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Samstag, 25. November 2017

Wenn das Warum ausgeht (2)

Teil 2) Man muß auch hier ganz neu ansetzen




Wenn aber wie heute alles Tun, alles Handeln ohne jeden Raumbezug gesehen wird, fehlt allem Tun und Handeln auch die Kraft zur Identitätsbildung. Identität wird aufgelöst, der Einzelne wird zur bloßen Funktion eines Apparats, der aber keinerlei regionalen, direkt menschlichen Bezug mehr hat. Persönliche Motive werden zu technischen "Werten", zu expliziten, verdinglichten Ideen.

Aber universalistische "Werte" werden zu gar keinen Werten mehr. Sie sind leer. Es gibt keine Liebe zu "allem", es gibt nur konkrete Liebe zu einem konkreten Menschen. Es gibt keinen Sinn "aus allem", sondern es gibt nur konkreten Sinn. Es gibt deshalb auch keine "Weltideen", die Identität stiften können, wie die einer "Weltrettung", sondern es gibt nur Ideen, die im Konkreten erfahrbar und real sind. Es gibt keine "allgemeine Menschlichkeit", sondern nur reale Menschlichkeit dem Vater, der Mutter, dem Nachbarn, dem Schulkameraden, dem Studienkommilitone gegenüber. 

Es gibt keine "Verantwortung für die Welt", sondern nur Verantwortung für den Baum vor der Haustüre und der Katze am Dach des Vorbaus. Und es gibt keine Verantwortung ohne den Aufruf, gebraucht zu werden und der erfolgt, indem man erfährt, wer man ist, also über Identität. Nur ALS JEMAND kann man somit Sinn erfahren, und das wird im Staat (dem "Vaterland") als verlängertes Element des Individuellen repräsentiert wie gegeben. Er stellt dar, was allen Einzelnen in ihm äußerste Schichte der Persönlichkeit war und ist. 

Damit grenzt sich Identität von jedem "Nationalismus" ab, der den Staat verabsolutiert und das Einzelne zu ersetzen sucht. Sie ist aber zugleich immer und zuerst "nationell", baut sich also auch nicht einfach "von unten" auf, sondern gibt "von oben" her den räumlichen Rahmen, in dem jedem dann - über den gestuften Aufbau - sein Ort und damit seine ganz spezifische, individuelle Identität zukommt.

Deshalb kann es sehr wohl einen Staat geben, in dem sich viele Ethnien zusammenfinden. Aber es kann nur ein Staat bleiben und sein, wenn alle diese Ethnien sich in der Räumlichkeit auch tatsächlich beheimatet wissen, der sie ihre Identität verdanken, die sie immer von Staatsbürgern angrenzender (bzw. anderer) Staaten unterscheiden muß.

Ein sie zusammenfassendes "Reich" kann nur bis zur Grenze der jeweiligen Staaten gehen, dort muß sie zum Stehen kommen. Ihre Agenda ist die schiedsrichterliche Regelung des Großraumes, innerhalb dessen jeder Staat und seine Bürger Identität haben. Was bis zur Zusammenschließung in Militärfragen gehen kann (und letztlich sogar soll), für den Fall, daß einmal der Großraum überhaupt bedroht sein sollte. Aber jedes Reich muß seine Mitglieder als individuelle Figuren behandeln, die zu nichts zu zwingen sind was ihre jeweilige Identität betrifft. Seine Aufgabe kann also nur höchst begrenzt sein, in der Aufgabe ebenso wie zeitlich, soweit sie zu erledigen ist. Das Reich ist kein "Super-Staat". Denn der Staat ist auch für das Individuum die Grenze der Persönlichkeit, bei der die Freiheit und damit die Verantwortung beginnt wie endet. 

Damit ist auch klar, daß so ein Reich, so ein übernationaler Zusammenschluß wie ihn die EU darstellt, niemals Identitätsstiftung leisten kann. Er ist prinzipiell unfähig, weil unzuständig, dem Einzelnen, dem Individuum einen Ort zuzuweisen. Und in diesem Ort die Identität, die Aufgabe, die Erfahrung, gebraucht und deshalb unabkömmlich zu sein. 

Und damit kommen wir zu den drei Berichten zurück. Denn sie alle sind Belege dafür, was heute weltweit schief geht, weil falsch gedacht wird, sich aber jeweils im Einzelnen als Sinnverlust - und das heißt: Ortsverlust! - ausdrückt. Es hat alle Menschen weltweit in eine Sinnlosigkeit gestürzt. Ohne Sinn aber fehlt den Menschen die Kraft, um ein Leben selbst in Schwierigkeiten aufzubauen. Ohne JEMAND zu sein, fehlt den Menschen die Kraft, im Begegnenden zu suchen, was es ALS JEMAND daran zu tun hätte. Denn nur dort läge und liegt auch das, was er nun an anderem Ort der Welt suchen möchte, wozu er also aufbricht.

Das "Europa der Vaterländer" ist also tatsächlich mehr als ein Schlagwort. Es ist der Schlüssel. Aber es kann nur Schlüssel sein, wenn sich die einzelnen Staaten ihrer Sendung im Raum wieder bewußt werden, und das heißt durchaus, sich neu abzugrenzen lernen, neu lernen, ihre Interessen in ihrem Raum zu begreifen und wahrzunehmen. Keine psycho-soziale Maßnahme oder Politik wird je fruchten, so lange das nicht passiert. Sie wird sogar das Gegenteil bewirken und den Menschen jeden Sinn, Europa damit endgültig seine Lebenskraft rauben. Der Zustand der Jugend, die mangels Sinn kein Interesse mehr hat, nicht weiß wer sie ist, was sie soll, ist dringende Mahnung dazu.

Auch Afrika wird wohl ganz neu durchgedacht werden müssen. Denn was diesem Kontinent vielfach fehlt ist, daß man die postkolonialen, oft brutal willkürlichen und von Interessen der ehemaligen Kolonialmächte beherrschten Konstrukte, die man einfach so dann "Staat" nannte, nicht durch die Behauptung ersetzen kann, es handele sich nun bei allen tatsächlich um einen identitätsstiftenden Staat. Viele der heutigen Staatsgebilde müssen vermutlich völlig neu gedacht und geformt, teilweise wohl auch aufgelöst und neu gegründet werden. Wo das nicht der Fall ist, muß sich Afrika aber in Reichen wiederfinden können. Nur in solchen neuen, aber diesmal naturrechtlich begründbaren Staaten aber kann jene Bindekraft entstehen, die die Afrikaner begreifen läßt, daß ihre Lebensaufgabe nur in ihrem Staat erfüllt werden kann. Weil sie dort eine Sendung im Raum haben, einen Ort, eine Identität, und damit ALS JEMAND dort gebraucht werden.




*211117*