G meinte: "Wenn man sich ansieht, was es alles schon gibt - nämlich genau alles - dann könnte man den Glauben verlieren, daß da noch Platz für einen selbst ist, daß man an dieser Welt noch was zu tun haben soll, und nicht ... umsonst da ist. Vielleicht ist das alles, da rundrum, gar nicht Neid? Sondern Verzweiflung, weil man nicht mehr glaubt, daß man seinen Platz hat? Vielleicht steckt das, geheim, hinter diesem Gequatsche von Überbevölkerung?"
Wir hatten darüber gesprochen, daß Neid (und Gier) eine Frage des Platzes ist, den man im Leben hat oder meint haben zu müssen, und mit dem man nicht zufrieden ist.
"Schau, in Leipzig gab es damals (17. Jahrhundert, Anm.) fünfundzwanzigtausend Menschen. Da fiel jeder mit je seinen Begabungen noch auf, da reichte die Tuchent der sozialen Kontakte bis zum Ende der Zehen. Bei jedem. Was will ich heute aber in Köln, oder Wien? Ein oder zwei Millionen sind da ... vierzig-, achtzigmal Leipzig! Da geht man unter. Ich habe auch das Gefühl, daß aus solchen Riesenstädten weit unterproportional wenige wirkliche große Leistungen erwachsen. Während man den Eindruck hat, daß es in einer Kleinstadt wie Athen, mit vielleicht hunderttausend Einwohnern, ständig zu Trägern alle Zeiten überdauernder Spitzenleistungen gekommen ist. Als wären die großen Städte gigantische Vernichtungsmaschinerien ..."
Warum wir später, im Gespräch, bei Einspänner und Apfelstrudel, auf den Sinn des Dezentralen, des Föderalismus kamen weiß ich nicht mehr. Aber es hatte klar damit zu tun. Ich war ja längst in Gedanken bei etwas anderem.
Denn G hatte gemeint, daß er das Gefühl habe, daß es nicht eine Decke über ein oder zwei Millionen sei, mit der man es zu tun habe - sondern nur eine gleich große, also kleine, Decke, die aber die anderen zu verdrängen suche. "Als fehlte," meinte er, "etwas, das aus diesen ganzen kleinen Decken wieder eine übergeordnete Decke häkelte. Als wäre es eine Dorfclique, die aber die Herrschaft an sich gerissen hat. Kann es sein, daß es das ist, was so entmutigt?"
*200310*