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Sonntag, 14. Februar 2016

Welt besteht durch Sinnlichkeit

(Gedankensplitter) Der VdZ hatte einige Zeit mit sogenannten "optimierten Schlafstellen" zu tun, mit Gesundheitsmatratzen und vor allem Betteinsätzen, die durch besondere Konstruktion den Schlaf besonders tief gestalten sollen. Nun, das tritt tatsächlich ein. Aber es tritt nicht nur ein, sondern es ist in den Augen des VdZ sogar lebensgefährlich. Der plötzliche Kindstod wird sogar genau damit in Zusammenhang gebracht: zu weiche Matratzen, zu sinnenarmes Welterleben. Ein Mensch, der im Schlaf aus der Welt zurücksinkt in seine Körperlichkeit - weshalb er nichts mehr wahrnimmt - ist also gefährdet, über einen besonders tiefen weil entsinnlichten, widerstandsfreien Raum aus diesem Zustand gar nicht mehr aufzuwachen. Weil seine Seele (in der Gestalt der Persönlichkeit) zu schwach ist, den Leib "wieder aufzuheben", in die Welt zurückzuführen. 

Aus demselben Grund hat der VdZ immer eine Pädagogik abgelehnt, die sich bewußt und gezielt auf "ergonomische Formen" Rücksicht zu nehmen bemühte, weil gerade der Heranwachsende Konfrontation braucht. Das Maß kann nur in der Wucht weil Komplexität dieser Konfrontation liegen, nicht darin, sie zu vermeiden. Simpel ausgedrückt: In unbequemen Schulbänken ist der Schüler besser aufgehoben weil zu sich selbst (und zur letzthinnigen Selbsttrage, dem höchsten Ziel des Menschseins) aufgefordert, als in ergnomisch widerstandsfrei gemachten. Von aller möglichen "kindgerecht gemachtem" Dingwelt, die überall genau diesen Widerstand senken soll, indem sie die Dinge in Vorstadien von Dingen zurückversetzt, und sei es durch einen Comic-Aufkleber auf der Schultasche, gar nicht zu reden. Die Dingwelt muß also dem Heranwachsenden immer etwas voraus sein. Liebe heißt, dieses Voraussein nach und nach zu steigern, die Welt nach und nach dem Heranwachsenden auf- und weiterzumachen. Umgekehrt, senkt die Verkindlichung der Umgebung das Weltsein der Welt. Das Kind bleibt also "in sich", die Welt verliert den Aufforderungscharakter, der eine Aufforderung zu einem Ganz-selbst-sein bedeutet, und das bedeutet - Erwachsenheit.

Es sind die Sinne, die den Menschen in der Welt halten, weil sie ihn dazu fordern, sich mehr und mehr selbst (in den Geist) zu stellen. Durch Überwindung der puren Dinghaftigkeit (wie sie dem Tier bzw. allem niederen Leben eignet), durch ein Leben in der wirklichen Wirklichkeit der Welt, die eine Welt der Beziehung - des Sinnes - ist. Sodaß sich aus diesem Sinn auch das Antlitz der Dinge je neu und in je aktueller historischer Form heraustreiben läßt. Ja, das ist sein eigentlicher Kulturauftrag weil Sinnauftrag, denn jeder Moment ist neu und das heißt: neu zu gestalten.

Die Welt ist nicht nur ihrem Wesen nach sinnlich und sinnorientiert (in des Wortes mehrfacher Bedeutung, die sich in diesem Zusammenhang sogar umfassender erschließt), sondern Sinnlichkeit ist das, was sie zusammen-, was sie im Bestand hält. Sinn(en)losigkeit läßt sie also buchstäblich ins Nichts fallen.

Dazu einmal dieses Video: Wie lange hält es ein Mensch in weitgehend entsinnlichter Umgebung aus, ohne verrückt zu werden? Der Rekord liegt in dieser Kammer bei ... 45 Minuten.




Das menschliche Denken ist der Ausdruck des menschlichen Geistes, aber es gibt kein Denken ohne Konkretion und damit Sprache, denn der Mensch ist in wechselseitiger Weise auf die Welt bezogen (weil Welt eben in ihrem innersten Wesen Beziehung ist). Der selbst wiederum die Welt braucht, um "zu sein", um "werden zu können". Geist braucht also Ort. Er braucht Bezugspunkt - Welt ist also Bezug und Beziehung. Menschsein ist also das personale Halten von Beziehung, kein für sich stehendes Irgendetwas: Der Mensch braucht Grund auf dem er aktuell stehen kann. Er braucht ganz reale Verortung, weil sich die pure Dynamische Energie des Ich in sich krümmt, sich nicht halten kann. Und das geht nur durch ein Außen. Das Außen hält den Menschen. (Der Verweis auf sein Wesen als Kultur- und Gemeinschaftsmensch.) 

Wo der Mensch diese Beziehungen nicht halten oder finden kann, wo er keinen Rahmen findet, um ein Gleichgewicht zwischen dem Antrieb zur Weite und den sinnlichen Gegen(!)ständen zu finden, sucht er Ersatz - in sinnlicher Wahrnehmung. Und sei es, daß er sich mit sich selbst (physisch) befaßt. Den Bart kratzt oder sich anfaßt. (Das Kleinstkind schreitet auf seinem beginnenden Weg zum Erwachsenen von der Befassung mit sich selbst zur Befassung mit der Außenwelt. Es greift erst nur sich an, und weitet allmählich seine Welt durch das Begreifen.) 

Einem asketischen Dasein muß also zuvor ein sehr sinnliches bzw. in die Sinnlichkeit vertieftes Dasein vorausgegangen sein, ein Dasein, in dem die fehlende Außenwelt ab einem Punkt durch die Erinnerung ersetzt werden kann. Was bereits hohe Vergeistigung (also: Unabhängigkeit von der Vereinzeltheit der Welt in ihren Dingen) voraussetzt. Wie es bei Schriftstellern (der vielleicht höchsten Abstraktion als Lebensform, zu der der Mensch fähig ist) beobachtet werden kann (M. Proust, der als erwachsener Mann alle Fenster seines Hauses durch Platten verschließen, die Fenster seiner Kutsche mit Vorhängen verschließen ließ, etc., um fortan aus der Erinnerung zu schreiben, ist ein bekanntes Exempel dafür.) 

Der Asket, der reife Schriftsteller (bzw. jeder Künstler), nimmt sich also aus der Welt und vor allem aus der Zeit heraus. Er ist ein Ort der Ewigkeit in der Welt, insofern nicht mehr ganz dieser Welt zuzuschreiben. (Worin er dem Priester oder dem Philosophen gleicht.) Er muß also einerseits die Welt in sich tragen, besitzen, sie sich anverwandelt haben, im Sinn, um ihr anderseits "zu entsteigen".




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