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Freitag, 24. November 2017

Wenn das Warum ausgeht (1)

In Medien waren drei Meldungen aus völlig unterschiedlichem Umfeld zu finden, die aber eine Gemeinsamkeit haben, denen wir uns widmen wollen. Denn der VdZ las sie mit der Skepsis, ob die angeführten Zusammenhänge und Gründe tatsächlich so einfach zutreffen. So manche Erfahrung läßt auf einen gravierenden anderen Aspekt schließen.

Da ist zunächst einmal die Meldung, daß seit einigen Jahren (namentlich seit 2008, der großen Finanzkrise) in Italien ein bislang völlig neues Phänomen auftritt. Die Caritas Italiens berichtet, daß sich der Anteil der Jugendlichen und jungen Menschen unter den Hilfesuchenden drastisch erhöht hat und weiter erhöht. Erstmals tauche das Phänomen von jungen Menschen - Italienern - auf, die in "absoluter Armut" leben. Auf ganz Italien umgelegt, spricht man von 1,2 Millionen. Entscheidend sei, so die Caritas, "daß die jungen Menschen keine Möglichkeit mehr haben, ihre Zukunft und ein eigenes unabhängiges Leben zu planen." Bereits jetzt wandern jährlich 50.000 junge Italiener in der Hoffnung aus, daß es ihnen in einem anderen Land besser gehen werde. Zum erstenmal in der Geschichte Italiens ist die jüngere Generation auch die materiell ärmste.

Dann gibt es diesen Geheimdienstbericht, der jüngst veröffentlicht wurde. Der davor warnt, daß wir Europäer es ab dem Jahre 2030 mit bis zu einer Milliarde Wanderungswilligen zu tun haben werden. Die Gründe sind in allererster Linie wirtschaftlicher Art. Das Besondere daran ist, daß das Konzept der europäischen Politik, die meint, man könne diese Wanderungen abwehren, indem man beitrage, daß sich die wirtschaftliche Lage in den von dieser Abwanderung betroffenen Ländern bessere, sodaß die Menschen auch in ihrer Heimat Zukunftsperspektiven hätten, das genaue Gegenteil bewirken werde als man annimmt. Denn es sind nicht die wirklich Armen, die auswandern. Die können sich das gar nicht leisten. Es sind gerade die, denen es besser geht. Die brächten endlich die Mittel auf, ihr Land zu verlassen und sich woanders niederzulassen. Verbessert sich also die Wirtschaftslage in (vor allem afrikanischen) Ländern, wird der Strom der Auswandernden gewaltig anschwellen. Man spricht von 850 Millionen Afrikanern, die zur Jahrhundertmitte auswandern werden.

Und dann ist da noch ein dritter Bericht. Er handelt von Deutschland und spricht von der Frustration, die weite Teile der Bevölkerung beschlichen habe, weil sie erlebt habe und immer mehr erlebe, daß sich die Rechtsstaatlichkeit auflöse. Immer mehr Deutsche trauen dem Rechtsstaat und der Staatsführung nicht mehr zu, daß er sie gerecht vertrete. Zu oft hätten sie schon erlebt, daß sie angelogen würden, zu oft, daß ihre Interessen mehr ein störender Faktor als das eigentliche Objekt für die Politik sei. Sie fühlten sich in Deutschland als in einem Land, in dem keine Regeln und Gesetze mehr gälten. Stattdessen würden sie sich als Objekte einer Erziehungsabsicht erleben.

Was diese drei Berichte über alle Augenfälligkeiten hinaus wirklich eint? Es ist das Element der Sinnlosigkeit. Wenn dem VdZ nämlich schon lange etwas auffällt ist es genau dies: Die Menschen wissen nicht mehr, wozu sie auf der Welt sind, und was ihr Leben mit ihrem Land, ihrem Volk zu tun hat. Stattdessen tragen sie im wahrsten Wortsinn Bilder von etwas mit sich herum, das sie sich als Lebensversprechung vorstellen, das aber nie wirklich wird, weil werden kann. 

Es sind Vorstellungen von einem Leben, in denen jeder Hollywood-artige Zustände erwartet. Bilder von sich und seiner Zukunft hat, die das normale Leben niemals deckt. Es ist der Wahn, aus dem rein anthropologischen Befund, daß jeder Mensch "individuell" sei, darauf zu schließen, daß jeder zu etwas Besonderem, und zwar buchstäblich, also im Rahmen der Sozialordnung und deren Hierarchien berufen ist. Das betrifft über die social media längst nicht nur Europa oder den Westen, sondern die ganze Welt. 

Und hier sogar ganz besonders Afrika, wo es auf eine enorme Naivität trifft, sodaß die Vorstellungen der Afrikaner ganz besonders realitätsfern sind. Sie erleben über die Medien den Westen als etwas derartig Fremdes, Glänzendes, Fernes, daß sie ihre Träume mit so gut wie keinem Erfahrungswert mehr zusammenbringen können. Deshalb wirken Schlagworte besonders kräftig. 

Alle diese Vorstellungen können aber nur deshalb so mächtig werden und Prioritätsrang annehmen, weil die bisherigen (und natürlichen) Prioritäten immer schwächer wurden oder fast ganz fehlen. Und dabei spielt der Staat eine große, ja eine entscheidende Rolle. Denn es ist der Staat, der zu allererst eine Mission repräsentiert, die ein Volk, und über dieses dann das Individuum hat. Es ist die Identität eines Staates, in dem sich ein Volk zu einem Organismus zusammenbindet und -findet, der jedem seinen Platz zuweist und ihm implizit - nicht "behaupten", nicht explizit sagen, sondern indirekt, als realen Erfahrungswert - sagen muß, daß er genau dort gebraucht wird.

Tut das der Staat nicht, was vor allem eine Sache der Außenpolitik ist, über die sich ein Volk in seiner historischen Stellung erkennen können muß, werden sämtliche unteren Ebenen, von oben nach unten, aufgelöst. Das heißt, daß die über diese Gliederung passierende Konkretisierung und Spezifizierung der Aufgabe, die schließlich über die Familie bis in das einzelne Individuum wirkt, schlichtweg fehlt. Und sie ist nicht ersetzbar, auch nicht, wie oft getan, wird, über besondere Religiosität. Denn Religiosität ist zwar entscheidend, aber sie ist entscheidend, weil sie auf etwas Konkretes bezogen ist. Religiosität ist also das Aroma, die innere Qualität - einer konkreten Aufgabe. Wer die innere Haltung hat, sich ganz in eine Aufgabe hinzugeben, wird selbst als tief Religiöser dann und so gut wie immer scheitern, wenn er gar keine Aufgabe (die dann "Sendung" ist) sieht. Und diese Aufgabe ist zu allererst eine Frage der Identität.

Es geht also gar nicht so sehr um die "Möglichkeiten", auf die sich vor allem die beiden Berichte über materielle Zustände einzudicken versuchen. Es geht um Sinn, um real erfahrenen Sinn, und dieser erschließt sich über Identität. Die als definierte Beziehung, als Ort der zu anderen Orten in qualitativen Beziehungen steht, also als "Raum", auch die Aufgabe vorgibt. Erst dann läßt sich auch jeder Zustand als Herausforderung annehmen. 

Wir haben es heute also nicht einfach mit sozialen Mißständen zu tun. Wir haben es mit Heranwachsenden zu tun, die aus Identitätslosigkeit NULL BOCK haben, für sich keine Aufgabe mehr sehen, und zu bloß noch Vegetierenden werden, von denen die einen noch die Chance haben, ihre innere Leere durch Konsum scheinbar zu füllen, die anderen aber auch darauf pfeifen, und möglicherweise sogar aus dem richtigen Gefühl heraus pfeifen: Weil sie im Unwesentlichen keinen Sinn erkennen können.



Morgen Teil 2) Man muß auch hier ganz neu ansetzen




*211117*