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Dienstag, 23. Februar 2016

Was denn also das Denken nicht ist (1)

Erst kam die Aufklärung daher und erzählte uns, daß der Mensch sein Bewußtsein sei, und riß Leib und Bewußtsein (mit den nie klaren Überschneidungen zum alten Seelenbegriff) auseinadner. Sie erfand den "objektiven Denkprozeß" als Mechnaik der Logik, den der mensch zu leisten in der Lage sei. Und nun kommt die Wissenschaft aus demselben Stall daher und erklärt uns, daß alles nicht wahr sei, daß kein Denkprozeß vorstellbar sei, ohne daß er leiblich - und zwar: NUR leiblich - gedacht würde, daß der Mensch also so etwas wie abstrakte Vernunft gar nicht habe. Diese "neue, biologisch-wissenschaftliche Tatsache", daß es so etwas wie einen menschlichen abstrakt-logischen Denkvorgang nicht gibt, deren Vertreter dabei ignorieren weil vermutlich gar nicht wisssen, daß genau das den eigentlichen Gegenstand der Philosophie speziell seit gut 200 Jahren, und im besonderen der letzten 100 Jahre ausmacht, wird sogar als eine der bahnbrechendsten und revolutionierendsten Entdeckungen der nächsten Jahrzehnte dargestellt.

Die allerallerwenigsten psychologischen Studien und Experimente zum Denken sind reproduzierbar, damit eigentlich auch nicht wissenschaftlich nach empiristischem Verstehen. Die allerallermeisten sind lediglich redundante Anbindungen an Thesen, ohne jeden wissenschaftlichen Wert. In der Art und Weise also, wie über das Denken zu denken ist, steht uns eine Revolution bevor. Plötzlich stellt sich heraus, daß es die Art und Weise der Motivation und Stimulation ist, wie jemand denkt, und daß wie man gedanklich urteilt und entscheidet von Selbstverortungen und Erwartungen abhängt, und daß Lernprozesse wiederum unlösbar mit sozialen Beziehungen - und vor allem: mit Identität - zu tun haben. (Wurde das nicht hier seit Jahr und Tag in Zusammenhang mit Schule und Pädagogik gepredigt?)

Was bitte schön wird also revolutioniert? Denn das nun meritenschwanger zu Widerlegende hat ja die abendländische philosophia perennis gar nie behauptet. Im Gegenteil war bis zu Descartes klar, daß Verstand und Leib nicht zwei getrennt zu denkende Einheiten sind, sondern zwei Wirkmomente ein und desselben, einen Menschen. Der Mythos, den dann die Aufklärung zur lichten Höhe führte, daß der Mensch einen quasi objektiven Verstand habe und haben könne, kam etwa um die Renaissance auf. Zusammen mit der latenten, in Hegel dann endgültig ausgearbeiteten Metaphysik des Verstandes ALS Geist.

Die pure und inhaltliche rationalistisch kostümierte Denkarbeit ist aber nicht das, was der Mensch zu leisten habe oder wozu er gar in der Lage sei. So ist es bis zu Thomas von Aquin (etc.) nachzulesen, so hat sich die Philosophie vor allem des 20. Jhds. mühsam aus den Verwüstungen des Rationalismus wieder zum Geist erheben versucht. Vielmehr kommt es in seiner Geistigkeit darauf an, in welchem GEIST er diese Welt-Formprozesse als Bezugsdynamik - und das ist Logik: Beziehung in Seiendem - asssembliert, zusammenstellt oder trennt.

Mens sana in corpore sano. Sage mir, welche Gestalt du hast, und ich sage dir, wie du denkst! Sage mir, wie du dich bewegst, und ich sage dir, wie du denkst! Sage mir, wie du handelst, wie du liebst, und ich sage dir, ob du die Wahrheit ergreifen kannst (weil von ihr ergriffen bist). Sage mir wie gehorsam du bist, und ich sage dir ob du überhaupt denken kannst. Sage mir ob du dich selbst überschreitest und zu sterben bereit bist, und ich sage dir, ob in dir die Gestalt der Wahrheit zum Wort aufsteigen kann.

Deshalb ist ja Sittlichkeit und Denkleistung, Tugend und Wahrheit, aber auch Sinnlichkeit und Gehorsam nicht zu trennen. Nur der sittlich hochstehende Mensch, als Ganzheit, kann "denken", das heißt: kann in seinem Geist bestimmen, was ihm die inneren Vorstellungsbilder und -gestalten vorstellen, weil sie ihn bewegen. In seiner eigentlichen Arbeit: dem Angleichen an die Wahrheit selbst, die gleichfalls nicht einfach ein textual-rationaler Prozeß ist, sondern ein Dialog mit Vorgefundenem. Zu dem eben erst die Sittlichkeit Zugang gibt weil Gestalt annimmt. Und so, aus dieser Gestalt, wahr redet. Also - denkt. Subjektiv, immer subjektiv - aber als Träger objektiver, welttragender, weltbegründender und -erhaltender Gestalt aus der Dynamik von Idee, Bild, logos, Sinn. Die uns wiederum gegeben werden muß, eröffnet werden muß, über Gestalt, weil nur in ihr, weil nur in diesem logos denken im eigentlichen Sinn überhaupt möglich ist. Denken ohne Gott ist deshalb gar nicht möglich. Das ist kein frommes Gesetzchen überspitzter Bigotterie, sondern philosophisches Fazit, als über die Welt möglich zu Sagendes, nach radikaler Prüfung der eigenen Lauterkeit. Nur in der kann man denken.




Morgen 2. Teil) Denken gibt es nur aus dem Zueinander gewußter Gestalten





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