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Montag, 29. März 2010

Auslöschung des Menschseins

Es gibt für den Menschen keine gute und keine schlechte Geschichte - es gibt nur SEINE Geschichte.

Nicht nur, daß man heute die Geschichte auszulöschen versucht (und so nebenbei: neue schafft!), sondern man nimmt den Menschen auch die zukünftige.

Diese Gedanken kommen mir, als ich über "Osteopathie" im KURIER lese.

Ein Unfug reiht sich heute an den nächsten. Die Folgen sind immer unabsehbarer - und "ganzheitlicher". Leben wird zur Betriebsstörung. Gleichzeitig wird das Problem der ungebundenen Lebensenergie, der freibleibenden Libido, unlösbar, wird der Mensch sich selbst zum Problem (man beachte die Zunahme, aber auch die jeweiligen Krankengeschichten, der Autoimmunerkrankungen.)

Kein Mensch hat ein konkretes Bild von sich vor ihm hergehend - seine Konkretion IST die Auseinandersetzung mit allem, sie WIRD erst, ausnahmslos, durch und in dem, was ihm begegnet. Und nichts davon ist unwesentlich, alles hat seinen Sinn, stellt eine Aufgabe dar, an der genau dieser Mensch zu reifen, zu wachsen hat. Jede Hürde ist genau jene, die er, und nur er, zu bewältigen, zu überwinden hat.

Das Leben aber wird zunehmend zur Betriebsstörung reduziert, die unnötig wäre, wenn ...

Wer aber auf diese, auf eine "Frühform Mensch" zurückgreifen, die Uhr darauf zurückdrehen möchte, irrt nicht nur prinzipiell - kein Säugling beginnt bei Null, jeder Mensch stellt die Gesamtgeschichte der Menschheit dar, und trägt sie in sich, es gibt sie also, die Erbsünde - sondern versucht Form auszulöschen. Selbst das neunmonatige Menschenkind, das nun geboren wird, hat bereits eine Geschichte, ist durch eine konkrete Situation geformt, und hat darauf reagiert, und ist im Dialog damit bislang konkret geworden. Und will noch konkreter werden, will noch mehr Gestalt annehmen, zur Gestalt wachsen.

Durch "Osteopathie" diesem Menschlein also seine Gestalt "auflösen", zu einer "Idealgestalt" (wovon?) zurück zu schmeicheln, ist Wahn, und lächerlich mißverstandene "Liebe", die schon im ersten Schritt gleich mal den Respekt ablegt, den es vor dem andern - und auch das kleine Winzige ist in dieser Hinsicht ein jemand, ein anderer - zu haben gilt. Du hast so und so auf Deine Welt reagiert? Na das lösen wir gleich mal auf ... ah schau, da wehrst Du Dich gegen Deine Welt, das wird aufgelöst, und dies, und das ... Das Resultat im übrigen ist genau das Gegenteil dessen, was behauptet wird - quasi Entspannung, um mehr "selbst" sein zu können. Die innerste Schicht des Menschen, sein unzerstörbarer Ich-Kern, zieht sich nämlich nur noch weiter "von der Welt" zurück.

Jede Form ist immer eine konkrete historische Gestalt. Oder sie ist gar nicht. Frühestens dann kann man von "ganzheitlich" sprechen - hier, wie in so vielen Fällen, ist es glatter Mißbrauch der Sprache. Denn wenn schon, dann heißt ganzheitlich den Zusammenfall von Innen und Außen, wie Leopold Ziegler es einmal ausdrückt. Und nicht die Selektion in wesentlich und unwesentlich, also ausscheidbar. Der Weg zur "Heiligung" (ich bleibe im Begriffskreis von Ziegler, der Heiligkeit, in Anlehnung an Plato, als "das Seiendste", das "Ganzeste" bezeichnet) verläuft also geradewegs umgekehrt, als er zum Beispiel durch diese Methoden verheißen wird.

Wer keine Form mehr hat, wird somit unweigerlich mit dem Leben selbst immer weniger fertigwerden. Also wird sein Leben zunehmend darauf abzielen, Leben selbst zu verhindern, Hindernisse möglichst stillschweigend und nicht wahrnehmbar aus dem Weg zu räumen (zu verlangen), als sie zu überwinden. Und was wäre ... was wäre heute nicht deutlicher zu beobachten?

Und, um bei Ziegler zu bleiben, der es so nachvollziehbar seziert, so werden sich diese zuinnersten Kräfte auf seltsame Weise dem Außen verschwistern, heimlich, und dieses zu einer immer totalitäreren, zum Schicksal und Verhängnis sich auswachsenden Ideologien auswuchern. Vor allem aber - ein eigenes Thema! - wird er zuerst sich selbst der größte Feind sein.

Menschliche Hilfe kann sich nur darauf erstrecken, Hilfestellung zur Selbstwerdung anhand konkreter Aufgaben zu geben - nicht die Hindernisse und Aufgaben aus dem Weg zu räumen (genau das passiert z. B. in der Schulpädagogik), indem man durch Weltauflösung beseitigt, was gerade den Betrieb zum vermeinten Glück stört. Wer so denkt wird - ohne es je zu bemerken - zunehmend alles im Leben als unüberwindliche Hürde befinden, und jede begegnende Form wird ihm zur unerträglichen Gewaltausübung der Welt.

So ist zu verstehen, wenn es da heißt: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge!" Alles andere ist purer Schmonzes.




*290310*