Wieder einmal bin ich an dem Punkt angelagt, mich zu fragen, wie es mit diesem Blog weitergehen soll; worum es gehen soll, wenn ich es weiterführe. Gerade der Abschluß des Jahres (der mit dem Christkönigssonntag begangen wird) konfrontiert mich erneut mit der Frage, was denn das wirklich Wirkliche ist, um das es geht. Das zu suchen war immer das, worum es mir ging. Und jeder Halbschritt, jedes Schürfen ließ mich noch mehr an die Tatsache stoßen, daß es noch tiefer, noch weiter zu gehen habe. Daß alles das nur Vorstadien sind, die ich da zutage fördere.
Zugleich wird die Einsicht immer stärker, daß wir uns (auch an dieser Stelle noch immer) zu sehr wie Zuschauer verhalten, die in der Pause eines Stücks, bei Sekt, Cola und ein paar Häppchen, den Raum mit Geplappere füllen, wie es auf der Bühne weitergehen wird. So dicht ist diese Atmosphäre, daß wir aus dem Theater gar nicht mehr hinausgehen wollen, und uns dort schon regelrecht eingerichtet haben, von Pause zu Pause leben, um uns zu laben, und so zu tun, als wäre das, was wir tun Leben, Gespräch, Kommuniktion, und vor allem - der Sinn unseres eigenen Lebens.
Indem wir uns gegenseitig ermahnen und in einer Sphäre halten, in der wir so tun, als wären wir Teil des Bühnengeschehens, und uns die Regisseure des Stücks geschickt dazu laviert haben, uns einzureden, daß wir uns irgendwie in das Bühnengeschehen einzubringen hätten, und mitbestimmen können, wie es vorangeht. Was wir sogar tun, und siehe da - Akt für Akt wiederholt sich das Geschehen auf der Bühne, und niemandem fällt auf, daß alles erstarrt ist und nichts vorangeht. Nur die Spekultionen bleiben am Leben, was es denn sei, das da geschähe, denn das müsse auf jeden Fall bedeutsam sein.
In dieser Phase hat mich die Lektüre des Romans "Krass" von Martin Mosebach noch weiter erschüttert. Weil es dort um Menschen geht, um ganz "normale" Lebensvorgänge, in denen sich ohnehin das große Ganze des Weltgeschehens, des Zustands unserer Kultur erkennen läßt und ausdrückt. In den Charakteren, in den Persönlichkeiten, die dort wesen und leben. als ginge es nur darum - zu leben.
Mit einem Mal aber fand ich Parallelen zu einem scheinbar so anderen Werk, für das übrigens Alexander Solschenizyn durchaus auch kritisiert worden ist, nämlich "Ein Tag im Leben des Ivan Denissowisch". Zwar ist das Buch (wie bei Nobelpreisen immer üblicher wurde, und heute Generallinie zu sein scheint) als Waffe im Theater des Kalten Krieges schwerstens mißbraucht worden, aber Solschenizyn hat es gar nicht so gemeint.
Es war aber KEINE (oder nicht vordergründige, nur immanent MIT zu sehende) Anklage gegen den Sowjet-Gulag (den Solschenizyn in seinen drei Bänden "Archipel GULAG" mit dem Seziermesser aufgeschnitten hat, sodaß auch das rein technische Innere sichtbar wurde), gegen die Grausamkeit des Kommunsimus und überhaupt jeder Utopie, sondern der Russe hat sich darin mit etwas befaßt, das für den Menschen im Westen, der längst zum Korpuskel in einem medial betriebenen Weltersatzgewitter geworden ist (oder dorthin unterwegs war, was heute in einem Stadium ist, das kaum zu überbieten scheint) kaum faßbar war.
Daß es den Menschen in diesen Lagern nämlich immer noch ums Leben ging! Daß all das offizielle Getöse, all die Strukturen, all die Organisationen nur eine oberflächliche Überlagerung des eigentlichen Lebenskerns des Menschen waren und sind.
Ja, gewiß, die großen Strukturen spielen herein, sicher ist die Ideologie in einer gewissen Bedeutung, aber eigentlich ...? Eigentlich ist das eigentliche Material des Lebens aus Fleisch und Blut, als wäre es völlig unbedeutend, ob das Äußere nun ein Gulag ist, oder eine Gesellschaft von Geschäftsleuten, die in Rumpelstätten an der Aller einen Betrtieb für Krumpnüßkrapfen betreiben.
Der "Ivan Denissoeitsch" erinnert mich darin sogar an ein vierzig Jahre zuvor geschriebenes Werk des schon in den 1930ern in den Westen geflohenen Iwan Solonewitsch, das unter dem Titel "Die Verlorenen" nicht anders als der "Denissowitsch" als ideologsiche Waffe mißbraucht worden ist. Auch in diesem Buch geht es um eine ähnliche Entdeckung - daß dieses ganze grausame System zutiefst aus menschlichem Material gestrickt ist, das sich darin verloren hat und das es in Wahrheit trägt.
Oh ja, alle diese Systeme sind in gewaltige Wortmeere getunkt, und überschütten jeden, der sich ihnen nur nähert, um alles zu ersäufen. Aber bei genauerem Besehen bleibt mit einem Mal die überraschende Erkenntnis, wie alle diese Kostüme nur eine Poremkinsche Fassade aufrecht halten sollen, der alle bestätigen, daß es NUR DARUM geht - und dahinter aber etwas ganz anderes stecke.
Ein Mensch, mit seinen ganz normalen Motiven und Fragen und Unsicherheiten, Prahlereien, Niedrigkeiten wie Größen, Lebenslust und Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Kindern und einem schönen Leben im Häuschen am Stadtrand. Und wenn auch der Kappelträger nach Paragraphen jappst, so geht es ihm doch nur darum einen Weg zu finden, dem Zusammengestauchten ein Glas von dessen Wodka abzuluchsen. *
Und noch ein Werk kommt mir dazu in den Sinn, und das ist das Buch von Viktor Frankl "Trotzdem Ja zum Leben sagen." Wo er sagt "Sinn kann man nicht machen, den kann man nur finden, es muß ihn also als allem vorläufig GEBEN."
Ganz anders als die bereits erwähnten Bücher, gewiß, aber der Wiener (der aus seinen Erkenntnissen das Material zog, von dem er nach 1945 als Psychiater lebte) stößt in seinen Erfahrungen in Auschwitz auf dieselbe Weieheit.
Auch Frankl hat damit eine Reaktion ungläubigen Staunens ausgelöst, auch dieses Buch wurde natürlich massenhaft mißbraucht. Aber auch Frankl hat keine Anklageschrift verfaßt, nicht einmal zu den Nazi-KZs, die er durchlaufen hatte, sondern Frankl hat entdeckt, was in der Form des sich selbst initiierenden, alles sonst überlagern wollenden Horrors zwar eine Entmenschung auferlegen wollte (und zwar dem Personal ebenso (!) wie den Häftlingen, was auch zu weit überwiegendem Teil gelungen ist), daß aber das eigentlich Tragende für alle etwas anderes ist. Sogar inmitten dieser Schrecken ein "Leben als Mensch" (und nur das ist ein Leben) möglich gibt es etwas anderes, das das Leben trägt, ja überhaupt erst Leben ist.
Was eint alle diese Botschaften, alle diese Werke? Es ist die Erkenntnis, daß egal was auch immer in der "großen Welt" behauptet wird, daß nun GESCHÄHE, das eigentliche Geschehen des Menschzen nur einen Namen hat - LEBEN. Nur wo das vergessen wird (und das wird es wie gesagt meist und sehr rasch), wird auch das Leben im eigentlichen Sinn unmenschlich weil zu keinem Menschenleben mehr. Und AB DA zerbrechen die Menschen, und DORT dekompositioniert sich bei allen das Leben erst.
ABER (und das wurde oft sogar empört registriert) es wäre nicht notwendig gewesen! Vielmehr haben die Opfer (und ich rechne uns heutigen Medienanhängsel dazu, ich vergleiche den gegenwärtigen Menschen IM WESTEN mit Lagerinsaßen, zu auffällig sind die Parallelen, bis hin zu den Parolen, den Moralsätzen, die zynisch über das Geschehen gehängt werden, bis zum Verhalten der Organisatoren - auch wenn sich das Äußere scheinbar völlig anders zeigt) blitzartig die Kommandos der Bedrücker übernommen. Und schlagartig begonnen in einem Kontext zu denken und zu reden, der ihnen auferlegt wurde.
Was in allen diesen Büchern aber erkannt werden kann ist, daß praktisch gleichgütltig, was das äußere Großsystem behauptet, das Leben höchst kleinteilig bleibt. Daß es sogar in allen diesen Greueln nur darum ginge, von Mensch zu Mensch zu stehen, und trotz allem menschlich zu handeln.
Denn DAS ist dann das, was Frankl mit SINN bezeichnet, und solange die Menchen in diesem Sinnzusammenhang bleiben, den ihnen in Wahrheit NIEMALS JEMAND NEHMEN könnte, auch das Leben zwar bedrückt, schwer, der Magen oft leer, die Arbeitslast unerträglich und brutal ist, dennoch BLEIBT. Selbst in den Baracken, selbst unter widrigsten Umständen kann dem Memchen seine wahre Würde und Größe niemals genommen werden.
Das ist mehr als eine Idee, das ist weit mehr als eine Ideologie, das ist schon gar kein Moralprogramm, das so irgendwie eine menschliche Gesellschaft simulieren läßt und deshalb "nützlich" ist. Der Nutzen, den das hat, ist in Wahrheit die Rückführung des eigenen Lebens auf das, was es generiert, was es immer gestaltbar macht, und was auf eine wirkliche Wirklichkeit zurückgeht, die der Schöpfung überhaupt zugrunde liegt - SINN.
Am gerade vergangenen Christkönigssonntag steht genau das im Mittelpunkt. Als Jesus in schwerstem Leiden am Kreuz hängt, und eine Aufforderung nach der anderen (gewollt zynisch und bösartig) den König der Welt dazu auffordert, seine Macht doch ZU BEWEISEN. Vom Kreuz zu steigen, das angekündigte Reich Gottes (also sein Reich) real werden zu lassen. Sogar von einem der mit ihm Gekreuzigten kommt diese Häme. Doch da besinnt sich der andere. Und mitten in dieser unüberbietbaren Lebensqual ergreift er den Sinn. Den Gott auch prompt beantwortet: Noch heute wirst Du mit mir im Paradies sein. Von einem Gott und Mensch gesagt, der selbst diesem Sinn treu geblieben ist, so sehr man ihn ihm auch ausprügeln hatte wollen.
Natürlich ist das die drastischeste Konstellation dessen, was ich hier andeuten will. Wenn wir unsere eigene Situation ansehen, dann werden wir nicht von Nägeln in den Händen gequält, und unsere Haut ist nicht von hunderten Foltermalen gezeichnet.
Aber es ist dieselbe Irrelevanz, in der wir zunehmend leben, als Zweitwirklichkeit, in der wir alle uns durch viel Schmeichelei und Zuckerstückchen arrangiert haben. In der uns aber das eigentliche Leben ganz heimlich aus der Hand genommen wurde.
Morgen Teil 2) Wer zu retten versucht, wird verlieren
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Erstellung 21. November 2022 - Ein Beitrag zur