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Mittwoch, 29. November 2017

So kann man manches auch sehen

Die Sichtweisen, die Victor Davis Hanson in "The Second World Wars" (sic! Kriege, nicht Krieg) sind scheinbar simpel, aber zumindest teilweise überraschend erhellend. Hanson meint, daß es für die Achsenmächte von Anfang an eine Selbstmordaktion war, sich sogar über Europa hinaus mit Volkswirtschaften auf Kriege einzulassen, die das eigene Bruttonationalprodukt um ein Vielfaches übertrafen. Selbst das Industriepotential der Sowjetunion war für Deutschland zu hoch, qualitativ wie quantitativ, wie sich dann ja auch herausstellte. Die deutschen Kriegsfeinde konnten noch dazu rasant lernen, der Krieg dauerte ausreichend lang, und schließlich - übertreffen. Das Ende 1945 war also von Anfang an vorhersehbar.*

Deutschland hatte, so der amerikanische Militärhistoriker, von Anfang an aber kein erkennbares Konzept, wie dieser Krieg überhaupt zu gewinnen sein sollte - es gab nicht einmal konkrete, realistische Pläne, wie man England niederwerfen und als Feind nachhaltig ausschalten könnte, das Ziel jedes Krieges! Und schon gar nicht solche Pläne gegenüber den USA, als man diesen den Krieg erklärte. Es gab etwa keinerlei technisch-militärische Mittel, die Volkswirtschaft der USA so zu schwächen, wie das umgekehrt möglich war, übrigens auch nicht seitens Japans. Deutschland hatte ja nicht einmal Flugzeugträger, die es für diese expansiven Kriegsengagements aber unbedingt gebraucht hätte. 

Von Anfang an trugen also diese Kriege stark irrationale Züge. Selbst die zweifellos deutlich überlegene Kampfkraft deutscher Truppen konnte das langfristig nicht ausgleichen (selbst an der Westfront gegen die Invasionstruppen kalkulierte der US-Militärstab mit einer Überlegenheit deutscher Kampfkraft von 1 : 1,7) Übrigens weist Hanson darauf hin, daß die wirklich guten Generale der USA in der zweiten Führungsreihe zu suchen waren, im Bereich der 2- und 3-Sterne-Generale wie Patton. Die oberste Heeresführung, die 5-Sterne-Generale, waren hingegen unfähige Bürokraten. Das sei bei Deutschland anders gewesen.

Außerdem ermangelte es den Achsenmächten einer auch nur annähernd gleichen Koordination, wie sie sich bei ihren Feinden sehr bald einstellte, die diese Schwächen ein wenig zumindest hätten kompensieren können (wie das im Falle Englands der Fall war, das alleine niemals den Krieg hätte gewinnen oder lange weiterführen können). Wo jeweils die einzelnen Länder Komponenten entwickelten und lieferten, die erst im Gesamtkonzert jene Überlegenheit an Material ergaben, die Deutschland dann auch verlieren ließ. Der amerikanische Sherman hatte eine Kanone montiert, die die Sowjetunion entwickelt hatte, usw. usf. Zwischen Deutschland und Japan gab es nicht annähernd eine solche Abstimmung.

Eine ähnliche Konzeptlosigkeit und Widersprüchlichkeit macht Hanson auch für die Kriegs"erfolge" der USA im 20. Jahrhundert verantwortlich. Die Amerikaner ermangeln, meint der US-Historiker, einfach einer gewissen Denksystematik. Sie wollen die Gesellschaften der Länder, die sie militärisch bekämpfen, verändern, ohne sich aber überlegt zu haben, daß sie den Feind ja erst einmal ausschalten, wirklich besiegen müssen. Stattdessen befreien sie die Feinde zu demokratisch-liberalen Werten und Meinungsfreiheit, damit diese sich dann von den Feinden niederschießen lassen können, denen sie mit diesen Werten wehrlos gegenüberstehen.

Die Amerikaner haben einfach einen wirklichen, sicheren Sieg gar nie abgewartet. Und damit alle Siege letztlich wieder aus der Hand gegeben und in Niederlagen verwandelt.

Warum übrigens der Buchtitel - KriegE statt Krieg? Zumindest bis 1941, sagt Hanson, war es ein rein europäischer Krieg, der im Grunde im Mai zu Ende war, weil es Deutschland gelungen war, das gesamte europäische Festland zu unterwerfen. Hitler hatte sogar angeblich bereits überlegt, eine Anzahl von Divisionen wieder aufzulösen. Selbst England war durch den U-Boot-Krieg wenigstens neutralisiert, wenn schon nicht besiegt. Über kurz oder lang hätte es zu Verhandlungen kommen müssen. Dieser Krieg war also bereits zu Ende und gewonnen, hätte Hitler nicht im Juni 1941 die Sowjetunion angegriffen. 

Dazu aber hatten die USA regelrecht eingeladen, weil sie sich stets für neutral erklärt hatten, was erst Hitler dazu verführte, sich nur noch Moskau als ernsthaftem Feind gegenüber zu sehen. Das änderte sich dann schlagartig mit Pearl Harbour. Und binnen dreier Jahre gelang es der US-Wirtschaft quasi aus dem Stand, die Rüstungsproduktion auf so gigantische Höhen zu treiben, daß jede Minute ein B17-Bomber, jede Stunde ein Schiff gebaut werden konnte. Diese enorme Leistung der Amerikaner wird gemeiniglich unterbewertet, so Hanson.

Der auf eine kleine Spitze hinweist: England (und die USA) waren ausgezogen, die Freiheit zu retten - ausgerechnet in der kommunistischen Sowjetunion? Die noch dazu einen Plan über das Kriegsende 1945 hinaus hatte. Denn anders als die USA hatte Moskau offenbar mit einem Kalten Krieg gerechnet, indem es sich auf die Produktion kleiner, handlicher Waffen - für die Guerilla - spezialisiert hatte: Gewehre oder Landminen etwa, die den USA durch Stellvertreterkriege noch lange große Schwierigkeiten machten.

Eine endgültig sehr amerikanische Sicht beweist Hanson freilich, wenn er darauf verweist, daß die USA den Propagandakrieg nach 1945 verloren hätten. Weil man ihnen die eine Million Ziviltote vorwirft, die die Niederwerfung Deutschlands durch die Bombardements deutscher Städte gekostet hatte. Niemand aber spricht davon, daß Deutschland und Japan jeweils 15 bis 20 Millionen Ziviltote (alleine 15 in Rußland) zu verantworten gehabt haben, und daß vier der fünf Millionen von 1939 bis 1945 gefallenen deutschen Soldaten durch die Sowjetunion zu verantworten waren, nur 1 Million durch die westlichen Alliierten**.

Niemand spricht davon? In den USA? In Europa? Hanson hätte sich auch mit der Nachkriegsgeschichte Deutschlands mehr befassen sollen. Dennoch haben seine sehr von nüchternen militärischen Gesichtspunkten geprägten Sichtweisen durchaus etwas Erhellendes.




*Man muß hier vielleicht darauf hinweisen, daß die deutsche Strategie seit dem 19. Jahrhundert ganz klar darauf ausgerichtet war, daß es nur einen kurzen, rasch und mobil geführten Offensiv- und Präventivkrieg, niemals aber einen längeren Mehrfrontenkrieg gewinnen konnte. Dazu war das Land einerseits zu klein, hatte also nicht die strategische Tiefe des Raumes, um Angriffe abzuwarten und dann zu reagieren, und anderseits war es zu schwach was Ressourcen an Mensch, Nahrung und Rohstoffen anbelangte. Der Konflikt Hitlers mit der Heeresleitung (Beck und andere) 1939 hatte sich daran entzündet, daß der deutsche Generalstab darauf hinwies, daß zumindest zu diesem Zeitpunkt so eine Kriegsstrategie mangels ausreichender Rüstung (es fehlte vor allem an der notwendigen Mobilität) nicht aufgehen würde und damit ein Krieg nicht gewinnbar war.  Das hat sich allerspätestens 1941 bewahrheitet.

**Neben anderen Schwächen und typisch amerikanischen Oberflächlichkeiten scheint Hanson 1945 zu zählen aufzuhören, sodaß die in alliierter Kriegsgefangenschaft ermordeten 3 bis 5 Millionen deutsche Soldaten (1 bis 2 Millionen durch USA und Frankreich, 2 bis 4 Millionen durch die Sowjetunion) unter den Tisch fallen läßt.





*081117*