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Sonntag, 8. März 2015

Große Gedanken entstehen nur in großen Ländern

Gedanken, die an diesem Ort geäußerten recht ähnlich sind, brachten dieser Tage österreichische Medien. Und sie taten es durchwegs mit einem Aufschrei der Entrüstung, in der sie deren Vortragenden, Alexander Dugin, zum irren, rechtsradikalen Wodkasäufer erklärten. Was hatte der "Chefideologe Putins", wie er gerne (wohl abstruserweise) genannt wird, gemacht?

Er hatte in einem Interview im ungarischen Internetportal Alfahir, das lt. Presse "jobbik-nahe" sei, geäußert, daß sich Europa in Reichen neu sammeln sollte. Westeuropa (mit deutscher Führung), Mitteleuropa (als mehr oder weniger Wiederaufnahme der Habsburgermonarchie) und Osteuropa (unter russischer Führung), das eigentlich ein Eurasien sei. So stünden sich weltweit dann etwa gleichstarke Blöcke bzw. Reiche gegenüber. 

Vielleicht war der größere Auslöser für die Beschimpfungsorgien, die sich in den Zeitungen abspielten, daß Dugin es gewagt hatte, Westeuropa als im moralischen Niedergang befindlich zu bezeichnen? Durch Homosexuellenehe, und generelle Verwestlichung der Lebensart. 

Das Erschreckendste aber ist (auch und vor allem in den Postings, die sich in den Zeitungen finden) feststellen zu müsse, daß in Österreich jeder Begriff von Politik und deren Bedeutung und eigentlicher Aufgabe völlig verloren gegangen ist. Was sich in sämtlichen angrenzenden Ländern nämlich völlig anders verhält. "Große Gedanken entstehen nur in großen Ländern," hat vor 150 Jahren einmal jemand geschrieben. In Ländern wie Österreich entstehen offenbar nur noch Gedanken, wie der Bankomat gut gefüttert bleibt, und die Schnitzelbestellung über amazon per iPhone abzuwickeln ist. Den Rest hat "die Politik" zu erledigen, die weit weit weg ist.

Denn selbstverständlich  - und dieses Bewußtsein ist im ehemaligen Ostblock weit ausgeprägter, als es sich hiesige Blutarmut vorstellen kann - wäre es dringend an der Zeit, den Nomos, das gewissermaßen "natürliche Beziehungsgeflecht" des europäisch-asisatischen Raumes neu zu überdenken, bzw. in die reale Politik einfließen zu lassen. (Wobei diese Diskussion gewiß stattfinden, aber als Geheimpolitik oder gar unbewußt bleibende Richtung, die man den Bevölkerungen gefließentlich verschweigt und so tut, als ginge es um anderes. Wie um Fragen des Chlorhuhnes oder einer bloßen Markteffizienz.) Aber sonst wird Europa Opfer jener, die über den Beginn jeder Politik in den großen Räumen Bescheid wissen, während Europa den Mantel verschenkt, weil es doch so wunderbar warm ist. Im Winter. Politik beginnt aber beim Mantel, nicht bei der Unterhose. Die Ukraine oder Griechenland zeigen aber nicht zuletzt, wie blitzschnell wirtschaftliche in politische Probleme umschlagen können.

Gerade der Raum zwischen Westeuropa und Rußland ist aufgeladen mit Spannungen. Sie stammen als Spätfolgen der Zerrüttung Europas im frühen 20. Jhd. vor allem vom Ungleichgewicht, der strategischen Schwäche der vielen kleinen und mittleren Staaten, die sich gezwungen sehen, sich Machtblöcken zuzuordnen, von denen sie sich am meisten versprechen. Daneben bzw. darin kochen einige Länder still und heimlich ihr eigenes Süppchen. Wie etwa Polen, das von vielen (nicht nur Polen) sogar als kommende Macht in Europa gehandelt wird. Historisch hat Polen aber recht große Interessen in einem geographischen Raum, der seit längerem wie ein losgerissenes Schiff ohne Anker trudelt und in denen es vor Spannungen brodelt, wie die Ukraine, wie Ungarn, wie Serbien, wie die baltischen Länder. 

Die Ukraine und er baltische Raum sind der einzige Raum, in den hinein sich Polen entfalten kann, das exemplarisch herausgegriffen werden soll. Der Traum vom Großreich, das es in der Vergangenheit bereits gab, ist keineswegs ausgeträumt, wie sich der VdZ in Gesprächen mit Polen immer wieder überzeugen konnte. Nur spricht man nicht darüber, und verschleiert außenpolitisch langfristige Ziele, als Richtungen, die Außenpolitik im Kleinen orientieren. Etwa, indem man sich der NATO bedient. Aber es geht den Polen nicht um übergeordnete Reiche, es geht um nationale Interessen eines starken Polen, und die sind sogar verständlich.

Genau das sollte mit "Reichen" aber geordnet oder verhindert werden, wie auch Dugin vorschlägt. Nur ungefähr gleich starke Mächte können auf einer Augenhöhe miteinander sprechen und verhandeln. Die auf geographischen Räumen beruhen, die jeweils so halbwegs organische, harmonische Interessensbalance haben. Nur dann werden die großen Interessen, auf die sich Außenpolitik ja mehr oder weniger reduziert, zu tragfähigen Kompromissen verhandelbar, in denen keine Seite übervorteilt wird. Die Hälfte Europas ist aber derzeit im Grunde machtlos, weil zu schwach den großen Spielern gegenüber, auch wenn viel getan wird, um diese Wahrheit zu verschleiern.

Gerade die Ukraine ist unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, die einem starken Rußland gegenüber nur noch zu äußersten Mitteln zu greifen sich in der Lage fühlte, und damit globale, weit größere Interessensprobleme aufkochte, die den Konflikt so gefährlich machen.

In der derzeitigen Lage aber geht es vor allem um neue "große Gedanken". Gar nicht so sehr um direkte kurzfristig erreichbare Ziele, sondern um Gedanken, die über den eigenen Tellerrand hinausreichen, und an denen sich Politik im Kleinen, Alltäglichen orientiert. Nur unter Ausrichtung auf solche Ziele kann diese Kleinpolitik widerspruchsfrei bleiben. Nur so kann auch das im Diffusen verschwimmende Gerede vom Frieden wieder mit konkretem Inhalt gefüllt werden, anstatt sich zur bloßen Propaganda degradiert instrumentalisieren zu lassen. Denn die Mittel zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker, im Großen wie im Kleinen, haben wir gar nicht. Nur eigene Interessen aufzulösen, um Konflikte zu vermeiden, ist keine Politik, es ist ein Vertagen und Verdrängen. 

Großreiche als globale Ordnung gleichrangiger Mächte wären aber solche Instrumente. Und sie beflügeln auch die Phantasie einer globalen Ordnung, die dann nicht ein Gerangel um Hegemonie, das ohnehin gefährlich versagt (USA, China), sondern ein Rechtssystem sein könnte, dem sich sämtliche dieser Reiche unterstellen, weil auch das Völkerrecht zu neuer Kraft belebt wird. Handelsabkommen bzw. teilregelungen vorzunehmen, ohne solche Ordnungsgedanken zuvor zu klären, könnte sonst zu einem furchtbaren Aufwachen führen, weil sie zu einer ungeordneten Verquickung und Neugruppierung von Interessen führen, die ausrichtungslos und damit "zufällig" aus dem Faktischen neu entstanden sind und entstehen. 

Wie diese Ordnung als faire Ordnung aussehen könnte, diskutiert unter gleichrangigen Partnern, unter Kriteriengleichheit, ist eine Frage, die es konkret zu klären gäbe. Im derzeitigen wirren Haufen aber werden oft willkürlich und verschleiert interessengesteuert dem einen Dinge zugestanden, die beim anderen kriminalisiert werden, und umgekehrt. Jede Wirtschaftsordnung muß aber auf eine zuvor erfolgte und vorhandene politische Ordnung zurückgreifen, die sie ausrichtet, sonst schafft sie nur Verwirrung.

Österreich, seine Bevölkerung, seine Politik, weiß es nicht mehr. Deshalb sieht auch der VdZ keine Führungsrolle, die es in solchen Gruppierungen erfüllen könnte. Österreich wird bei Beibehaltung derzeitiger politscher Prämissen (die eine Prämisse der Nicht-Vorhandenheit ist) zum bloßen Appendix (egal welcher Macht) werden, und ist es ja ohnehin schon (von Deutschland und der EU)*. Weil es aber auch sonst kein Land gibt, das derzeit durch konsequente Politik herausragt die mehr will, als eigene Interessen durchzusetzen und zu warten, bis ihm reife Früchte in den Schoß fallen, weil sich immer die Logik des Faktischen als von jenen bestimmt erweist, die ein Ziel verfolgt haben und damit jenen überlegen war, die das nicht hatten und deshalb Gesamtrichtungen gar nicht erkannt haben

Wenn man diese Gedanken also nicht schleunigst aufgreift, den Großraum Europa wieder ordnet, und zwar nach europäischen und damit geostrategischen Gesichtspunkten die anders gelagert sind als in die USA hinein aufzugehen, wird sich ganz Europa, nicht nur der mitteleuropäische Raum, eines Tages als bloßes Instrument anderer Machtinteressen wiederfinden. Wiederfinden? Es sollte sich endlich daraus befreien und sein Schicksal endlich wieder in die eigene Hand nehmen.




*Dieser Aspekt - ein Aufbrechen der Kleingeistigkeit in Österreich - wäre auch der einzige Aspekt gewesen, den der VdZ 1994 dem hinzunehmenden EU-Beitritt (den er vehement ablehnte) abgewinnen konnte. Die letzten 20 Jahre aber haben genau gezeigt, worum hier gehandelt wird: Österreich hat sich sogar noch weiter aufgelöst, und seine Kleingeistigkeit ist endgültig zur trüben Wasserlacke geworden. Das zeigt, daß es einen kleineren, adäquateren Großraum gebraucht hätte, der Österreich nicht so erdrückt, wie es nun stattfand, und wo es um konkrete Interessen gehen hätte können, nicht um universalistische "Werte", während das Konkrete der EU ein schwaches Österreich hinweggespült hat. Daß das realpolitisch so kommen mußte, war dem VdZ (und vielen anderen) ohnehin klar. Die Fragestellungen sind für Frankreich oder Deutschland völlig anderer Natur, als für Österreich (und all die Kleinstaaten). Sie wären es genau so für die Mittelmeerländer, und für Mittel-Osteuropa.




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