Dieses Blog durchsuchen

Montag, 4. November 2019

Warum Clinton die Wahl verlor (1)

In diesem Gespräch von Douglas Murray mit Jordan Peterson stellt letzterer die Frage, wie es sein kann, daß die Trump-Wähler als Rechts, als Extrem-Rechte (Alt-Right) und verdummte Masse dargestellt werden. Denn in der Wahl 2016 hat sich nichts anders gezeigt als seit vielen Jahrzehnten in den USA der Fall ist: Demokraten und Republikaner stehen sich mit je fast genau 50 Prozent gegenüber.

Peterson meint, daß er mit vielen gesprochen hätte, die Trump gewählt hatten. Sie meinten allesamt, daß sie es weniger wegen seines überzeugenden Programms getan hatten, sondern sie nahmen dieses gewisse Risiko, ihn zu wählen in Kauf, um Hillary Clinton mit ihrer Ansage, Identitätspolitik zu ihrer Haupt-Regierungsagenda zu machen, nicht zu wählen. Clinton hat sich also selbst geschlagen, indem sie einfach aufs falsche Pferd gesetzt hat. Sie hätte wenige Wochen vor der Wahl nur noch 70.000 Stimmen gebraucht, aber die hat sie mit ihrem radikalen Schwenk zur Identitätspolitik verfehlt, ja viele dazu bewogen, sie eben doch nicht zu wählen, oder wieder zur Wahl zu gehen und gegen sie zu stimmen.

Generell meint Peterson, daß Rechte wie Linke die gleichen Fehler machen. Dennoch sieht er die Linke gefährlicher, weil sie es geschafft hat, mit ihrer Ideologie das intellektuelle Klima (besonders und ausgehend von den Universitäten) in den USA zu beherrschen. Insofern ist sie klar identifizierbar. Was hingegen ein Rechter ("Alt-Right") sein soll, ist für Peterson gar nicht klar. Daß die Mär, daß jeder Trump-Wähler ein gefährlicher, extremer Rechter sein soll, nicht stimmen kann, liegt aber auf der Hand. Das unterscheidet die amerikanische Rechte freilich von der europäischen Rechten, die aufgrund einer viel dramatischeren Einwanderungsproblematik eine deutlichere Akzentuierung ethnischer Fragen aufweist.

Mehr als Identitätspolitik aber haben die Demokraten offensichtlich aber gar nicht zu bieten. Entweder das - oder nichts, das war und ist ihr Programm. Die Kriminalisierung und Verächtlichmachung der "Nicht-Demokraten" ist eine hilflose Ersatzthese, die der Linken vormachen soll, daß sie einen fundamentalen Fehler in ihren Sichtweisen haben: Sie stehen gegen die Vernunft, gegen die Lebensführung des Großteils der Bevölkerung. Und wer ihnen folgt muß (Murray sagt das an anderer Stelle einmal deutlicher) bereit sein, an etwas zu glauben, an das er eigentlich gar nicht glaubt, das gegen jeden Augenschein, jede Tatsache, jede Evidenz steht. Er muß sogar bereit sein, die Grundlagen der Vernunft, wie sie bislang bestanden haben, und zwar seit Anbeginn der Menschheit, über Bord zu werfen, um einem neuen Glaubenssystem beizutreten, das nur noch durch religiöse, moralische Ansprüche rechtfertigbar ist.

Worin aber Rechte und Linke sich so ähneln? Die Rechte spezialisiert sich mehr und mehr ebenfalls auf eine Identitätspolitik, nur ist sie diesmal die Politik der "Weißen". Es stehen sich also nur zwei unterschiedliche Konzepte gegenüber, welche Identitätspolitik die bessere ist. Hier zeigt sich freilich wieder, das Peterson Liberaler ist: Er setzt auf extremen Individualismus, der keine Gruppenidentität kennt und kennen darf. Das ist anthropologisch falsch gedacht und Petersons Evolutionismus geschuldet, der immer "von unten nach oben", vom Einzelnen auf ein eventuelles Ganzes hin, das so zur reinen posthoc-Beschreibung wird, denkt. Aber der Einzelne ist immer und zuerst Gruppenmitglied, nur als solches sogar Mensch, der als "Mit-Mensch" in einer Einheit lebt (und sei es die Familie), und Individualität ist lediglich die von Zeit und Ort abhängige Spielform dieser Identität.

Menschsein heißt somit, Artgenosse von Menschen zu sein, die dadurch existieren, daß sie sich durch Individualisierung (weil immer an einem Ort, in Raum und Zeit) zu Gruppenmitgliedern machen. Man könnte sogar so weit gehen und sagen: Individualisierung gelingt erst durch Selbstüberschreitung auf eine Gruppe hin.

Wo diese Selbstüberschreitung nicht gelingt, bleibt der Mensch Teil einer amorphen Masse. Deshalb hat der Kanadier auch Angst vor jeder Form von "Stammesdenken", das er darin sieht und das den Einzelnen an seiner Individualität hindern soll: Er verweigert sich der Selbstüberschreitung.

Identität und Individualität konstituiert sich somit für ihn aus "Fähigkeiten", die er technisch-funktional und abstrakt sieht. Sodaß sich daraus auch eine technisch-funktional konstituierte Gesellschaft ergibt. Die jede Hierarchie (und Peterson vertritt an sich Hierarchie als Ordnungsfaktor) rein aus den Fähigkeiten ableitet.

Aber er übersieht dabei gefließentlich, daß es keine neutralen Fähigkeiten gibt, sondern daß sich das, was als "fähig" oder "tauglich" zeigt, immer auf einen Ort in einer Gesellschaft bezieht, den jemand auszufüllen vermag. Also - auf Identität und verbindliche Einbindung in eine Gruppe. Identität und Individualität wird von außen gesetzt, durch Beauftragung - und Annahme des Auftrags, einen Ort auszufüllen.

Auch hier spielt Peterson also der Evolutionismus einen gehörigen Streich, der ja so eine technische Funktionalität als einzigen Sinn einer Gesellschaft sehen kann, und Prioritäten nur aus Lust/Unlust, aus reinen Überlebensmerkmalen und dem Fortschritt darin ableitet. Aber auch das hat seine Gewichtung bereits aus anderen Regionen bezogen. Eine funktionale Hierarchie kann es nur geben, wenn klar ist, WIE eine Gesellschaft aussehen soll (und in diesem Aussehen funktioniert). Soll. Als Bild, in dem man als Pinselstrich eingesetzt wird.*

Peterson hat nun den Vorbehalt, daß sich aus einer Gemeinsamkeit von Eigenschaften (Fähigkeiten wie IQ) Gruppenmerkmale ableiten könnten, die die Menschheit in Gruppen zerfallen lassen könnten, wo in jedem Fall die Stellung des Einzelnen durch die Gruppe gegenüber anderen Gruppen (Ethnien) vorgegeben ist. Wie das zu verhindern sei, weiß er freilich nicht.

Als Evolutionist stellt Peterson also nicht die letzten Fragen, sondern hört irgendwo im Schildkrötenturm auf damit, wenn er meint, es sei weit genug gegangen.

Daß sich die Frage um den IQ (Intelligenz) als Resultat erblicher Faktoren nahelegt; eine Sichtweise, die übrigens selbst Peterson zu guten Teilen propagiert hat, (wobei er auch das nicht sehen will), hat für ihn lediglich mit dem Versuch der Weißen zu tun, sich gegen die Ansprüche der Linken zu wehren. Indem sie so nachzuweisen versuchen, ihre Ansprüche auf Überlegenheit (als Element des Selbstseins) aus biologischen, natürlichen Ursachen abzuleiten. Das stammt also nicht aus niedrigen Machtmotiven, wie ihr die Linke unterstellt. Und die Postmoderne, gegen die Peterson bekanntlich so oft herzieht, obwohl er ihr die Wege bereitet, das nebenbei.

Die Linke lehnt sträflicherweise aber aus diesen Gründen jede Befassung mit dem IQ ab, weil sie meint, das diene nur der rechten Überlegenheitsgeste. Dabei vergißt sie, daß sie es war, die die in Frankreich entwickelten IQ-Tests in England erstmals als Argument benutzte (und einführte), weil sie damit beweisen wollte, daß die ärmeren Schichten sehr wohl die Fähigkeit hätten, in Elitestellung zu gelangen, wenn man sie nur aus dem sozio-kulturellen Umfeld befreit, in dem sie gefangen sind oder waren. Was übrigens zu einem guten Teil gelungen ist, das darf man nicht übersehen, und die nächsten Verwerfungen brachte, darüber ein andermal mehr, denn es sind eben nicht "neutrale und objektiv, praktisch meßbare Fähigkeiten", die den Rang und die Stellung eines Menschen, seine Identität sohin, ausmachen.


Morgen Teil 2)


*Selbst das in jeder Vita erkennbare Ringen um Individualisierung durch Abgrenzung ist immer auf das Ganze bezogen.





*160919*