Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 11. März 2015

Der Ritus geht dem Erkennen voraus

Jedes Ding hat eine eigene Substanz, eine Natur, auf der sein Sein beruht. Doch weil diese Substanz ein Vermögen ist, ein Vermögen an sich aber nicht erkannt werden kann, weil es keine erkennbare Wesensform hat, erkennen wir die Dinge nur nach ihrem Aspekt in der Vernunft. Zu verstehen gewissermaßen als Strukturteil der Vernunft selbst. 

Deshalb vermögen wir die Dinge nur soweit zu erkennen, als wir selbst uns von der Vernunft umfassen lassen, an ihr teilhaben, uns ihr öffnen.

Es sind also nicht die Vielheiten der Dinge an sich, als einzelne Substanzen, die uns erkennen lassen. Ein Mensch vermag viele Dinge als Einzelne "zu kennen" - und doch nichts zu erkennen. Sondern er erkennt im Maß seiner Vernunftangeglichenheit. Dort liegt auch die objektive Wahrheit.

Die objektive Wahrheit eines Dinges erkennen heißt nicht das Ding erkennen, je nachdem es sein Sein hat, schreibt C. M. Schneider in "Das Wissen Gottes" deshalb. Sondern das heißt es erkennen, weil und insoweit die innerste Natur dieses einzelnen Seins innerhalb der Vernunft als bestimmende Form, als species intelligibilis sich vorfindet.

Erkennen heißt man also, wenn (und soweit) die Form der Vernunft der innersten Natur der Erkenntnisobjekte gleicht.

Deshalb kann es gar kein Erkennen der Dinge außerhalb der Poesie geben, und kein Mensch erkennt auf andere Weise. Das urteilende, einteilende, vergleichende Vermögen des Menschen dient lediglich der Herstellung der Übereinstimmung von Vernunftform mit Vernunftform.

Auch von dieser Seite her beleuchtet ergibt sich also der direkte Zusammenhang von Sittlichkeit mit Vernunft und Vernunftfähigkeit, von Erkenntnis als sittlicher (nicht primär oder reduziert "intellektueller") Leistung. 

Nur das poetische Herz vermag zu erkennen. Und jedes Ding vermag nur insoweit erkannt zu werden, als es diese Poesie selbst darstellt. 

(Querverweis 1: Jedes Ding vollzieht sich in "Ritus und Liturgie seiner Natur", sonst fällt es ins Nichts. Alle Dinge beginnen deshalb im Ritus, im Kult, und bleiben nur, soweit und solange sie aus diesem atmen. Woraus folgt, daß der Technizismus alles ins Nichts stößt, nur Scheinhervorbringungen vorzuweisen hat, die bestenfalls aus anderem, gar nicht rekognisziertem Ritus leben.
Querverweis 2: Jedes menschliche Leben beginnt mit einem Fest (s. u. a. Initiationen etc.), in dem das Konstituens, aufgrund dessen er weiterlebt, fleischhaft und von ihm übernommen wird. Ist dieses nicht sakramental, bleibt es nur analog, bestenfalls volatil und voluntaristisch simulierbar. Deshalb zerfällt bzw. stirbt alles, was nicht wie im Menschsein diese Sakramentalität als Quelle des Lebens als Möglichkeit "ewigen Lebens" zu erlangen vermag.
Querverweis 3: Diesen Vollzug setzt Paul Hacker mit dem hinduistischen Begriff des dharma analog. Man wird durch die Berührung mit dem Heiligen selbst geheiligt. Dies geschieht in den überlieferten Riten, den sanskaras als rites de passage, die jeweils einen neuen Lebensabschnitt ankündigen. Sie unterscheiden sich aber grundlegend vom Sakrament, denn sie sind unpersönliche, impersonale "Technik", während im Sakrament die Heiligung nur von Gott her wirksam ist, eine wesenhaft personale Struktur hat, und immer dem freien Gnadenhandeln Gottes anheimliegt, nicht automatistisch passiert.)




***