Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 1. Juni 2016

Wettlauf mit der Zeit (2)

Teil 2) Und der Gründe mehr und mehr




Sie zeigt nicht wie in diesem Fall, daß seit Jahrzehnten nie substantielle Tilgungen der alten Schulden stattfinden, sondern Steuern mehr und mehr nur noch in den Zinsendienst gehen. Auch die Privatisierungen - also Erlöse aus dem Verkauf ehedem staatseigener Vermögenswerte und Unternehmen - wurden nur ins Budget gestopft, wo sie auch wahre Wunder vollbrachten (Nulldefizite!) Sie wurden aber nicht benutzt, um Schulden abzutragen. 

Waren bisher alte Kredite fällig, etwa durch Anleihentermine, wurden nämlich einfach neue Kredite aufgenommen, die die alten "rückzahlbar" machten. Oder man denke an das schöne "sale and lease back"-Verfahren, mit dem sich seit Jahrzehnten öffentliche Budgets elegant aus Liquiditätsengpässen halfen, indem sie öffentliche Anlagen (von den Straßenbahnwaggons über öffentliche Bäder und Kanalnetze etc. etc.) "verkauft haben", um sie gleichzeitig zurückzumieten, und dabei die allfälligen Einnahmen (also Gebühren, Eintrittsgelder, usw.) als Rückzahlung abtreten. 

Was in dreißig Jahren damit ist interessiert heute ohnehin noch niemanden, denn es pressiert ja immer, irgendeine Notsituation findet sich tatsächlich immer, die um des größeren Ganzen willen einen kleiner bewerteten Nachteil rechtfertigt. Etwa den, daß jede Investition, jedes Anlagegut seinen Neuanschaffungswert in der Zeit einspielen müßte, die sie besteht, sonst kann man (über laufende Sanierungen etc.) nicht einmal die Substanz erhalten. Das Schienennetz in England, das Straßennetz in Deutschland sind Beispiele dafür. Also muß man am Tag X, der notwendigen Erneuerung, wieder einen Kredit aufnehmen, um die Neuinvestition zu finanzieren.

Im Budget (einer vereinfachten Gewinn-und-Verlust-Rechnung) finden sich ohnehin nur die Zinsen, also die gerade realisierten und zu tätigenden Geldflüsse. Eine Kapitalbilanz gibt es für öffentliche Einrichtungen in Österreich nicht. Darum weiß in Wirklichkeit auch niemand so wirklich genau, wie es um heimische öffentliche Finanzen steht. Und in Zeiten, in denen die Zinsen sinken, wie seit einigen Jahren der Fall ist, und aus genau diesem Ursachenzusammenhang (sonst wäre 2008 fast jeder Staat Europas pleite gegangen, zumindest schwerstens erschüttert worden), ist fast jedes solcher Probleme der Geldbeschaffung ohnehin recht leicht zu lösen. Ein Anruf bei der EZB genügt, sozusagen. Dann erwirtschaften Staaten sogar einen Budgetüberschuß, über den sich alle freuen - und verschulden sich in Wahrheit noch weiter. 

Auch Bankenhilfen sind da ein gelungenes Beispiel ausgeklügeltster Finanzierungstechnik der Moderne. Der Staat half 2008 durch Stützungskredite, zugleich erhielt er Bankenanteile zum Pfand. Die Bank war also wieder liquide und gut kapitalisiert, und zwar so lange, als sie der Staat eben stützte, während sie umgekehrt für den Staat "Vermögen" darstellten, also für diesen keine "Ausgaben" nötig waren, WEIL sie eben vom Staat garantiert wurden. 

Die Rückzahlung dieser Stützen mußten oder durften sich die Banken dann eben bei den Kunden wiederholen. Was wiederum eine restriktivere Kreditpolitik seitens der Banken zur Folge hatte, die wiederum der Staat durch billige Kredite verhindern mußte, weil sie das BIP gesenkt hätte, also wurden höhere Spannen für die Banken etabliert, sich selbst ein Netz internationaler Solidarhaftung verordnet (ESM) damit Staatsgarantien nominell werthaltig blieben ... und so weiter, und so fort ... Auch das alles mündet übrigens irgendwann oder gleich in eine zumindest indirekte Steuer. 

Seit Jahrzehnten werden nirgendwo mehr Schulden aufgenommen, um absehbar zurückgezahlt zu werden

Daß Schulden aufgenommen und auch gleich wieder zurückgezahlt werden glaubt ja nur der einfache Maxi. Schon Unternehmer wissen es besser, die sich auf ausgefeiltere Finanzierungsmechanismen eingelassen haben. Sie wissen, daß Schuld nur dort und so lange ein Problem ist, als eine zukünftige Ertragskraft glaubwürdig dargestellt werden kann, in die auch irgendwann eine Schuldrückzahlung einberechnet ist. Da stört auch das eine oder andere Jahr mit Miesen in der GuV nicht wirklich, alles hat Gründe, udn wenn man die Gründe erkannt hat und gegensteuert, ist die Glaubwürdigkeit flugs wieder hergestellt, und weitere Kredite können fließen, um diese pure Liquiditätslücke zu schließen. Das kann oft sehr kompliziert werden, und manche Branchen (wie die Baubranche) sind da Weltmeister, dabei durchaus nicht verlogen, aber eben sehr findig, denn die müssen in der Regel mit enorm hohen Anteilen Fremdkapital arbeiten, viel vorfinanzieren, haben langfristige und auch noch bedingte Forderungsbestände, Haftungsrücklässe, Halbfertigwaren, verschiedene Rangbewertungen von Forderungen (etwa alleine im Spagat zwischen Privatkunden hier, Unternehmen als Lieferanten dort, mit unterschiedlichen Gesetzen und Usancen) usw., usf. Weshalb es bei Baukonkursen oft die größten Überraschungen gibt, denn ein Bauunternehmen kann aktiv und in Gewinnhoffung viel wert sein, und ist buchstäblich am nächsten Tag fast wertlos. Da kennt sich der VdZ (leider) ein wenig aus.

Wie hoch die Schulden Österreichs sind (also: Verpflichtungen, als bereits eingegangene Verpflichtungen, also Schulden und Steuern der Zukunft) weiß niemand so ganz genau. Es gibt verschiedene Hochrechnungen, Schätzungen, wenn-dann-Rechnungen. Die plausibelste ist, daß Österreich (und so gut wie jeder Staat Westeuropas) einen Verpflichtungs- (also: potentiellen, aber nicht aktualisierten Schulden-)Stand hat, der das DREIFACHE eines BIP ausmacht. Also drei Jahreseinkommen aller seiner Bewohner insgesamt ausmachen.

Wirkliche Rückzahlungen, die auch den Schuldenstand senkten, sodaß auch die obere Kurve wieder nach unten gehen bzw. flacher werden würde, würden eine tatsächliche Beschränkung der Ausgaben verlangen und damit den Aktionsradius der aktuellen Politik einschränken. Das hieße weniger öffentliche Investitionen, weniger Beamte, weniger Sozialausgaben usw. Nur hat die Politik dazu seit Jahrzehnten keinen Mut, und vermutlich auch gar keine Ideen, wie man das machen könnte, ohne gleich und radikal an die Wand zu fahren. Und vor allem lassen sich damit, so ihre Angst, keine Wahlen gewinnen. Die müssen sie aber gewinnen, weil der Staat ohne sie ja sowieso vor die Hunde geht.



Morgen Teil 3) Der Wettlauf zum Totalitarismus





***