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Samstag, 6. März 2010

Das Verständnis entscheidet

Die Schweizer Weltwoche bringt ein Interview mit Schweizer em. Informatikprofessor Nikolaus Wirth, einem der Entwickler von "Pascal", einer Programmiersprache, in der noch in den späten 1970er Jahren HAK-Absolventen ausgebildet wurden.

Im Gespräch werden unaufgeregt die Knackpunkte des heutigen Medienzeitalters dargelegt. Und sie sind im wesentlichen Extrapolierungen - Verstärkungen der jeweiligen Neigungen - menschlicher Sittlichkeit. Mit mehr technischen Möglichkeiten ausgestattet, vergrößern sich tendenziell sämtliche Probleme, die die Menschen ohnehin immer hatten, und werden deutlicher als das, was sie immer waren: Probleme der Sittlichkeit und der Tugend, des Selbstbesitzes.

Sie bieten speziell der Masse ideale Bedingungen, um noch mehr sich selbst und ihren eigentlichen Lebensaufgaben, die im wesentlichen Aufgaben der Wirklichkeitsrezeption sind, zu entfliehen. Indem sie den Menschen in ein Netz einbinden, das es ihm ermöglicht, sich jeder Verantwortlichkeit auch für sich selbst zu entziehen, indem er sich selbst als Rädchen einer Maschinerie definiert, die zu beherrschen verlangt, selbst zur Maschine zu werden. Was in einer Zeit, wo die Geistigkeit des Menschen, seine unveräußerliche, wie unangreifbare Substanz, sein "Wesenskern", als beliebig und veränderbar angesehen wird, Verzweiflung und Panik auslösen muß!

In der Computersprache: das Systemprogramm des Menschen ist in so großer Tiefe verankert, uns letztlich so unergründlich, und unantastbar, daß ein "Reset" immer funktioniert, ja, dieses Systemprogramm sendet ohne Unterlaß Signale, sich von Aktuellem nicht wegreißen zu lassen, sondern der eigentlichen Aufgabe treu zu bleiben.

Freiheit heißt, sich so besitzen, daß man unabhängig von äußeren Mechanismen, seiner Geistigkeit und seiner Verantwortung gemäß, handeln und gestalten kann. Freiheit heißt deshalb auch, das Unabänderliche, das Gebrechliche, die Frustrationen, im Kreuz so zu tragen, daß sie nicht nur bewältigbar werden, sondern in der Sittlichkeit, der Fähigkeit das Leid zu tragen, sogar den Quell des Lebens in der Welt noch mehr zum Leuchten bringen.


Hier nun einige Aussagen von Wirth:

Arbeiten Forscher und Unternehmen heute besser zusammen?

... Ich hatte damals nie das Gefühl, ich müsste eine Firma gründen oder ein Produkt herstellen. In erster Linie arbeiteten wir an der Forschung. Heute stehen Anwendungen im Vordergrund. [...] Früher musste man als Professor gut sein in der Forschung und in der Lehre. Heute müssen die Leute möglichst viel Geld reinholen. Man spricht immer von «Drittmitteln». Dieses Denken wurde in den neunziger Jahren aus Amerika übernommen. [...] Wir mussten nicht dem Geld hinterherrennen. Im Zentrum stand die Forschung, die sich positiv auf die Lehre auswirkte.

[...] Wir brauchen die Software, die uns analysiert, um mit der Informationsflut fertig zu werden. Aber indem sie uns analysiert, reduziert sie immer mehr unser Gefühl dafür, dass wir wählen können und einen freien Willen haben. Teilen Sie dieses Dilemma?

Bis zu einem gewissen Grad kann jeder selber bestimmen, wieviel er von sich preisgibt. Niemand zwingt mich, eine Kreditkarte zu gebrauchen. Ich nutze auch kein Internet-Banking. Man ist nach wie vor ziemlich autonom in solchen Fragen. Wer jedem Trend hinterher rennt, wird natürlich eher vereinnahmt. Allerdings kann man auch etwas Wichtiges verpassen, wenn man sich den neuen Entwicklungen entzieht.

Schirrmacher schreibt, Google habe die Bibel abgelöst. «Auch die Bibel war einst eine grosse Suchmaschine, die eine Antwort auf alles wusste.» Sind wir Google-Gläubige geworden?

Ich habe Kollegen, die ständig mit ihrem iPhone herumlaufen, und kaum taucht eine Frage auf, schauen sie nach, sei es das genaue Atomgewicht von Plutonium oder wo der Fluss XY liegt. Wer dieses Ding einigermaßen beherrscht, hat das ganze Wissen im Sack. Plötzlich glauben die Leute, sie wissen wirklich alles, was natürlich Unsinn ist. Wichtig ist nicht nur das Wissen eines Menschen, sondern was er daraus macht. Daten allein nützen nichts. Entscheidend ist das Verständnis.