Gerhard Ritter reagiert in seiner Biographie Carl Goerdelers (1884-1945, hinger.), das ein Buch über die deutsche bürgerliche, konservative Widerstandsbewegung gegen Hitler ist, auf Kritik an seiner Goerdeler (und seine Kreise) verteidigenden Grundhaltung. Darin wird nämlich das Dilemma bürgerlich-konservativer Grundhaltung deutlich: als Tragik, aufgrund eines in sich unlösbaren Widerspruchs zwischen Konstruktivität, Volksliebe und -treue, nobel-diskreter, ja gebotener, christlicher "bona fide", und einem ab einem gewissen Punkt dennoch erstehenden Gebot, einer also erst ab einer bestimmten Grenze erstehenden Verantwortung, zu handeln.
Goerdeler war ja im Plan des Putschversuches vom 20. Juli 1944 als Reichskanzler vorgesehen, hatte sich aber zuvor lange einem Umsturz verweigert, der eine Tötung Hitler's verlangt hätte.
"Nichts liegt mir in Wahrheit ferner als der Wunsch, sie möchten Revolutionäre gewesen sein, dämonische Naturen von der Art Hitlers, denen jedes Mittel recht war im Kampf um die Macht. Denn was hätte Deutschland und die Welt damit gewonnen, wenn das Hitlerregiment durch Kräfte gestürzt worden wäre, die ihm irgendwie wesensgleich waren? Es hätte nichts weiter bedeutet, als daß der Satan von Beelzebub verdrängt wurde. Ganz gewiß war es nicht die Aufgabe der deutschen Widerstandsbewegung, Revolution zu machen, sondern im Gegenteil:
einem revolutionären Treiben, das die ganze Welt ins Unheil stürzte, schleunigst ein Ende zu machen. Man kann auch sagen: streng gesetzliche, meinetwegen bürgerliche Ordnung an die Stelle von mörderischer Willkür und ewig gärendem Chaos zu setzen. Was Deutschland nach dem Zusammenbruch der Hitlerherrschaft brauchte, waren nicht neue Machtmenschen, sondern Männer, die allgemeines Vertrauen verdienten - Vertrauen im Inland wie im Ausland. Die Träger des Widerstandes durften also nicht Ehrgeizige sein, denen es primär auf die Erringung der Macht ankam, sondern Patrioten, in denen das sittliche Gewissen alle anderen Stimmen übertönte: gewissenhafte, rechtlich gesinnte Idealisten, die bewußt ihr Leben für Freiheit und Ordnung aufs Spiel setzten. Andernfalls hätten sie ihre historische Mission verfehlt.
[...] Noch einmal: nicht darin sehe ich den entscheidenden Einwand gegen die Politik Goerdelers, daß er nicht Revolutionär und hemmungsloser Machtpolitiker gewesen ist, sondern darin, daß er die Dämonie seiner Gegner und wahrscheinlich auch die politische Blindheit der Massen des deutschen Volkes unterschätzt, überdies die politische Weitsicht und Handlungsfreiheit ausländischer Staatsmänner erheblich überschätzt hat. Praktisch bedeutet dies vor allem: daß er nicht rechtzeitig die eiserne Notwendigkeit erkannt hat, den Tyrannen gewaltsam aus dem Wege zu räumen, sondern fast bis zum letzten Augenblick sich dagegen sträubte.
[...] Die deutsche Widerstandsbewegung ist niemals ein echter Machtkampf gewesen - einfach deshalb nicht, weil sie zwangsläufig machtlos war. [...] Sie war ein reiner Aufstand des Gewissens, und eben darin liegt ihre geschichtliche Bedeutung."