nordamerikanische Indianer und viele Afroamerikaner sind deshalb bekanntermaßen besonders diabetesgefährdet. Ihr Organismus ist für so viel pflanzliche Nahrung, wie zu konsumieren heute überall nahgelegt wird, gar nicht ausgelegt. Daß Pollmer mit "Evolution" argumentiert, um den Schritt vom Jäger zum Ackerbauern verantwortlich für diese oft noch sehr ausgeprägte Nahrung zu, ist hier eine läßliche Sünde. Es würde genügen, ganz einfach historische Entwicklungen und in der Physis vererbte wie vererbbare Haltungen anzuführen. Auch der Nord- und Mitteleuropäer fand sich ja noch vor 2.000 Jahren in einer Wildnis vor, in der Jagdwild die einzige verläßlich verfügbare Nahrung war. Wobei beides immer parallel gingen. 

Die Archäologie hat längst die Annahme nahegelegt, daß selbst nomadische Völker immer - über die Frauen, die Ansiedlungen, die auch Nomaden brauchen, und sei es temporär, für eine Saison etwa (etwa bei Winterlager : Sommerlager) - ein gewisses Maß an Ackerbau betrieben haben. Bei den historischen (frühen) Magyaren kann man diese Lebensweise sehr gut belegen, man erkennt dieses Verhalten wenigstens als Tendenz dann auch bei allen anderen Völkern. Entwicklung der Menschen, die eine Entwicklung zu höherer Kultur und damit Lebenssteigerung (hin zu mehr Geist) bedeutet, bedeutet ja immer eine Entwicklung zur Seßhaftigkeit, die die Fähigkeit verlangt, mit den bloßen Vorgaben der Natur (an die jede niedrigere Lebensform per Diktat gebunden ist) umzugehen, das Schwanken des Vereinzelten auf ein Allgemeines und damit Gleichbleibendes hin zu erweitern und letztlich zu universalisieren. Kultur ist also immer ausgerichtet auf den menschlichen Drang zur Lebenssteigerung ins Eine hinein, in den Geist. 

Was an Verhalten nicht auf Geist abzielt und damit animalisiert mag (sogar hoch ausgeschmückte) Lebensweise sein, es ist aber nicht Kultur. Gerade heute ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, auch in der Abgrenzung von Geist gegenüber dem bloß rationalen, funktionalen Verstand (den ja auch Tiere entwickeln.) Angenehme, bequeme klimatische Bedingungen haben deshalb (das ist historisch das Erstaunliche, aber Belegende daran) zwar einfacheres Leben ermöglicht, aber sie führen tendentiell zu einer Erschlaffung des Menschen, und damit sogar zu einer Verödung einst so fruchtbarer Landschaften. Afrika oder Mittel-Südamerika liefert dafür einen Beleg. Die Archäologie liefert etwa viele Belege dafür, daß der heutige Regenwald mit seinen zwei oder gar drei Vegetationsperioden im Jahr einst kultiviertes Land war, so wie es in Afrika vor tausenden von Jahren hoch entwickelte Kulturen gab, die aber untergingen. Die höchsten und langlebigsten Kulturen der letzten 5-7.000 Jahre sind nicht zufällig dort entstanden, wo die Lebensbedingungen sehr herausfordernd waren, und es sogar blieben. Wo alles "einfach da" ist sinkt der Mensch zurück (siehe: Sozialstaat; oder: die heutige Pädagogik, die eine typische Güttersattheits-Afterpädagogik ist). Wo der Mensch aber auf sich zurückfällt, wenden sich die nunmehr ungebundenen geistigen Kräfte zu ihm zurück, und er wird reflexiv-destruktiv. (Die Melancholie/Acedia gewisser Völker in scheinbar irdischen Paradiesen, in einer weitgehenden Mentalität des bloßen Bedienen-Müssens, ist bekannt.)

Ackerflächen, die eine Verlagerung der Nahrungsgrundstoffe bedeuten, die noch dazu andere Eigenschaften aufweist (Haltbarkeit und Lagerbarkeit, Geschmacksausweitungen, Handelbarkeit, etc.) wurden in Europa aber erst nach und nach gewonnen. Wobei auch hier der Schritt anders verläuft, als vielfach verbreitet: denn es ist die kultivierte Feldfrucht, die Dünger und damit die Viehzucht benötigt, nicht umgekehrt. Viehzucht war also zuerst, nicht der Ackerbau. Man verfüttert keine Nahrungspflanzen. Tiere verwerten, was dem Menschen direkt eigentlich unverwertbar ist. 

Viel Ackerbau benötigt also viel kultivierte, gestaltete Viehhaltung. Die Verlagerung der Ernährungsquellen bringt aber auch eine physiologische Veränderung der vererbten konstitutionellen Bedingungen der Menschen. Sehr agrarisch dominierte Völker, übrigens, stellen nicht zufällig sofort auf kultiviertes Fleisch um - siehe Indien oder China! - wenn die Notlösung (!) "pflanzliche Nahrung" überschritten werden kann. Tierische Produkte - Eiweiße, Fette etc. - sind einfach höherwertiger und damit kulturfördernder. Der Vegetarismus, der sich heute fast seuchenartig ausbreitet, ist also das Stadium einer (auf Rousseau'scher Haltung übrigens aufbauenden) Kulturverdunstung, ausgehend von einem hohen Niveau der Dingsattheit.*

Deshalb gilt umso mehr, daß es für jeden nur einen Maßstab für Ernährung geben kann: Die immer sehr individuelle Bekömmlichkeit von Lebensmitteln. Und das Ausklammern der materialistisch-mechanistischen Überschätzung dessen, was zugeführte Nahrung überhaupt zu leisten vermag.

Heißt das nun, daß jedes Kind von sich aus weiß, was, wie und wieviel es zu essen braucht? Heißt es genau nicht. Denn der Erwachsene hat das Essen bereits in die Kultur gehoben, auch das Essen ist eine Handlung die aus dem Kult lebt. Das ist beim Kind noch nicht der Fall. Doch dazu ein anderes mal.




*Typisch für nie wirklich abgestillte Kinder, denen der Antrieb fehlt, etwas zu schaffen, die deshalb andere Wege suchen, um Scheingestalten zu errichten. Etwa, indem sie geistige Kräfte auf sinnlose, ja kontraproduktive Selbstbezüchtigung umlenken. Die ganze Klimawandelschimäre, die ja nur weiterer Höhepunkt einer jahrzehntelangen Wohlstandsentwicklung mit immer mehr ungebundenen Seelenkräften ist, lebt davon. So nebenbei und noch nachgeworfen: Vieles, was der Liberalismus im Namen einer "freien Wirtschaft" fordert, stammt aus genau demselben Kleinkinder-Stall! Vieles, was heute als "Entfesselung neuer Wirtschaftskräfte" bezeichnet wird, ist der Versuch, Gestalt aus NICHT-nach-außen-Kraft dennoch hervorzupressen, oft einfach indem man Nicht-Gestalt zur Gestalt erklärt, weil man sich im Wesen der Freiheit täuscht. Freiheit heißt und braucht nämlich Beschränkung und vorgegebenes, ja eingehaltenes Maß.




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