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Samstag, 30. November 2019

Warum die Kirche arm sein muß (1)

Aus gegebenem Anlaß und auf Anregung von Lesern bringt der VdZ hier einen Artikel aus seiner Feder, verfaßt im Jahre 2002.


Nein, eine abgesicherte Kirche hilft den Menschen nicht ...

Die Wut auf die Kirche besteht in Vielem zurecht!



Was in so vielen persönlichen Begegnungen in den letzten Jahren auffällt ist, daß es enorm viele Menschen gibt, die eine ungeheure Wut auf die Kirche (manchmal dem Haß schon sehr nahe) zum Ausdruck bringen. Ich weiß nicht warum, aber ich habe mich immer geweigert, das so einfach nur als Haß auf die Wahrheit zu sehen. Vielmehr sah ich ein ungeheures Engagement, das dahintersteckte, und gewaltige Verzweiflung, Hilflosigkeit und Enttäuschung vor allem, ja, Enttäuschung. Die auch eine Enttäuschung ist, daß die Kirche, so wie sie auftritt, kaum noch Zugang zur Verarbeitung von Schuld (etwas, das ja aus existentiellem Versagen entsteht) bietet - den Verfall des Beichtsakraments sehe ich nicht in mangelndem Glauben" begründet, sondern in der Unfähigkeit allzu vieler Priester, auf die Seelenlage ihrer Klienten" überhaupt einzugehen! Der eigentlich gesunde Ausspruch „Das gibt mir nichts" hat mehr Wahrheit als viele wahrhaben wollen. Diesen Menschen gehört meine größte Sympathie, ich betone das. Und ich verwahre mich vehement gegen voreiliges Gerede, das in saturierter Selbstgefälligkeit und im Brusttone leidensvollen Bedauerns vom Unglauben dieser Zeit daher quatscht, oft genug im Pathos völlig mißverstandenen Kreuztragens. Wieviel Hochmut oft ... wieviel Vermessenheit.

Auch weil mir aufgefallen ist, daß wenn man den Menschen mit ihren Worten, aus ihrem nach Ordnung schreienden Lebenshintergrund heraus, der der Lebenshintergrund aller Menschen ist (das sage ich als Dramatiker, der im Grunde nur ein Drama sieht: Den Kampf des Nichtenden mit dem Sein), die Rezeption auf die reale Wirklichkeit nämlich, das Begegnende, ordnend nahebringt, nahebringt was die Kirche somit überhaupt sagt, daß dann große Ruhe eintritt. Nie ist mir einfachhin Ablehnung begegnet, wenn ich aus einer solchermaßen lebensklugen Philosophie des Augenmaßes, des Hausverstandes heraus argumentierte, darstellte, mich aber sicher nicht gegen ihre Wut einfachhin verschloß. Nein, da sehe ich nicht Menschen, die einfach nicht glauben wollen, schon gar nicht, die böse sein wollen, nein, ich sehe gescheiterte Lebensentwürfe, und wie gesagt: Enorme Hilflosigkeit. Sodaß ich mehr und mehr zu dem Schluß kam, daß ich es hier mit einer Empörung zu tun habe, die völlig zurecht besteht: Die Kirche wird angeklagt, den Menschen Wahrheit nicht mehr nahezubringen.

Nun kann man sagen: Ja, aber die Kirche tut es ja, verkündet ihren Katechismus, ihre Morallehre, manchen scheinbar zum Ärger! Ich aber halte entgegen, daß sie es tut ohne zu berücksichtigen, daß das natürliche Wissen der Menschen dem zu Glaubenden längst widerspricht, daß die Menschen oft genug nur noch vor der Wahl stehen: Fideismus oder Gewissen. Und dabei heute oft nur noch verlieren KÖNNEN. Sodaß man mit Fug und Recht sagen muß: Es fehlt dem Verkündeten längst an Wirklichkeitsnähe, an der Exposition (ich sage das aus der Kenntnis der Problematik eines Kunstwerkes). Moral und Glaubenssatz (würde wenigstens der oft noch verkündet!) ist einfach zuwenig: Wer Hausverstand - den Boden des Glaubens - hat will WIRKLICHKEITSGEMÄSS und damit vernünftig handeln, nicht „irgendwie fromm." Und die Kirche schlechthin als Autorität „erwählen" ... ist an sich schon ein Problem: Man kann Autorität nicht selbst bestimmen. Und mit sicherem Instinkt wissen solchermaßen „hausverständige" Menschen, daß Gerettetheit nicht primär über „Verhalten" (da liegt Selbsterlösung, Pelagianismus also verdammt nahe!) zu erreichen ist. „Agere sequitur esse!" Und die Menschen suchen das Sein, ich kann es nicht anders aus eigener Beobachtung sagen. Jede Motivation bricht die nicht Ewigkeit, die Beständigkeit zum Ausgangspunkt wie zum Ziele hat. Und damit die Wahrheit. Der heute so oft vorgeschobene Konstruktivismus (mit dem Agnostizismus als Frucht) ist eigentlich nur lächerlich und ganz leicht zu widerlegen. (Wenn man es schafft, im Gespräch eben auf die „sens ratio" zu gelangen, also die Wirklichkeit, deren Erkennbarkeit, das "tertium comparationis" zu Wort kommen zu lassen - nicht in den Rationalismus einzusteigen).

Diese Wirklichkeitsferne baut auf zwei Pfeilern auf: Zum einen ist es die völlig fehlende Rezeption der Voraussetzungen, mit denen heute sich meist nur noch selbstbezweckende Wissenschaft (DIE neue Autorität, teilweise sogar von der Kirche selbst inauguriert ...) betrieben, Wissen gelehrt und verbreitet wird. Zum anderen und das erstere mit begründend aber ist es eine fehlende Anbindung an die Wirklichkeit, wie sie fehlende Abhängigkeit vom Begegnenden hervorruft. Und ich kann nicht umhin die reale Form der Kirchenorganisation dafür verantwortlich zu machen. Mit Wurzeln möglicherweise in Ausbildung und Vermittlung von theologisch-philosophischen Inhalten. Denn u.a. erscheint es mir als würde jener Aspekt - auch bei der Sakramentenspendung - den man als „ex opere operato" (in engem Zusammenhang mit Heiligung des Amtsträgers) bezeichnet, also der Mitwirkung des Sakramentenspenders, immer mehr vernachlässigt. Nicht zufällig fällt mir wohl deshalb bei etlichen der Zeitthemen auf, daß protestantische Kreise, wo dieser Aspekt quasi allein entscheidend ist, einen oft wesentlich wirklichkeitsnäheren rationalen Zugang dazu haben. (So z.B. bei Homosexualität: Noch nie habe ich aus katholischen Kreisen gehört, was jedem aufmerksamen Betrachter sofort naheliegt: Daß Homosexualität beobachtbar nicht glücklich macht! Trauen die Katholiken ihrer eigenen Wahrheit nicht mehr, was ihre Wirklichkeitsrelevanz anbelangt? Fürchten sie, daß doch sein könnte, was nicht sein dürfte? Der Verdacht drängt sich nicht nur hier auf!) Das Problem der Heiligung ist nicht in erster Linie ein Problem heute meist falsch verstandener Frömmigkeit (das Wort rückt im allgemeinen Verstehen immer näher zu „Bigotterie", ja „Fideismus" und „Supranaturalismus") - es hat zu tun mit wirklichkeitsgemäßem Handeln. Das Wort „fromm" hat etymologisch mit „tüchtig", „(wirklichkeits-)gemäß" zu tun, wurde immer so gebraucht.

Nichts entfernt den Menschen so sehr von Gott wie eine fehlende ganz reale, wirklich existentielle Rückbindung an die Wirklichkeit. Wer nicht am Leben blutet, wer nicht an Irrtümern und Fehlhandlungen daraus ganz real leidet, und sei es mit Einkommensverlust und Existenzgefährdung, wer seinen Lebenserfolg, sein Glück nicht absolut real von etwas abhängig erfährt, mit dem er in seinem Ringen um Glück ganz unmittelbar in Dialog gerät, sondern in einer „Sicherheit" lebt, die ihn von allen Folgen seines Handelns abschließt, verliert die existentielle Relevanz und damit auch die Verkündigungskraft des Glaubens. Er erfährt nicht die Wahrheit, die hinter allem steht, was die Kirche als Lehrgebäude verkündet, sein Reden bleibt bestenfalls akademisch (welch unglückliche Verquickung von Aufklärung und Religion!), es fehlt ihm somit eben die Exposition, das, was die Menschen aufnimmt und mitträgt. Ja ich behaupte sogar, daß all diese Verstiegenheiten, wie sie als „Meinungen" heute oft genug verbreitet werden, zum überwiegenden Teil diese Scheinsicherheit zum Nährboden haben. Verstehbar als „überschüssige Kraft", die sich in rokokohaften Kapriolen selbst feiert. Nicht zufällig ist eines der Kennzeichen der meisten Erneuerungsbewegungen - welcher Wahn erst, diese zu "Rettern" des Glaubens hochzustilisieren! - frappierende Weltflucht und Wirklichkeitsverleugnung, wird Glaube zum figurativ allgemein begehbaren Ding an sich, zu einer Separatwelt, mit der die Logik der Welt eigentlich nichts zu tun haben muß. (Von daher auch die nur merkwürdig scheinende Ferne von Glaubenserleben zur umfassenden Dogmatik.) Wer das Zwingende einer Ausgeliefertheit an das Begegnende einmal erlebt hat, seine Süße, aber auch sein Strenge, will davon nicht mehr lassen.

Aber was tun? Ich maße mir nicht an, ein Patentrezept zu geben - und schon gar nicht möchte ich für praktische Reformen verantwortlich sein. Doch das Wort des Papstes, der eine Rückkehr zur Armut verlangte, verstehe ich vor diesem Hintergrund und staune über seine Weisheit. Was den Kirchenvertretern (Klerikern wie beamteten Laien) ebenso wie den Menschen, behütet in einem Sozialstaat, fehlt, ist eben diese Bewußtheit (als zur Sprache gekommene Lebenswahrheit) um die Ungesichertheit des Lebens, der Existenz. Marx wußte tatsächlich, was wer tat - und wie man die Religion bekämpft: Durch Auslöschung der „religio" nämlich, ganz einfach ist das. Die Kirche ist gefährlich nahe dem alles erstickenden Selbstzweck - etwas, mit dem NUR der Künstler aus Berufung fertig wird, wohin sich eine hier nur angedeutete Nähe zur Liturgie, ja zum Priestertum Jesu Christi ergibt. Sie braucht Menschen, die am Leben "bluten", und solcherart die existentielle Wahrheit der katholischen Lehre als Beschreibung realer, in den Lebensäußerungen erfahrbarer Wirklichkeitskraft erfassen. Weshalb ich aus derzeitiger Sicht nur noch manchen Laienkreisen eine Reformkraft zutraue, die aber sehr oft von der Kirche nominell dadurch entfernt sind, weil sie das Gesetz der Vernunft, das nur eine Wirklichkeit und eine Wahrheit kennt, nicht mehr walten sehen.

7. Jänner 2002




Nächsten Samstag Teil 2) Nachtrag. Was Rom per 13. März 2007 zum Thema

"Ist ein Kirchenaustritt zugleich ein zu sanktionierender Glaubensabfall?" schreibt.



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