Was aber, schreibt Leser G, unterscheidet die hier ausgerufene "Lust am Leben" vom Hedonismus dieser Zeit? Die Frage ist berechtigt, guter G, wir werden deshalb weiter präszisieren, was mit diesem Aufruf, das Leben zurückzuholen, näherhin gemeint ist.
Natürlich keineswegs als Aufruf zum Hedonismus. Der Hedonismus unterscheidet sich von dem hier Gemeinten dadurch, daß er alles Glück des Lebens, ja das Leben selbst INNERHALB und NUR VON der Schöpfung und den Dingen verlangt. Aber darin bleibt er auch unerfüllt und führt deshalb aus sich heraus zu einem Drang nach Steigerung, nach einem "immer mehr". Das zeigt, daß es der rein irdisch gedachten Lebenslust an einem entscheidenden Punkt fehlt.
Dadurch erkennt (und umso mehr also liebt), und es schließlich OHNE ES ZU ZERSTÖREN, sondern durch hereinholende Überhöhung in ein dem Materialen DADURCH mögliches, aber durch das Mächtigere (=Geistige) implementierte, über es verhängte Gestalthafte formt.
Ja, richtig, Gestalt ist immer eine Form von Gewalt, von Staat, von Ordnungsgesetz, eins in allem also. Das Heilige ist so besehen das Gewaltsamste, das denkbar ist!
Das wie jede Gestalt nur aus EINER Gestalt stammt. Jener Gestalt, in der alle Gestalten enthalten sind, somit in der Linie Mensch - Gottmensch, Schlußstein wie Fundament der Schöpfung. IHS.
Er kann was zu schaffen er beabsichtigt aber nicht fern vom Material bilden, sondern muß der Natur des Materials folgen. Der Holzschnitzer dem Astverlauf, der Bildhauer der inneren Struktur des Steines, der Komponist der Natur der Spannungsverhältnisse in den Klängen der Dinge selbst, der Schriftsteller der Grammatik des Geistes, der Architekt den Gesetzen der Statik, und so weiter.
Dazu aber müssen sie alle ihr Material gut kennen! Gleichermaßen aber dürfen sie sich nicht an ihr Material verlieren, weil aus dem Material selbst KEINE FORM ersteigt, die sie selbst übertrifft, also in ein Höheres einbindet - in eine Idee, in den Geist.
Also muß der Künstler sich einerseits das Material aneignen, um dann anderseits seine geistige Form darein prägen zu können.
Die Lust am Leben ist also kein Immanentismus, der sich mit den Gesetzen und Eigenschaften der Welt begnügt! Sondern sie ist ein Erwandern des Materials, um die darin enthaltene Grammatik Gottes zu erkennen - meinetwegen nenne man das Wissenschaft - um sie dann dem Geist ganz anzubieten. Auf daß er sie besetze, begatte, sie sich aneigne (anforme), und so zeuge, die Frucht aus sich bringe.
Dennoch liegt in der Hingabe ans Material auch eine wichtige Botschaft. Denn wenn sich der Mensch ganz innig dem Material widmet, wenn er ganz offenen Herzens auf es hört, so hört er auch, daß es sich selbst nicht genügt! Dann hört, sieht, fühlt der Künstler (und in gewissem Sinn ist jeder Mensch tatsächlich Künstler - der Ruf nach Heiligkeit ist ein Ruf, Künstler ZU WERDEN. Somit ist das allgemeine Künstlertum der Menschen ein anzustrebender Endzustand, nicht als Profession selbst.
Wenn sich also der Künstler ganz dem Material hingibt, und wenn er geistig-seelisch ausreichend gereift (also dem bloß irdisch-impotenten gestorben) ist, dann erkennt er diese Notwendigkeit, dieses Fehlen am Material. Wie bei allem Feststellen des Mangels reagiert das reife Herz darauf mit dem Drang, das Fehlende zu ergänzen. Und das ist nunmehr die Hebung der Materia in die Gesamtheit des göttlichen Schöpfungsraumes, und das heißt: Er verbindet das Material mit dem Geistigen. Das er nun, durch die Form, in die Materia haucht.
Diese Berührung des Ewigen mit dem Zeitigen, die dadurch geschieht, ist selbst kaum zeitlich zu nennen. Wenn man Andy Warhol den Spruch nachsagt, daß jedem Menschen seine 15 Minuten Ruhm gewährt werden, dann interpretiere ich diesen Satz weiter, und anders. Denn die Summe der Momente dieser Liebesumarmungen des Zeitlosen mit dem Zeitigen ist im Laufe eines Menschenlebens kaum erwähnenswert - und die Kabalah spricht von "einer Viertelstunde echter Lebensmomente".
Es ist freilich nicht einmal das. Aber es zeigt, daß der allerallerüberwiegende Teil des Lebens ein "Weg" ist, eine Pilgerfahrt zu den wenigen wenigen Momente, wo der Himmel wirklich in die Erde einbricht, und die Zeit des rein Weltimmanenten durchbricht, auflöst.
Nicht Hingabe an die Weltiammennz ist also des Menschen Aufgabe, sondern durch Hingabe ans Materiale soll er sehen, was der von Gott durch die Sünde losgerissenen Schöpfung fehlt - und das ist der Geist, der sich im Menschen mit dem Materialen der Schöprung verbindet. Die Welt also ins Innertrinitarische Leben Gottes MIT HINEIN HOLT.
Das erst gibt die wahre Lust am Leben, werter G, und ich glaube, daß jeder, der ehrlich genug zu sich ist, das sogar ganz real erfährt.
Nachsatz: Wer meinen Roman "Helena" liest, wird ihn erst verstehen, wenn er das verstanden hat. Denn gerade durch die (von manchen "Frommen" kritisierten "freizügigen" oder "libertinen Stellen") sollte gezeigt werden, was am Ende der Reise DURCH DIE INNENWELT DER MATERIA übrigbleibt, leer und schal ist. Deshalb muß man vor der Welt der Materia keine Scheu haben, ja im Gegenteil, ist aufgerufen, sich ihr frei zu stellen, ohne Angst, daß sie einen überwältigen könne - WENN man denn selber fest eingebunden in den Geist bleibt. Weil wo immer man das Glück in der Welt selbst sucht, wird man am Ende entselbstet und entwürdigt (das Schicksal Helena's!) übrigbleiben.
Auf daß die Materia der Welt in eine Gestalt übergeführt wird, die der Ordnung und Vorsehung Gottes entspricht, und also zu jener Bestimmung kommt, die der Schöpfung eingeschrieben ist: Als ohnentwegte Begegnung von Gestalten, die ihr Sein einander mitteilen, und so die Schöpfung ALS GANZES in ihrer ständigen Bewegtheit und Dynamik der Begegnung vor die Augen Gottes, des Seins und des Vaters, stellen, der ebenfalls in sich Begegnung und Dynamik ist.
Im Akt selbst, im Selbstvollzug der Materialen selbst, ist also keineswegs Glück enthalten. Die Materia muß erst - durch den Menschen - zum Glück GEMACHT werden. Der "wertfreie" Selbstvollzug der Materia ist vielmehr nur dem Mangel an menschlicher (als Ebenbild Gottes damit "göttlich-schattenhafter") Ordnung, die er der Materia einprägt, zuzuschreiben.
DAS ist der wahre Argumentationssatz auch gegen die heute so verbreitete Fehlauffassung, in der Sexualität selbst liege Freiheit und Erfüllung. Die derartig dicht unsere Köpfe umspannt hat, daß es nur wenigen auffällt, daß die ständige Frustration, die daraus erwächst, nur durch ein noch dichteres Feld der Schuldzuweisung an irgendwas oder irgendjemanden entschuldigbar wird.
Hat man das aber einmal erkannt, dann begreift man, daß auch dieser so extrem intensive (weil er auf den Seinserhalt zielt!) Akt des Menschen nach einem Namen schreit, soll er auch zum ganzheitlichen Glück des Menschen führen. Und dieser Name drückt sich im Fall der Sexualität durch den Ehe-Namen aus - als nunmehr beide, Mann und Frau umgebendes, umformendes, zum Heilsamen formendes Wort des Geistes.
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Erstellung 06. November 2022 - Ein Beitrag zur