Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 10. März 2010

Warum es im Dunkelen fürchtet

"Wahrscheinlich die jämmerlichste aller Selbsttäuschungen aller heutigen Erforscher primitiver Glaubensvorstellungen ist ihre Ansicht über das, was sie als Anthropomorphismus bezeichnen. Sie meinen, die primitiven Menschen hätten Erscheinungen, um sie zu erklären, einem menschengestaltigen Gott zugeschrieben, weil ihr dumpfer Geist außerstande gewesen wäre, über die eigene, krude Existenz hinauszugelangen.

Sie hätten den Donner als menschliche Stimme, den Blitz als menschliches Augenlicht bezeichnet, weil beide durch diese Erklärung verständlicher und weniger beunruhigend erschienen sei.

Um jemanden von dieser Ansicht ein für allemal zu heilen, ist es das beste, ihn nachts eine dunkle Straße entlanggehen zu lassen. Der Betreffende wird sehr rasch erkennen, daß das Halbmenschliche, das die Menschen hinter den Dingen gewahrten, nicht etwas Natürliches, sondern etwas Übernatürliches war und die Dinge nicht verständlicher machte, sondern hundertmal unverständlicher und geheimnisvoller werden ließ. Denn ein Mensch, der nachts eine Straße entlanggeht, wird der ins Auge springenden Tatsache gewahr, daß die Natur, solange sie in ihren Grenzen bleibt, keinerlei Macht über uns hat.

Solange der Baum ein Baum ist, ist er ein kopflastiges Ungeheuer mit hundert Armen, mit tausend Zungen und mit nur einem Bein. Aber solange der Baum ein Baum ist, jagt er uns nicht den geringsten Schrecken ein. Etwas Fremdartiges, etwas Absonderliches wird er erst dann für uns, wenn er anfängt, auszusehen wie wir selbst. Wenn ein Baum tatsächlich wie ein Mensch aussieht, zittern uns die Knie. Und wenn die ganze Welt aussieht wie ein Mensch, werfen wir uns anbetend nieder."


Gilbert K. Chesterton in "Die Wissenschaft und die Wilden"

Photo by cheelz
Dämmerung - Abends? Morgens?




*100310*