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Montag, 23. März 2015

Selbstvergottung statt Vergottung des Selbst

"Viele," schreibt Irenäus einmal von den Gnostikern, "oder besser: alle wollen Lehrer sein und sich von der Häresie, in der sie gewesen sind, trennen. Indem sie eine Lehre aus der andren und wieder andere zusammenstellen, bemühen sie sich, dies wenigstens auf neue Weise zu lehren, damit sie als Erfinder ihres Lehrgebäudes gelten können." Der Erzgnostiker Simon sah sich als die allerhöchste Kraft selbst, als über alles überhobenen Vater. Und damit als Erfinder wie Berichter der Wahrheit.

Damit unterscheiden sich die Gnostiker grundlegend von den Mythologen, dem "Mythensager". Denn der will immer das Uralte, die wahre urzeitliche Geschichte wiedergeben, und noch genauer als andere vor ihm. Daraus entwickelt sich die mythische Erzählung immer weiter. Niemand dachte daran, etwas zu "erfinden".

Genau das aber wollen die Gnostiker, indem sie sich zu Gott selbst erheben, und in dieser Erfindung ihre Gottesschaft beweisen wollen. Sie erliegen der Versuchung, aus der "Vergottung des Selbst" die "Selbstvergottung" zu machen. Sie glauben, schreibt Karl Kerenyi dazu unter Bezug auf Jung, sie selbst seien der Uranfang.

Diese Vergottung des Selbst (nicht: Selbstvergottung, die ein schweres Vergehen war, weshalb die Antike - und nicht nur sie - auch die Magie ablehnte, in der sich der Magier der Urbilder habhaft machen will) ist auch in der Antike eine Teilhabe an einem archaion, einem Urbild. Ja, die Antike bzw. die Alte Welt verstand überhaupt alles, was es auf der Welt gab, als Erscheinung eines solche Urbildes, das Kraft hatte, und den Willen, sich zur Welt herauszutreiben. Sowohl als Ding, als auch in Eigenschaften. Wer als kräftig war, war Phänomen des Urbildes der Kraft selbst, wer König war Phänomen des Urbildes des Königs, etc. 

Damit aber war in der Antike auch die Person noch nicht abgegrenzt, denn ein eigenes Personsein, ein Ich in der Welt hatte sie nicht. In allen Dingen, in allen Menschen, stand einem eine Inkarnation des Urbildes gegenüber. Als Spiegelung, aber auch von diesem Urbild her durchlichtet, und darin vergöttlicht. An diese nus können die Menschen teilhaben, er ist aber nicht ichhaft, und ebensowenig subjektiv wie das Sonnenlicht. Wer also einer göttlichen Gestalt glich, war göttlich. Und an diese wirkungsvolle Gestalt war auch die wirkende Kraft schlechthin gebunden. Damit immer an eine bedeutende und charakteristische Persönlichkeit.

Aus diesem Empfangenden aber wird allzu leicht der Fehlglaube, darüber willkürlich (oder über Riten, Rituale etc.) verfügen zu können, wie es zur Gnostik führt. Aus der Vergöttlichung des Selbst - wird die Selbstvergöttlichung. Karl Kerenyi vergleicht einmal diesen Schritt mit dem Ton, der plötzlich meint, sich selbst hervorbringen zu können. Die Gnosis macht das Klingen DURCH den Ton zum ursprunghaften Hervorbringen des Tones. Gnostiker sehen sich ontologisch als Samen der Welt, ihr Tun als urschöpferisches, göttliches Sperma. Daraus folgt auch die große Rolle der Erotik, die die Gnostik kennzeichnet. Denn die Welt ersteht ihnen aus der Vermählung des Seins mit dem Nichts.*

Die Nähe zu gewissen Formen (auch: Auswüchsen) des protestantischen Quietismus ist ebenfalls nicht zufällig, denn das eigentliche Geschehen im Protestantismus trägt dieselben Züge in der Rolle des Ich, wie Paul Hacker so hervorragend herausgearbeitet hat. Eric Voegelin (formal ein Protestant, der nie offiziell zum Katholizismus übergetreten ist, aber nicht aus Anschauungsgründen) hat sogar direkt den Protestantismus als gnostische Bewegung bezeichnet.




*Diese Auffassung ist scharf von der Logos-Auffassung der Stoa zu trennen. Denn dieser Logos - als logos spermaticos, als Sperma aufzufassen -  ist wenn er in die Seele des Menschen gesät wird, keine Urzeugung des Menschen, sondern läßt ihn an der Weltvernunft teilnehmen, und erhält ihn teilhaftig dem Weltplan.





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