In "How Green Was My Valley" hat der Regisseur John Ford eines jener - man möchte fast sagen: ultimativen - Meisterwerke geschaffen, für die jeder Künstler lebt und an welchem Punkt er seinen Pinsel aus der Hand legt, um auf den Tod zu warten. Denn mehr kann er nicht mehr sagen, er hat alles für ihn zu Sagende in ein Werk komprimiert.
Wer darin einen Widerspruch zu den übrigen Werken Fords erkennen möchte, hat Unrecht. Denn auch der Western, das "eigentliche Genre" durch das Fords berühmt wurde, ist verkannt, wenn man ihn nicht als Epos der Kulturwerdung eines Landes begreift. Wo der Westernheld aus einem chaotischen Gärkessel allmählich eine Gemeinschaft der Werte und des Rechts bilden will, in dem das Recht eben nur aus dem subjektiven Lebensgehalt stammen kann.
Recht und Ordnung, die in "How Green Was My Valley" aber schon in Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alten Lebensgemeinschaften Fleisch geworden ist, das nachkommendes Fleisch - junge Generationen - wie von selbst prägt und in dieselben Werte und Haltungen hineinerzieht. Nur darin utnerscheidet sich also der Western von diesem Film Fords - im Stadium des Rechts.
Eine gute Welt aber kann nur durch Opfer und Selbsthingabe erreicht werden. Und die Welt Ford's ist auch eine Welt, in der Gott selbst dieses Opfer verlangt, auf daß Leben, Schönheit und Größe wie Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit sie durchwese. Was wäre sonst lebenswert, was anders als eine Hölle?
Dort muß es erst entstehen, hier ist es bereits so verfestigt, daß es nahezu erstarrt ist und lebendiger Moral, gemütvollen Herzen zu eng wird, und sogar zerfällt. Insofern ist "How Green Was My Valley" also auch eine Verfallsstudie, und vielleicht ist dieser Aspekt des Rechts und der alle Moral gebärenden Lebensordnung auch Fords wesentlichste Intention gewesen, man könnte es für möglich halten. Amerika braucht erst Moral, Wales (stellvertretend für das "Alte Europa") hat sie noch, sie wird aber von der Neuen Zeit bedrängt, ja zerstört.
In einem breiten Gemälde wird in diesem Film Fords das Schicksal eines walisischen Landstrichs (schon die Notwendigkeit dieses Begriffs, um zu sagen was zu sagen ist, zeigt die Umfassendheit des Films) geschildert, der im späten 19. Jahrhundert die entscheidenden Umbrüche erlebt, die damals ganz Europa erfaßt hatten. In einer beachtlichen Leistung verwebt Ford ökonomische Veränderungen, gesellschaftliche Auswirkungen und die Wirkungen bis in die Familien zu einem ungemein detailreichen Gemälde.
Die Größe und Tiefe des Gesamtbildes beweist sich in der Tatsache, daß es kaum möglich ist, dieses gewaltige Epos auf einzelne Stränge zu reduzieren. Sie sind alle miteinander verbunden, und wie die Schöpfung selbst ist eines ohne das andere nicht zu denken, weil letztlich alles in einer einzigen Ordnung steht, die wiederum zwar nie irrational, aber durch den menschlichen Verstand nicht erschöpfend zu fassen ist.
Es geht deshalb nicht nur um die Zusammenhänge zwischen menschlicher Lebensweise, Famlie, Lebensordnung und Ökonomie, sondern nicht weniger um Gott, um Ehre, um menschliche Größe, und nicht zuletzt geht es um die Ebene des menschlichen Lebens selbst, das in tiefen Bewegtheiten, in Opfer und Leid, aber auch in unbändiger Freude und Lebenslust west.
Ausgangspunkt ist die Geschichte einer Familie, deren entscheidende Jahre, in denen sich "alles verändert hat", ein Mann in der Erinnerung an einige Jugendjahre rekapitulieren läßt. Die wiederum - wie es eben wirklich ist - mit dem Schicksal eines gesamten Dorfes verflochten ist, das "seit immer" von einem Kohlebergwerk lebt.
Es gab leidlichen Wohlstand, alle hatten zu essen, und wenn auch die Arbeit hart war (und der Berg auch immer wieder seine Opfer von den Menschen forderte, weil Bergbau nie völlig berechenbar ist, auch heute noch nicht) war der Menschenschlag gerade, offen, ehrlich, und an den menschlichen Wechselfällen gehärtet. Wenn es auch heute vergessen scheint, so ersprießt aber genau aus dieser Kantigkeit des Lebens erst wirkliche, unverfälschte Lebensfreude, die in diesem Fall sogar zu einem beachtlichen Chor gipfelt, der es bis zum Konzert vor dem König in Windsor Castle schafft.
Alleine dieses Ereignis, die Art, wie es im Ort rezipiert wird, zeigt, wie organisch das Leben einer kleinen Gemeinde, die durch das abgeschlossene Tal und die gemeinsame Lebensart wie (nein, WEIL müßte man sagen) auch einende Wirtschaft zu diesem ganz eigenem Menschenschlag geführt hat. Die Sitten sind alt und fest verankert, gewiß dabei auch oft grausam und eng. Der neue Pastor - er wird zu einem Angelpunkt im Film - kämpft einen fast vergeblichen Kampf gegen Verbohrtheit und brutaler Härte im Umgang mit Abweichungen.
Denn es dürfte sich um eine calvinistisch-puritanische, auf jeden Fall reformiert-protestantische Dominion handeln, das wird nie so richtig ersichtlich Ich schließe es aus der Gestaltung der Kirche, die das moralische und damit jedes Alltagsrecht bildende Herz des gesamten Ortes ist. Wie wahr auch das, heute nicht weniger als früher. Nur ist es nicht mehr so eindeutig erkennbar. Die heutigen Kultzentren, aus denen die Moral erwächst, sind heimtückischer, okkulter, verschlagener, und um Vieles verlogener.
Es zeichnet die Wahrhaftigkeit des Gemäldes von Ford aus, daß er dabei die Religionsgemeinschaft selbst als Moralgesellschaft portraitiert. Kult in dem Sinn gibt es dort nicht, die Botschaft Gottes ist eine einzige Morallehre.
Wer ein lebensvolles, offenes Herz hat, wer liebt, gerät deshalb sehr rasch in offenen Konflikt mit einer sich sehr rasch als "besser" erlebten Gesellschaft, die vom gottlosen Reichen eigentlich nichts mehr unterscheidet.
Eine solche Gemeinde verstößt schließlich sogar ihren Prediger, weil er ihrer Moral (angeblich, er wird per Gerücht verleumdet) nicht genügt.
Und wie jede Welt, die geordnet ist und deshalb "funktioniert", steht sie auf dem Fundamemt der auf so geheimnisvolle, großartige Weise hierarchisch geordenten, und doch wieder so gleichmütigen Polarität von Vater und Mutter. Wobei der Leitstern des Lebens - der geistig sein muß - im Vater in die Welt scheint. Als dem Idealbild von Größe, Ehre, Rechtschaffenheit, wie sie "im Tal", bei den einfachen Menschen herrscht. Deren Leben nicht leicht ist, und wo das Leid oft genug zuschlägt, weil dss Leben so ist.
Es ist ein ganzes Bündel an Botschaften, die der Vater seinen fünf Söhnen (und der Tochter, vor allem der Tochter) mitgibt. Es ist diese väterliche Grammatik, in der sich das Leben strukturiert, und in der doch die Frau die entscheidende Rolle spielt, die dem Mann erst den Boden gibt, auf dem er Herr sein kann.
Ford zeigt dabei vor allem aber auch, wie sehr dieses rechtschaffene, große Leben sich in den Kleinen, den Einfachen, den Armen sogar finden läßt. Nichtr weniger wie die Lebensfreude, die Festeslust, die fröhliche Ausgelassenheit. Die Reichen - in der Gestalt der Familie der Grubenbesitzer - bieten dagegen ein klägliches Bild. Der einfache Arbeiter (gewiß, ein Vorarbeiter mit hohem Einfluß auf die übrigen Kumpel) nötigt ihm einen Respekt ab, dem sich der Reiche auch mit viel Geld nicht entziehen kann. (Nur dessen Sohn tut es, und dieser "Erbe" führt auch die Tochter ins tief menschliche Unglück.)
Im Grubenbesitzer steht dennoch die Macht, mit ein paar "kleinen" Entscheidungen das Schicksal der hunderten Menschen des Tales zu verändern. Der große Umbruch im Leben der Menschen dort hat deshalb seinen Ausgangspunkt in einem Umschlag in den Geschäftspraktiken des Reichen. Die Arbeiter - selbst in einer intensive Lebens- und Wertegemeinschaft miteinander verbunden - sehen den Grubenbesitzer noch immer als Teil ihres Lebensganzen, als dieser bereits begonnen hat, diese Solidarität zu mißbrauchen.
Morgen Teil 2) Die Einheit der Welt zerbricht
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Erstellung 03. November 2022 - Ein Beitrag zur