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Dienstag, 2. Februar 2016

Am Wege zum Irrlichtern

Man muße zwei Ding unterscheiden. Das eine ist das Recht auf freie Meinungsäußerung, und das andere die Art, damit umzugehen und Gedachtes, Gesagtes zu verbreiten. Wahrheit, schreibt Hans Urs von Balthasar, ist immer symphonisch. Das heißt nicht, daß sie ein summarisches Produkt möglichst vieler "Meinungen" ist, sondern daß ein Mensch alleine alle ihre Aspekte niemals erfassen, sich dem Ganzen immer nur öffnen und nähern kann. Deshalb braucht eine Gesellschaft einen freien Umgang mit "möglichen Gedanken", mit möglichen Aspekten, will sie ihre Wahrheitsdurchdrungenheit nicht beschneiden, ja zerstören. Denn das würde auf jeden Fall passieren, gibt es in einer Gesellschaft keine räume mehr, in denen dieser Diskurs frei (!) stattfinden kann. Ohne Angst vor Konsequenzen, ohne Angst vor Strafe, ohne Angst vor Verlust des Ansehens etc. 

Gleichzeitig muß eine Gesellschaft funktionierende Mechanismen haben, diese Räume zu isolieren. Zu steuern, was an Ideen und Gedanken nach außen dringt. Das können nur Eliten, das kann nur Verantwortlichkeit. Dieses Moment wird heute in der Debatte um Meinungsfreiheit gefließentlich übersehen. Während das Recht auf Meinungsfreiheit in abgegrenzten Räumen ein durch staatliche Autorität streng zu schützendes Recht ist - dazu gehört übrigens auch die Familie! auch sie ist ja ein gewissermaßen experimenteller Raum der Vorbereitung AUF äußere, gesellschaftsbezogene, öffentlichkeitsbezogene Beziehungen; sie ist es aber  nicht mehr in ihrer Stellung IN der Öffentlichkeit! - ist die Frage der Verbreitung von "Wahrheit" ein nur unter staatlicher Verantwortung ("Gemeinwohl") zu betrachtendes Agendum, zu dem man keineswegs einfach sagen kann: "alles muß uneingeschränkt möglich sein".

In der Frage der Medien, der Veröffentlichung von Meinungen, ist zwar ohne Frage an aus der Antike bekannte Erscheinungen wie dem "Forum" anzuschließen. Aber dabei ist wesentlich, daß sich die Menschen antiker Städte persönlich kannten. Heutige Medien und antike Foren sind deshalb nur ganz bedingt zu vergleichen. In einem Forum persönlicher Anwesenheiten konnte eine Äußerung in einen Gesamtrahmen der Wahrnehmung gestellt werden, der mit einem so stark vertextlichten, in seiner Gestalt extrem verengten Medium wie Zeitungen oder Internet oder auch Fernsehen nicht vergleichbar ist.²

Gerade der Liberalismus kippt hier das Kind mit dem Bade aus. (Während die Links- und Rechtsgruppierungen um diese Relevanz ja ohnehin immer sehr gut bescheid wußten.) Und der rationalistisch-aufklärerische Geist steht im Irrtum, weil er davon ausgeht, daß jeder jedes Thema bei ausreichender rationaler Bildung beurteilen könnte. Der Verstand ist immer eine Frage der Verortung eines Menschen, niemals eine eines quasi abstrahierbaren Verstandesmediums. Wahrheit ist eine Beziehung, weshalb es eben geschützte und von einer Obrigkeit (in ihrem eigenen Interesse!) auch zu schützende Räume gibt, in denen KEINE direkte Beziehung ausgeübt wird: Wissenschaft, Kunst, Religion, und Politik.

Unser Kultur wurde so groß, weil wir diese Räume hatten. Das war zuallererst einmal die Familie. Das war die Religion in ihren innersten Räumen. Und das waren die Universitäten, das waren Einrichtungen wie Kunstakademien, und das war der politische Debattenraum - die Landtage der Ständevertretungen, die Ratskammern, oder das Parlament.* Wenn auch in diesen Räumen die Freiheit der Rede und damit des Denkens eingeschränkt wird, schneidet sich eine Gesellschaft ihr Blut ab, und wird irgendwann kollabieren. Das ist so sicher die das Amen im Gebet. Denn jeder Moment des Lebens, der Welt, IST Geschichtlichkeit, und jeder Moment verlangt deshalb eine Adaptierung der einen Wahrheit, auf die alles ausgerichtet ist. Und das heißt: Debatte um das Historische.

Diese Freiheit aber ist zunehmend in Gefahr, ja sie ist bereits am besten Weg beschnitten zu SEIN. Dazu gehört sogar die direkte Berichterstattung aus den Parlamenten. Was hier als Transparenz gepriesen wird, ist nur die Kurzsichtigkeit, die nicht sehen will, daß dieser Raum des noch Ungeformten eine Intimität braucht, die eine Formung von Gedanken und Wahrheit durch Versuch und Debatte möglich macht. Direkte Berichterstattung aber, eine live-Fernsehübertragung einer Parlamentsdebatte, schon das Aufzeichnen auf Magnetbändern könnte sogar dazu zählen, macht diesen notwendig intimen Raum der Formwerdung zu einem Raum direkten politischen Wirkens. Die Wahrheitsfindung wird aus dem Parlament also durch Öffentlichkeit verdrängt. Sprechen, unter Verantwortung sprechen kann Politik erst durch Verordnungen und Gesetze.

Noch bedrohter aber ist die Freiheit der Universitäten. Im englischsprachigen Raum wird schon lange erkennbar, daß der universitäre Raum des noch Ungeformten durch hineingetragene weltbezogene Handlungsgrundsätze - meist einfach political correctness, bei bestimmten Themen aber sind es Dogmatismen (etwa bei Klimawandel- oder Evolutionsforschung, ja in der ganzen Naturwissenschaft zugunsten eines dogmatisierten materialistischen Weltbildes) - seine Freiheit bereits verloren hat oder am besten Weg ist, sie zu verlieren. 

Aus den USA erreichen uns schon lange Berichte, nun veröffentlicht die FAZ einen Aufschrei britischer Universitätsprofessoren. Die von Zuständen und Vorgängen berichten, die auf englischen Universitäten bereits gang und gäbe sind, und eine Debatten-, Lehr- und Forschungsfreiheit schon längst zugunsten der political correctness (die im übrigen zutiefst widersprüchliche Ergebnisse produziert!) unterdrücken. Weil sie aggressiv vorschreiben, wie mit "Wissen" umzugehen sei. Und damit das unterdrücken, was Wissen (das immer nur ausschnitthaftes, zeitbedingtes, momentanes, historisches rationales Wissen sein kann, überhaupt erst zu schaffen vermag: Den freien Umgang mit dem Material der Welt, die eine genuin menschliche Welt ist, um die Wahrheit darin zu finden. Damit aber wird von einer Gesellschaft die Wahrheit als Orientierung zugunsten einer ein- für allemal definierten Moral aufgegeben.** Die Folgen kann man gar nicht drastisch genug beschreiben.




²Es ist deshalb pure Dummheit, den "Stammtisch" herabzuwürdigen. Wenn so gut wie jedes Rathaus im selben Gebäude noch ein Gasthaus angeschlossen hatte, so deutet sich die bedeutende Rolle dieser Art von Forum für unsere Kultur an. Es wäre ein Untersuchung wert, wie sich die politische Debatte geändert (nämlich irrational radikalisiert, verschlechtert! - nicht jede Radikalität ist an sich schlecht; sie kann und ist sehr wohl auch Zeichen eines dringend zu beseitigenden Übelstandes) hat, seit auch das Gasthaus als Versammlungsraum einer je lokalen Bevölkerungsgruppe so weit wie heute bereits geschehen seine Funktion verlor.

*Es ist gerade Herrschern unter autoritären Strukturen, die diese Freiheit der Debatte in ihren politischen Kreisen nicht zulassen, bekannt, daß sie binnen kurzer Zeit an schweren Wahrnehmungsdefekten zu leiden beginnen, weil sie durch Selbstzensur ihrer Berater keinen Einblick mehr in die wirklichen Vorgänge in ihrem Herrschaftsbereich bekommen. Vladimir Putin hat sich diesbezüglich einmal interessant geäußert.

**Wir stehen heute sogar unter umgekehrtem, pervertiertem Zwang: uns in intimen Verhältnissen moralistisch zu verhalten, und in der Öffentlichkeit Freiheit zu demonstrieren. Gerade das Intime ist Ziel der Politik geworden, was knapp gefaßt in der Ansicht gründet, daß dort die Grundlagen für das Handeln nach außen gelegt werden, sodaß ein Eingreifen in diese intimen Freiheit besonders effizient ist. 





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