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Freitag, 5. März 2010

Dogmatisch?


Matthew Arnold (1822-1888), englischer Dichter und Kulturkritiker, wurde einmal vorgeworfen, er sei längst dogmatisch wie Thomas Carlyle geworden. Daraufhin Arnold:

"Das mag sein; doch Sie übersehen einen offenkundigen Unterschied: Ich bin dogmatisch und im Recht; Carlyle ist dogmatisch und im Unrecht."

Aber G. K. Chesterton bezieht sich in seinem Essay über "Orthodoxy" nicht auf den Witz dieser kolportierten Bemerkung Arnolds. Sondern auf deren Wahrheit. Denn ein Literat sollte nur das und darüber schreiben, worüber er auch gewiß ist, daß er im Recht ist. Denn jeder, und sei es der Prediger des Undogmatischen, ist dogmatisches Mitglied seiner Sekte, und finde sich genau dort "gut", wo er dogmatisch sein kann.

Gerade Andrew, oder Shaw, seien die besten Beispiele, wie man Künstler, und Dogmatiker, sein kann. Solange man von seinen Auffassungen überzeugt ist.

Und: solange sie richtig sind.

Chesterton: "Im Klima des fin de siecle wurde lauthals verkündet, Literatur müsse frei sein von ethischen Anliegen und Glaubenssätzen. Kunst sollte nichts anders hervorbringen als Werke von ausgesuchter Qualität, und der 'dernier cri' bestand darin, nach brillanten Theaterstücken und brillanten Short Stories zu suchen. Und als man sie bekam, stammten sie ausgerechnet von zwei Moralisten (George Bernhard Shaw und Rudyard Kipling; Anm.).

Die besten Short Stories schrieb ein Mann, der den Imperialismus predigte. Und die besten Theaterstücke einer, der den Sozialismus zu predigen suchte.

[...] Dafür gibt es einen einfachen Grund. Niemand kann soviel Weisheit haben ein großer Künstler zu werden, ohne zugleich soviel Weisheit zu haben, daß er ein Philosoph gleichermaßen werden möchte. Niemand kann soviel Kraft haben, daß er große Kunst hervorbringt, ohne zugleich soviel Kraft zu haben, daß er darüber hinausgehen möchte. Ein unbedeutender Künstler begnügt sich mit Kunst. Ein großer Künstler begnügt sich nur mit allem.

Wirklich starke, in gutem oder schlechtem Sinn starke Künstler (wie Shaw oder Kipling) betreten den Schauplatz unserer Kultur nicht nur mit verblüffender oder atemberaubender Kunst, sondern auch mit verblüffenden und atemberaubenden Dogmen. Ihnen selbst geht es sogar um ihre verblüffenden und atemberaubenden Dogmen als um ihre verblüffende und atemberaubende Kunst - und sie möchten, daß es auch uns darum geht."

Shaw, so Chesterton weiter, wolle nichts als Politiker sein, und sei dabei ein Dichter. Und Kipling, dem der liebe Gott die Kraft gegeben habe, nicht das Gleiche wie die anderen zu tun, wolle nichts sonst als allen gleichen, um endlich eines Volkes Dichter zu sein. Was man so zusammenfassen könnte: Wenn die Menschen gute, lebendige Kunst suchen, so gehen sie zu den größten Dogmatikern. Die etwas ganz Bestimmtes wollen - und dabei "unabsichtlich" große Kunst herstellen.

"Was gibt es Unhöflicheres, als jemandem, der im Hyde Park eine Meinung äußert, zu applaudieren wie einem Tanzbären - anstatt ihn wegen seiner Ansichten zu hassen, oder zu lieben? Der reine Künstler ist aber nichts als solch ein Tanzbär."

Was am Werk des Künstlers gut oder nicht gut ist, könne aber nur der erkennen, wer selbst die Wahrheit kenne, weil man in der Welt nur wiedererkenne. "Das Gute in allem sehen wir nur dann, wenn wir sicher sind, was das Gute ist."

Nur, wer aber Überzeugungen habe, wer die trage, wer sie ernst nahm und nimmt, nur der kann sie auch überwinden.


Zitate aus C. K. Chesterton in "Ketzer"




*050310*