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Sonntag, 14. März 2010

Politische Streitkräfte

Unter Bezug auf Bismarck wie auf Clausewitz, weist Gerhard Ritter (selbst in die Geschehnisse um den 20. Juli 1944 involviert, aber davongekommen) in seiner Geschichte des deutschen Widerstands um Goerdeler den Vorwurf zurück, daß die Deutsche Wehrmacht nicht (das sowieso, die Widerstände waren beträchtlich!) Hitler in den Arm gefallen sei.

Das würde bedeuten, daß von den Streitkräften eines Landes grundsätzlich politische Richtung verlangt würde. Aber daß das nie gutgehen kann, beweist nicht zuletzt die unendliche Geschichte der lateinamerikanischen Staaten, Spaniens, nun der Türkei, Griechenlands, etc. etc. Politisierende Generäle haben in der Geschichte fast immer nur großes Unheil angerichtet.

Wenn Streitkräfte politisch positioniert sind, dann stehen sie immer (sic!) den Regierenden als latente Bedrohung gegenüber und unterliegen keiner wirklichen politischen Kontrolle, werden sogar, wenn sie politisch durchdrungen sind, im Falle einer Diktatur zum politischen Machtinstrument. Krieg kann aber kein Mittel für sich sein, er muß immer der Mäßigung der Politik und damit ihrer Führung unterliegen! Konstellationen wo die Streitkräfte sich in die Politik mischen, sind historisch belegbar bereits Anzeichen eines gefährlich schwachen Staates. Sie müssen deshalb a-politisch sein, und im Normalfall bleiben.

Hier setzte gerade im von bestem preußischem Ethos durchwirkten "alten" Offizierskorps unter Hitler ein allmähliches Umdenken ein, das - wie Generalstabschef Beck (Bild) es dann sogar schriftlich formulierte - in besonderen Zeiten auch besondere Verantwortlichkeiten forderte. Erst allmählich begriffen die Generäle, daß die normalen Verhältnisse umgekehrt waren: daß an der Spitze des Staates kein echter Staatsmann mehr stand, sondern ein verantwortungsloser Abenteuerer.

Diese Gewissensentscheidungen fielen erst mit den Jahren, insbesonders 1938 und 1939, als immer klarer wurde, daß Hitler auch nach rein strategisch-militärischen Standpunkten hasardierte, und sinnlos einen Krieg riskierte - denn die Verhandlungsbereitschaft Englands und Frankreichs war fast grenzenlos, weil das Unrecht von Versailles allen klar war, den Engländern sowieso, den Franzosen noch nicht ganz.

Zu Anfang von Hitlers Expansionspolitik - die Aufrüstung selbst war ja zuerst noch als Akt der Wiederherstellung der Gerechtigkeit begrüßt, die Beschränkung auf 100.000 Mann laut Versailles versetzte ja Deutschland gar nicht in die Lage, sich im Angriffsfall zu verteidigen, wie die latente Polenfrage bewies (Polen erwog lange einen Präventivschlag), außerdem hoffte man die Paramilitärs (SA, SS) endlich in den Griff zu bekommen (was sich nicht erfüllte) - war der Widerstand deshalb noch prinzipiell auf wehrtechnische Argumente beschränkt, was Hitler immer wieder zu schlimmen Ausbrüchen reizte.

Goerdeler, der von 1937 bis 1939 fast zwei Jahre lang in Europa und Nordamerika unterwegs war, berichtete in zahllosen Niederschriften davon, daß sämtliche Forderungen Deutschlands, nur mit etwas mehr Mäßigung vorgebracht, bei sämtlichen maßgeblichen Politikern und auch der Stimmung der Völker gemäß auf entgegenkommendstes Verständnis stießen. Selbst Kolonien (in Westafrika) waren kein wirkliches Thema, neben sämtlichen Restitutionen nach Versailles abgetretener ehedem deutscher Gebiete, freilich mit dem schwierigen Fall Danzig, weil die Rohstofffrage für einen Industriestaat (wie Deutschland) von elementarer Bedeutung, und allen Großmächten klar war, daß diese Frage gleichfalls gelöst sein mußte, sonst würde nie politischer Friede einkehren.

Es spricht Bände, wenn Bismarck noch die Politik daran dringend erinnert, die Automatismen der Militärs, ihren (verständlichen) Wunsch Geschichte zu machen, ihre Offiziere und Soldaten damit zu motivieren (wie sonst nämlich), zu beachten und in Schranken zu halten. Und wenn nun plötzlich der Staatsobere, Adolf Hitler, sich darüber wie mehrfach bekundet wunderte, warum bei ihm nicht die Generalität wie ein Kettenhund sei, den man in seinem Blutdurst zügeln sollte, sondern ewig nur den Bremsklotz am Wagen seiner Kriegspolitik bilde.

Selbst die westlichen Großmächte mußten ja erst begreifen lernen, daß es nie um vernünftige Forderungen ging, auch wenn Hitler das wieder und wieder betonte. Nicht anders die Generäle. Bei allem Ehrgeiz, bei allen individuellen Fehlhaltungen, die es gab. Aber, so fragt Ritter schließlich, war nicht immer der starke Charakter der seltenste unter den Menschen? Außergewöhnliche Zeiten verlangen außerdem immer sogar ein übernormales Maß an sittlicher Kraft und politischer Einsicht.

Die Frage spitzte sich erstmals beim geplanten Einmarsch in die Tschechoslowakei zu. Die Wahrscheinlichkeit, Hitler zur Einstellung seiner Kriegspläne zu zwingen, durch kollektiven Rücktritt, wie Beck es sogar von seinen Generalen erst gefordert hatte, hätte Hitler mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht zum Einhalt gebracht! Im Gegenteil, ein Diktator (Aussage v. Mansteins in Nürnberg) kann sich nicht zwingen lassen - sonst ist er erledigt. Er muß dann sogar mit Terror zurückschlagen, und es wären Ehrgeizlinge und Bewunderer Hitlers nachgerückt. Und: wie sicher war es, daß alles in einen Weltkrieg mündete?

So nahm nur der Generalstabschef im August 1938 (in Anbetracht der Tschecheipläne, die für ihn einen neuen Krieg wahrscheinlich machten) alleine seinen Abschied. Und begann, eine effektivere Verschwörung aufzubauen. Was passierte aber? Nichts. Die Westmächte blieben ruhig.




*140310*